19. Abschnitt (1.10.8,5; Aus der Sicht von Luci)

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Ich hatte ein komisches Gefühl als ich in dieser Nacht aufwachte. Es war so, als würde ich immer noch träumen. Aber ich stand in meinem Zimmer. In meinem, kalten, braunen Zimmer, vor meinem Bett. Normalerweise wachte die Ratte schon lange vor mir auf und weckte mich dann. Er hasste es, sich alleine die Zeit vertreiben zu müssen und ich verzieh es ihm jede Nacht wieder gerne. Fühlte es sich so an, wenn man ausgeschlafen war? Ich fühlte mich kein bisschen wach. "Ratte?", fragte ich vorsichtig.

Meine unangenehme Vorahnung, dass er nicht antworten würde bestätigte sich. Ich konnte fühlen, dass er nicht da war. Ich war alleine, gefangen in diesem Traum.

Aus dem Nichts glühte plötzlich ein starkes, sehr helles Licht vor mir auf.

"Mein Engel.", hörte ich eine Stimme sagen. Eine mächtige und doch sehr weiche Stimme. Sie füllte die Leere in meinem Zimmer mit ihrem bebenden Klang aus. Es war angenehm.

"Ich habe darauf gewartet dich endlich kennen lernen zu können."

Für einen Traum fühlte sich all das hier bloss ein bisschen zu echt an. Doch war es zu intensiv um kein Traum zu sein, ich spürte meinen Körper nicht. Ich sah zum Fenster über meinem Bett. Das Gras auf der Lichtung war grüner als sonst, und die Luft, die von da her wehte kühler und frischer. Sie roch noch mehr nach Freiheit und Natur als sonst. Bis jetzt hatte ich sie nie so wahrgenommen. "Was ist das hier?", meine Stimme war höher, reiner als sonst.

"Es ist, was du willst." Was ich will? Ohne sie zu berühren konnte ich die rauen Erdwände um mich herum spühren. Aber nicht so wie sonst, denn ich konnte jede kleine Vertiefung, jedes etwas losere Stück, alle Ungleichheiten in der Härte fühlen. Ich konnte nicht nur genau fühlen sondern auch genau verstehen, wie rau sie war. Die Eisenstangen vor meinem Fenster waren dagegen glatt und kälter. Ich spührte sie als Gefühl anstatt als Materie.

Dann verschwamm alles. Alles was ich gerade zum ersten mal wahrgenommen hatte kam nun von allen Sinnen gleichzeitig auf mich zu. Es war als könnte ich das Leben, die Essenz des Lebens, nach der jeder sein ganzes Leben lang strebt, endlich sehen. Und fühlen. Und hören, riechen, schmecken. Zu viel um es zu verstehen, aber für einige Momente hatte ich Erfüllung gefunden, die tiefer schien als alles was ich bisher gefühlt hatte.

"Du bist mein Engel."

"Warum bist du hier?"

"Ich möchte dass du weisst, dass egal wo du bist, ich werde da sein."

"Wer bist du?"

"Ich bin Gott."

Schweigen. Was ich gerade gefühlt hatte und was auch jetzt noch in mir tobte, wie gold-braun-rote Herbstblätter es im Donnwellkatt taten wenn der Wind sie zum tanzen aufforderte, konnte mich nicht davon abhalten zu sagen, was ich sagen wollte:

"Was wenn ich nicht an so etwas glaube?"

"Aber du siehst mich doch?" Die Verblüfftheit passte nicht zu der Stimme.

"Und doch weiss ich nicht ob du Gott bist. Und ich weiss ganz sicher dass ich nicht dein Engel sein will. Ich habe eine Bestimmung, hier wo ich bin und sie kam nicht von dir."

Schweigen. Dann spührte ich wie meine Wahrnehmung schwächer wurde, der Traum war beinahe vorbei.

"Du wirst es noch lernen.", war das letzte was ich hörte, bevor ich aufwachte.

Im Nebenzimmer sang die Ratte, komplett schief, ein Lied über die Seefahrt. Durch sein schiefes Gesinge weckte er mich am liebsten auf. 

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