T H I R T E E N

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Evelyn war wieder im Wald. Es war sehr düster, die Blätter der Bäume waren dunkelgrün verfärbt, ihre Stämme fast so schwarz wie der Boden und der Kiesweg, welchen die Hellblonde entlang lief, leuchtete rein weiß, irgendwie silbern, wie eine Mondstraße auf dem Ozean. Der Nebel, dicht und wattig, kroch zwischen den Baumstämmen immer näher und brachte eine feuchte Kälte mit sich, die Evelyns Glieder umwaberte und versuchte durch jede Poore ihrer Haut in ihren Körper einzudringen.

Auch der Himmel schien aus Nebel zu bestehen. Grau-weiße Wolken bedeckten das Blau vollständig und eben, sodass es fast so wirkte, als sei dort eine glatte, feste Fläche, die einen abschirmte wie ein Dach.
Oder einsperrte.

Vor ihr auf dem Steinpfad lief der Fuchs im Schnürgang geradeaus, sein flauschiger, roter Schweif wippte auf und ab und seine braunen, großen Ohren waren aufmerksam aufgerichtet, schienen etwas zu zu hören aus weiter Ferne. Auch Evelyn lauschte nun, doch da war nichts. Kein Laut drang an ihre Gehörgänge.

Keine zwitschernden Vögel, kein Rascheln im Unterholz, nicht die Schritte des Fuchses und auch nicht ihre eigenen. Da war nur wieder dieser grelle, unglaublich hohe Klang in ihren Ohren und schien sich von dort aus in ihr Trommelfell zu graben.

Der Nebel hatte den Steinweg schon längst erreicht. Er verschluckte den Teil, den sie hinter sich ließen und gaben die noch unbegangene Strecke Stück für Stück frei, nur um sie erneut aufzufressen. Jedes Mal wenn Evelyn dachte, dass sie nun am Ziel wären ging es doch noch weiter, sie fühlte sich, als liefe sie im Kreis.

Der Nebel kroch näher. Ein kalter Hauch berührte ihren Nacken, doch sie konnte sich nicht umdrehen. Nur weiter gehen. Weiter und noch weiter, immerzu dem Fuchs nach.

Er führte, sie folgte.

Auch der Himmel begann nun nach unten zu fallen, wie ein sanfter Schleier. Die Bäume waren bereits verschwunden, hatten sich aufgelöst in grauen, wabernden Rauch und auch der Weg schien zu verblassen, der Fuchs war dem Nebel ebenfalls zum Opfer gefallen. Und irgendwann war alles weg.

Evelyn war alleine.

Es war kalt, es war still und es war seltsam finster, obwohl es weiß um die Hellblonde herum war.
Plötzlich hatte sie keinen Boden mehr unter den Füßen, sie konnte nicht mehr ausmachen wo oben und unten war, fühlte sich, als stünde alles auf dem Kopf und dann, als würde die Welt sich im Kreis drehen, wie ein Karussell auf einem Jahrmarkt.

„Fuchs!” schrie sie ängstlich und verzweifelt. Doch keine Antwort kam zurück. Sie wollte hier raus! Sie wollte nicht hier sein! Sie wollte zurück!

~Was wenn ich hier für immer bleiben muss?~

Sie verkrampfte sich. Die bloße Vorstellung an diesem leeren Ort festzusitzen jagte ihr eine mächtige Furcht ein. „Fuchs!” rief sie wieder, mit einer heiseren, halb erstickten Stimme. „Fuchs, wo bin ich?”

Keine Antwort.

Der rotfellige Wildhund gab kein Geräusch von sich, was sie in ihrer stetig anschwellenden Panik wahrscheinlich eh nicht gehört hätte, geschweige denn, dass er sich ihr zeigte. Vermutlich lief er immernoch einfach geradeaus und hatte garnicht gemerkt, dass Evelyn nicht mehr da war, vom Wege abgekommen.
Man hatte sie vergessen.
~Papa?~ fragte eine leises Stimmchen in ihrem Kopf, zögerlich, beunruhigt.
~Papa? Geht es dir gut?~

Er gab keine Antwort. Er saß einfach am Küchentisch, umringt von leeren Bier- und Schnapsflaschen, saß da und starrte ins Nichts.
Das tat er sehr oft in letzter Zeit. Genauso oft wie er sich mit seiner Frau stritt.

~Ob er traurig ist?~

Die kleine Evelyn setzte langsam einen Fuß in die kleine, dreckige Küche und fragte wieder ob es ihrem Vater gut ginge, so scheu wie ein Reh, das am Waldrand angekommen war.

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