T W E N T Y T W O

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In den folgenden Tagen verbrachte Evelyn die meiste Zeit damit zu zeichnen oder sich um ihr verletztes Sprunggelenk zu kümmern. Lawrence hatte ihr vier verschiedene Übungen gezeigt damit die Beweglichkeit des Gelenks erhalten blieb, außerdem sollten diese Übungen auch die Muskulatur stärken. Er hatte sie vorgewarnt, dass es bis zu fünf Monate lang dauern könnte bis ihr Fußgelenk wieder vollständig geheilt war und er hat ihr ebenfalls geraten die Übungen sofort einzustellen, sollten sie ihr nur mehr Schmerzen bereiten.

„Woher weißt du so viel über so was?” hatte Evelyn staunend gefragt, als er ihr die Übungen, sobald die Schwellung an ihrem Gelenk zurückgegangen war, vorgezeigt hatte. Der Brillenträger hatte schwach gelächelt und geantwortet: „In meinem Elternhaus gab es eine kleine Bibliothek. Um meine Noten auf einem stabilen Einser-Stand zu halten haben meine Eltern mich manchmal dort eingesperrt und mich erst wieder raus gelassen, wenn ich sämtliche Bücher durchgelesen hatte. Da war auch das ein oder andere Medizinbuch dabei.”

Dann hatte er die Hellblonde die erste Übung machen lassen, das sogenannte 'Schaukeln'. Man setzte sich aufrecht auf einen Stuhl und stellte die Füße so auf den Boden, dass sich die Sprunggelenke in einer senkrechten Achse unter den Knien befanden. Dann wippte man abwechselnd auf die Zehenspitzen und die Ferse. Evelyn machte das fünfzehn Mal, manchmal links und rechts parallel manchmal entgegen gesetzt. Sie fand, dass es alles andere als angenehm war, aber nicht viel mehr weh tat als es für ihr Gelenk eh schon Alltag war.

Die zweite Übung nannte Lawrence 'Fußkreisen'. Sie musste sich wieder auf einen Stuhl setzten, die Beine etwas angeben und dann die Füße kreisen. Nach zehn Umdrehungen wechselte sie die Richtung. Auch dies tat sie manchmal mit beiden Füßen in die Gleiche und dann wieder in die Entgegengesetzte und wie auch die erste schmerzte diese Bewegung nicht besonders.

Was dann schon mehr weh tat war der 'Zehenstand', bei welchem man sich hüftbreit auf festen Boden stellen und kontrolliert mit den Füßen nach oben bis auf die vorderen Ballen und dann langsam wieder auf die Fersen abrollen sollte. Eigentlich sollte sie das fünfzehn Mal machen, aber Evelyn war immer noch nicht in der Lage alleine zu stehen und so konnte sie auch den 'Einbeinstand' noch nicht machen, bei welchem man sich mit leicht gebeugtem Knie auf ein Bein stellen und diese Position dreißig Sekunden halten musste.

Lawrence bat sie geduldig mit ihrem Körper zu sein und ihren Fuß nicht unnötig zu belasten, was übersetzt hieß: kein Stehen oder Gehen ohne Hilfe, am besten garnicht, also auch keine Patrouillen. Ihre letzte Dusche war eine Woche her. Ihr hellblondes Haar fiel offen und bereits wieder fettig über ihre Schultern und unter ihren Augen zeigten sich ihre schlaflosen Nächte in Form von dunkel violetten Schatten und sonst durch blasse Haut.

Eine Depression nagte immer wieder an ihrem Gemüt, wollte ein tiefes und pechschwarz triefendes Loch in sie hinein fressen. Judys Verschwinden, Jays Tod und nun ihre Hilflosigkeit durch ihr luxiertes Sprunggelenk angesichts der Tatsache, dass sie einen Verräter in der Gruppe hatten. Jedes Mal wenn Evelyn ihre Übungen machte und bemerkte wie schwer ihr diese manchmal fielen, musste sie daran denken, dass sie das alles vor nicht all zu langer Zeit mühelos hatte tun können und nun vielleicht nie wieder.

Die Anderen, von Scarlett abgesehen versuchten sie zu ermutigen und zu motivieren, doch die Angst nicht mehr alleine laufen zu können lag ihr schwer im Magen und sorgte für eine beinahe konstante Übelkeit, sodass sie immer magerer wurde. Außerdem fand sie es unerträglich der Gruppe nicht mehr helfen zu können, nun nicht mehr war als eine Last, jemand der die Überlebenden nur aufhielt und nichts anderes tun konnte als ihnen die Vorräten weg zu essen und sonst nur nutzlos herum zu sitzen.
Scarlett beschwerte sich sehr oft darüber, hatte sogar einmal vorgeschlagen Evelyn einfach auszusetzen. Die Hellblonde selbst war nicht dabei gewesen, aber Zion und Eugene hatten ihr Bericht erstattet. Die Beiden schienen sich wieder halbwegs zu vertragen, auch wenn sie die Existenz des jeweils anderen nach wie vor größtenteils ignorierten.

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