Das Experiment

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Der Rest des Vormittages und Mittages vergeht, ohne weitere Vorkommnisse. Irgendwann kann ich nicht mehr sitzen und schlage vor, eine Runde durch den Wald spazieren zu gehen.

Wir ziehen uns unsere Jacken an und dieses Mal achte ich darauf, nicht nur in Strickjacke das Haus zu verlassen. Zusammen machen wir uns auf den Weg in den Wald und brechen in Richtung einer Lichtung auf, die mir die anderen gezeigt haben.

Der Weg ist zu schmal, als dass wir alle nebeneinander hätten laufen können, also gehen Lukas und ich vor, während Amira und Chris hinter uns herlaufen. Nach ungefähr fünf Minuten sind wir bei der Lichtung angekommen. Sie ist riesig und im Frühling und Sommer voller Blumen und Insekten. Jetzt wo es kälter wird, ist sie recht kahl, aber mitten auf der Lichtung ist ein Kreis aus Steinen, mit einem Baumstamm in der Mitte, als wäre dort eine kleine Runde, extra von der Natur geschaffen. Sie ist perfekt zum Sitzen und Entspannen.

Zwei der Steine sind dermaßen nass und glitschig, dass Amira sich auf den Schoß von Chris setzt und Lukas mir seinen anbietet. Ich hege den Gedanken, dass ich für ihn zu schwer bin und lehne das Angebot dankend ab.

Lukas betrachtet mich kurz, – er weiß, warum ich abgelehnt habe – zieht mich an meiner Hand auf seinen Schoß und hält mich fest. Nach ein paar schwachen Versuchen mich von ihm zu lösen, gebe ich schließlich auf und lehne mich leicht an ihn, wobei mich sein Geruch erneut umhaut. Es ist mir vorher nie aufgefallen, wie gut er riecht.

»Tja Mitch, das erreicht man, indem man duschen geht.« Sein leises und tiefes Lachen dringt an mein Ohr. Erschrocken sehe ich zu ihm auf. Er schüttelt den Kopf um mir mitzuteilen, dass ich es nicht laut ausgesprochen habe. Aber das heißt, dass Lukas mich mal wieder lesen kann, wie ein offenes Buch.

Ich blicke rüber zu Amira und Chris und stelle fest, dass die beiden sich dermaßen ausgiebig über ein Thema unterhalten, von dem Lukas und ich keine Ahnung haben, dass wir gar nicht erst versuchen müssen in die Unterhaltung einzusteigen.

Mir fällt auf, wie offen Chris und Amira sich angucken, jede Fassade ist von ihnen abgefallen und sie sind ganz sie selbst.

Ich versinke in den Gedanken darüber, wie jeder Mensch eine Fassade aufzieht und sie anderen Menschen zeigt, um sich selbst und die anderen zu beschützen. Sich selbst teilweise verleugnet und sich verstellt, bis man nicht mal mehr weiß, wer man eigentlich ist.

»Mitch dein Kopf raucht fast. Entspann dich doch mal.« Ich hebe meinen Kopf von Lukas Schulter, um zu sehen, dass er mich aufmerksam durch seine Brillengläser beobachtet. Mit einem schnellen Blick zu den anderen beiden versichert er sich, dass sie nichts von der Umwelt mitbekommen, hebt mich sanft von seinem Schoß und stellt mich wieder auf die Beine. Erst jetzt fällt mir auf, dass er immer noch meine Hand hält, sie ist angenehm warm in seiner. Meine Hände sind fast immer kalt und ich mache mir gerne einen Spaß daraus, meine Hände Amira, Chris oder Lukas in den Nacken zu halten.

Sanft zieht Lukas mich mit sich, während er den anderen beiden sagt, dass er mich mal kurz entführen muss. Er läuft unbeirrt durch den Wald, was sich für mich als gar nicht so einfach erweist. Ständig stolpere ich, oder bleibe an Wurzeln hängen, aber das stört ihn nicht.

Sein Ziel ist der Spielplatz, denke ich. Aber als er an einer Gabelung links und nicht rechts abbiegt, bin ich verwirrt. Der Weg führt zurück zum Internat. Und er steuert tatsächlich geradewegs das Haus an, zieht mir den Schlüssel aus der tauben Hand, schließt auf und lässt mich eintreten.

Zu perplex, um sprechen zu können, beobachte ich ihn dabei, wie er die Sachen von Chris und Amira in das Auto von Chris räumt, sein Handy herausholt und schnell eine Nachricht schreibt.

Geprägt von DämonenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt