14 | Zwölf Jahre

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Raphaels Sicht

Wie versprochen klingelte ich am Samstagabend pünktlich an Isabells Haustür. »Komme gleich«, tönte ihre Stimme durch die Gegensprechanlage. Ich verkniff mir einen blöden Spruch und wartete.

Zwei Minuten später trat Isabell top gestylt aus dem Haus. Ich scannte sie von oben bis unten. Was mir direkt auffiel, war, dass sie keine Schiene mehr trug. Ihre langen blonden Haare hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden.

Passend zum herbstlichen Wetter an diesem Tag trug sie einen dünnen beigen Wollpullover, den sie in ihren schwarzen Minirock gesteckt hatte. Darunter trug sie eine ebenfalls schwarze Strumpfhose.

Ein filigranes, goldenes Armband, ein heller Mantel, ihre Clutch und schwarze Chelsea Boots rundeten das Outfit ab. Sie hatte sich dezent geschminkt und roch nach einem guten, teuren Parfum.

Für das Restaurant, in das wir gingen, war sie beinahe etwas zu vornehm gekleidet. Mir gefiel dieser Stil an ihr aber ziemlich gut. Kein Vergleich zu der Frau, die mir vor ein paar Tagen in viel zu weiter Jogginghose im Kiosk begegnet war - auch wenn sie das ebenfalls problemlos tragen konnte. Fast könnte man meinen, wir hätten ein Date, aber dem war nicht so.

»Hey Rapha«, sagte sie zur Begrüßung. »Hallo Bella.« Unsicher standen wir uns einige Sekunden gegenüber, ehe mich Isabell in eine flüchtige Umarmung zog.

Es kam so schnell und unerwartet, dass ich gar nicht richtig reagieren konnte und sie nicht umarmte. »Sorry«, murmelte sie und sah mich entschuldigend an.

Wir liefen nebeneinander durch die Gassen unseres Bezirks und in Richtung der Pizzeria. »Wie geht es dir? Du trägst deine Schiene nicht mehr«, stellte ich das Offensichtliche fest.

»Den Umständen entsprechend ganz gut, danke. Ich habe aber noch leichte Schmerzen. Wie geht es dir?« »Ich habe momentan viel Stress, da der Release meines letzten Albums ansteht«, erwiderte ich. Überrascht sah sie mich an.

»Warte, was? Habe ich das richtig verstanden? Du hörst auf?« »Ja. Ich möchte mich zukünftig mehr anderen Dingen widmen. Musik wird aber weiterhin immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens bleiben.« Ich erläuterte ihr ein paar der Gründe dafür, wie ich es auch schon für Fans in Interviews erklärt hatte.

Inzwischen waren wir an der Pizzeria angelangt und betraten das kleine, mit dunkelbraunem Holz vertäfelte Restaurant. Über die Jahre hinweg hatte sich nicht viel verändert. Noch immer hingen die alten Fischernetze an der Decke und auch die Bilder und Dekofiguren waren noch dieselben wie früher.

Es fühlte sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wir suchten uns einen Platz in einer kleinen Nische, setzten uns gegenüber und studierten die Speisekarten. Schließlich entschieden wir uns beide für Pizza.

»Es freut mich, dass wir uns mal wieder sehen. Wie viele Jahre ist es jetzt her?«, fragte ich. Es musste ziemlich lange gewesen sein. Eigentlich kannte ich die Antwort ja, es war nur eine rhetorische Frage gewesen.

»Zwölf Jahre. Zwölf verdammte Jahre, in denen du nicht ein Mal gemeldet hast«, antwortete mein Gegenüber mit fester Stimme.

»He, lass uns jetzt nicht streiten. Ich weiß, dass das scheiße war. Von mir aus können wir gerne nachher darüber reden, aber nicht hier. Ich würde gerne in Ruhe essen«, versuchte ich sie zu besänftigen.

Zwölf Jahre waren eine extrem lange Zeit. Mir kam es gar nicht so lange vor. Es war schön, Isabell wiederzusehen, aber auch ungewohnt.

Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von früher, das damals schon häufig vernünftiger gewesen war als ich. Sie war erwachsen, lebte ihr eigenes Leben und hatte ihre Karriere, wie sie mir erzählte.

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