Mit diesen wenigen Worten lässt meine Schwester meine gesamte Welt untergehen. Ich stehe nur da. Starr vor Schreck. Das kann nicht passieren. Es muss sich um einen Albtraum handeln. Als ich nicht reagiere, schaut meine Schwester auf.
»Du wusstest es wirklich nicht, oder?« Sie blickt mich traurig aus ihren hellblauen Augen an und ihr wunderschönes Gesicht ist vor Kummer verzogen. Stumm nimmt sie mich in den Arm. Sie wusste davon. Unsere Eltern haben sie geschickt, damit sie mich abholt.
»Seit wann weißt du davon?« Meine Stimme klingt total erstickt, als ich versuche sie zu festigen.
»Papa hat es mir am Sonntag erzählt.« Heute ist Mittwoch, also kann ich meine Wut nicht an ihr auslassen.
»Wie konntest du das zulassen? Lina, du weißt doch, wie gerne ich hier bin. Du weißt, wie gut mir die Leute hier tun. Bedeutet dir unser Tattoo denn nichts? Wir haben es uns stechen lassen, um immer füreinander da zu sein!« Wütend deute ich auf die Tattoos an unseren Handgelenken. Wir haben uns den Umriss der Insel stechen lassen. Und mitten in der Insel steht der Anfangsbuchstabe der anderen, damit wir immer zueinander stehen können.
»Doch natürlich bedeutet mir unser Tattoo etwas. Aber du weißt, dass man Papa nicht widerspricht. Die Konsequenzen, solltest du doch am besten kennen.« Sie hat Recht. Man kann unserem Vater keine Widerworte geben. Nicht ohne mit Konsequenzen zu rechnen. Die wünsche ich Niemandem. Mit gesenktem Kopf hole ich die Kartons aus ihrem Auto, drei riesige Umzugskartons. Da wird definitiv alles hineinpassen, schließlich besitze ich nicht viel. Meinen Platz im Bad räume ich als erstes, dann hole ich meine privaten Sachen aus der Küche. Das alles packe ich in einen Karton. Einen zweiten Karton bestücke ich mit Schulsachen, packe alles hinein was ich finden kann. Alte Textbücher, das aktuelle, sämtliche Bücher und Hefter. Der dritte Karton wird mit meinen Habseligkeiten gefüllt, Fotos, Laptop, Bettwäsche, alles mögliche.
Als wir die Kartons fertig gepackt haben, verstauen wir alles im Auto. Ich kann nicht anders als zu weinen. Der Gedanke, nicht mehr hier im Internat zu leben, zurück nach Hause zu müssen, versetzt mir an sämtlichen Körperstellen Schmerzen.
Vie, Al, Kalle, Key und Lil haben sich vor dem Haus versammelt. Sie wollten mir wohl schöne Ferien wünschen, aber als sie sehen, dass Lina und ich Kartons und drei Koffer schleppen, bleiben sie wie angewurzelt stehen.
»Lina? Darf ich mich noch verabschieden?« Ich weiß nicht, ob meine verweinten Augen – ein Wunder, dass meine Linsen noch in meinen Augen sitzen – sie überzeugen, oder sie es nicht mit ansehen kann, aber sie stimmt zu.
»Was ist hier los? Wieso schleppen deine Schwester und du so viele Kartons und Koffer?« Key ist nicht weniger verwundert, als die anderen vier Mädchen.
»Meine Eltern nehmen mich vom Internat. Ich werde wieder nach Hause ziehen müssen.« Mit dem Ärmel von meinem Pullover, wische ich mir die Tränen von den Wangen.
»Aber das können sie doch nicht machen! Du bist doch mitten in der Vorbereitungen für deinen Abschluss!« Lil kann es nicht fassen.
»Sie sind der Meinung, dass mir die Leute hier nicht guttun.« Wir nehmen uns alle in den Arm, sprachlos über das, was gerade passiert. Wir versprechen uns, in Kontakt zu bleiben und ich kann nur nicken. Langsam drehe ich mich von ihnen weg und laufe zum Auto meiner Schwester.
Als ich mich auf den Beifahrersitz setze, zeigt mein Handy eine Nachricht von Lukas an und nur mit Mühe kann ich mich zusammenreißen und seine Nachricht öffnen.
~Hey Mitch, ich wünsche dir
schöne Ferien und hoffe,
dass sie nicht allzu schlimm
DU LIEST GERADE
Geprägt von Dämonen
RomansMichelle Williams, oder auch Mitch, wie sie von fast allen genannt wird, lebt quasi zwei Leben. Es gibt ihr Leben auf der Insel, von dem sie versucht so ziemlich jeden fernzuhalten und es gibt ihr Leben im Internat und der Schule. Zu ihrer Familie h...