01 | Studiosession

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Februar 2019

»Gib mir noch zehn Minuten, Bruder, dann bin ich da.«

Ich warf einen Blick auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Typisch, dass John wieder mal zu spät kam. Er hatte sich auch erst gemeldet, als er unsere Verabredung sowieso schon um dreißig Minuten verpasst hatte.

Mittlerweile war ich es zwar gewohnt, aber es nervte mich trotzdem. Unser Zeitplan war straff. Wir mussten das komplette Tourprogramm durchsprechen, mehrere Änderungen im Ablauf vornehmen und die Aufteilung der Backstageräume klären. Allem voran stand der Generaldurchlauf der Songs. Wir mussten perfekt aufeinander abgestimmt sein und durften uns möglichst keine Fehler erlauben. Ich wollte eine perfekte Show.

»Alles klar. Bis gleich«, verabschiedete ich ihn und legte auf.

Ich wandte mich mit meinem Bürostuhl dem Mischpult zu und spielte einen Beat ab, an dem ich die letzten Stunden gefeilt hatte. Meine Augen waren geschlossen und ich nickte leicht mit dem Kopf im Takt mit. Irgendwann pausierte ich den Beat.

»Das geht so nicht. Die 808s müssen mehr ballern und die Gitarre klingt echt scheiße«, murmelte ich. Ich bearbeitete die Drums, doppelte sie und fügte weitere Soundeffekte hinzu. Die andere Spur löschte ich komplett. Aus dem Nebenraum holte ich meine E-Gitarre und spielte mich einige Minuten warm, bevor ich begann, die kurze Sequenz erneut aufzunehmen.

»Scheiße, schon wieder verkackt«, fluchte ich, als ich zum vierten Mal die Aufnahme versemmelt hatte. Frustriert löschte ich die unbrauchbare Spur, wischte meine Hände an meiner beigen Nike Jogginghose ab und drückte ein weiteres Mal auf Record. Im fünften Anlauf schaffte ich es endlich, die Melodie fehlerfrei einzuspielen.

Keine zehn Sekunden nachdem ich fertig war, platzte John ins Studio. »Der große Meister übt wieder seine Gitarrenriffs«, stellte der blonde Lockenkopf anerkennend fest. »Respekt, bro. Klingt gut.« In seiner Hand schwang eine weiße Plastiktüte hin und her.

»Hast du was zu Essen mitgebracht?«, wechselte ich neugierig das Thema und zeigte auf die Tüte. »Ich habe vorhin einen kurzen Stopp beim Asiaten eingelegt. Doppelte Portion Sushi für dich und für mich gibt es Frühlingsrollen und gebratene Nudeln mit Ente und Shrimps«, verkündete er zufrieden. »Bombe, Bruder.«

Ich speicherte mein aktuelles Projekt und folgte John zu dem kleinen Tisch mit vier Stühlen im Eingangsbereich, der hauptsächlich als Essecke diente. Aus der Küche holte ich Besteck sowie zwei Dosen Redbull. Wir packten alles aus und begannen zu essen.

Nebenbei erzählte John, dass er vor Tourbeginn ein paar Tage mit seiner Tochter verbringen würde. Seine Augen leuchteten, als er von ihr sprach. Auch wenn er viel zu wenig Zeit mit Tyga verbringen konnte und vieles in ihrer Entwicklung verpasst hatte, liebte er sie abgöttisch.

Im Gegenzug teilte ich ihm mit, dass ich im Frühling und Sommer ein paar Monate in Wien leben würde, um an meinem letzten Album weiterzuarbeiten und es fertigzustellen. Direkt im Anschluss an das letzte Konzert würde ich erst vier Wochen bei John in Hamburg bleiben und danach mit dem Auto in meine Heimatstadt fahren.

Als wir fertig waren, begaben wir uns wieder in den Hauptraum des Studios. John zog die zusammengefaltete, leicht zerknitterte Tracklist aus seiner Hosentasche und legte sie auf den Tisch.

»Joe hat darum gebeten, dass wir die Show der 187 Strassenbande ausdehnen, da die Jungs gerne ein zusätzliches Lied spielen wollen. Alex und Maxwell wollen ihre neue Single ›Mercy Mercy‹ performen. Wäre das okay für dich?«, unterbreitete der Hamburger mir das Anliegen seiner Truppe.

»Von mir aus. Aber wir haben einen straffen Zeitplan und dürfen nicht überziehen. Das bedeutet, dass wir einen anderen Song herausnehmen müssen.« Ich starrte auf die Liste und überlegte fieberhaft.

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