22.Abschnitt (7.6.4,5; Sommer; Aus der Sicht der Ratte)

7 0 0
                                    

Die Klamotten, die ich vor der Zwangsversteigerung aus unserem Haus hatte retten können waren mir inzwischen alle zu klein geworden. Ich hatte mir ein paar Klamotten von den Wäscheleinen geklaut. Aber das hatte nur eine Zeit lang gut funktioniert, denn natürlich hatte man gemerkt, dass einige Kleidungsstücke fehlten und behielt die Wäscheleinen jetzt immer im Auge.

Ausserdem hatte ich keinen sauberen Schrank und konnte die Kleidung auch nicht immer mit Waschmittel waschen. Früher hatte ich noch versucht nicht so auszusehen wie ein Landstreicher, aber inzwischen hatte ich es aufgegeben. Viele in der Stadt kannten mich sowieso und sie wussten, dass ich kein Zuhause mehr hatte. Ich hatte es trotzdem geschafft, auf der Strasse zu überleben. Als schmutziger, flinker Dieb. Den Namen Ratte hatten mir meine Freunde gegeben. Sie gingen alle noch in die Schule. Am Anfang war ich auch noch in die Schule gegangen aber die Lehrer hatten sich immer mehr über meine schlechte Erscheinung aufgeregt. Sie hatten mich mehrmals aus dem Unterricht werfen müssen, bebor ich aufgegeben hatte.

Ab und zu konnte ich bei einem meiner Freunde duschen, meist wenn ihre Eltern nicht da waren. Aber aufgrund meines wohlverdienten Rufes liessen sie mich eher ungern in ihr Haus.

Auf dem Sportplatz vor der Schule trainierte ich immer noch viel, denn um durch die Fenster im ersten oder zweiten Stock eines Hauses zu klettern musste ich stark sein. Ausserdem musste ich im Falle dass jemand aufwachte während ich noch im Haus war auch sehr schnell rennen können.

Wertsachen stahl ich fast nie, denn ich hatte selbst keine Verwendung dafür und nur selten fand ich jemanden, der sie mir abkaufen würde. Ich stahl häufig Essen und trinken oder Geld und Kleidung. Am Anfang hatte ich es noch mit betteln versucht aber es war nie genug zusammen gekommen um mich und meinen Vater zu versorgen.

Ich wäre gerne zu meinem Onkel nach Berka gegangen aber ich konnte meinen Vater nicht hier zurück lassen und es war ein langer und gefährlicher Weg von hier nach Berka. Vor allem, wenn man alleine ging.

Als ich meinen Vater mal vorsichtig darauf angesprochen hatte, hatte er mir eine schmerzhafte Ohrfeige gegeben und gelallt: "Findest du etwa ich versorge dich nicht mehr gut genug?" Dann war er umgekippt und ich hatte seinen schlaffen Körper gut 500 Meter zu unserem kleinen, halb zerfallenen Zuhause am Stadtrand zerren müssen.

Manchmal dachte ich darüber nach ihn im Winter einfach erfrieren zu lassen. Das hätte einiges einfacher gemacht.

Aber er war trotz allem immer noch mein Vater.

Es war ein warmer Sommertag und ich hatte mich in den Park begeben um das Wetter zu geniessen und vielleicht ein paar Geldbeutel verschwinden zu lassen. Erst joggte ich ein paar Runden um den See, aber als es mir zu heiss wurde setzte ich mich auf eine der Bänke. Sie waren alle besetzt also setzte ich mich auf die, wo noch ein Platz frei zu sein schien. Drei Mädchen sassen dort. Zwei waren sehr dünn, schmal, die dritte wirkte neben ihnen ein bisschen wie ein Elefant. Von der kleinen braunhaarigen hatte ich schon gehört, das war Lintu. Man redete viel über sie in der Stadt. Wie erwartet standen die Mädchen auf als ich mich auf die Bank setzte.

Ach, nein. Der Elefant war sitzen geblieben.

Sie rückte ein Stück von mir weg. Dann rückte sie wieder ein Stück näher zu mir, als habe sie ein schlechtes Gewissen. Sie nahm einen tiefen Atemzug, verzog das Gesicht und rückte dann ganz auf das andere Ende der Bank. "Hallo, ich bin Hanna." sagte sie.

"Meine Freunde nennen mich Ratte."

"Hallo Ratte."

"mhmm."

"Du stinkst."

Ich wollte aufstehen und gehen. Als ob es nicht genug wäre von allen gemieden zu werden.

NamenlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt