T E N

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Der Fuchs schlich leise und aufmerksam durch die Straßen der Stadt. Von Anfang an hatte er gewusst, dass hier etwas nicht stimmte, hatte es gerochen, bevor er den sehr großen Zweibeiner-Ort überhaupt betreten hatte.

Der Geruch von verwesendendem Fleisch war normalerweise kein besonders großes Problem für ihn, er hatte sich selbst sogar schon einige Male von Aas ernähren müssen, meist bei Blattleere, wenn es weniger Beute gab und selten eine Jagd erfolgreich war. Aber dieser Gestank war anders.
Er war zunächst einmal intensiver, stach tiefer in seiner empfindlichen Hundeschnauze und dann hatte der Geruch einen dunklen Vorboten, einen, der seine Nase viel früher heimsuchte als der Verwesungsgestank selbst. Das sauere, finstere Parfüm der Krankheit und, so wie es schien, des Todes selbst.

Er hatte es gewittert, schon als er noch im Wald gewesen war, war dieser Gestank des verbotenen, wandelnden Todes zu ihm herüber geweht und als er dann mit dem sonderbaren, etwas unbeholfenen Zweibeiner-weibchen vor dem Zweibeiner-Ort gestanden und gewusst hatte, dass er diesen auch betreten musste, war der schreckliche Geruch übermächtig gewesen.

Und jetzt, als er so über die leblosen Donnerwege schlich und wachsam seine spitzen Ohren in alle Richtungen drehte und darauf achtete keinen Laut von sich zu geben, möglichst unsichtbar zu bleiben, wagte er es kaum einzuatmen.
Das war ja die reinste Nasenfolter!

Wie gerne würde er wieder zurück in den Wald verschwinden, zwischen den Bäumen umherstreifen, Mäuse jagen und den frischen und lebendigen Duft der feuchten Rinde und der Blätter einatmen.
Dorthin zurück, wo der Boden weich war, von Laub und Tannennadeln gebettet und nicht wie die Donnerwege, kalt, hart und mit Müll bedeckt.
Dorthin zurück, wo alles lebte und wenn es tot war tot blieb.

Aber er konnte nicht.
Er durfte nicht.
Es war seine Aufgabe für das junge Zweibeiner-weibchen zu sorgen, es zu führen, so war es ihm aufgetragen worden.

Der Fuchs machte einen großen Bogen um eines der stillstehenden Autos und beäugte es misstrauisch.
Diese Monster kannte er.
Sie stanken, machten fürchterlich viel Lärm und holten sich hin und wieder ein Tier, welches einen Donnerweg überqueren wollte und nicht rechtzeitig reagierte, wenn ein Monster, schnell, ohrenbetäubend brüllend und mit wild glühenden Augen daher raste.
Er mochte sie nicht.

Aber dieses hier war still und rührte sich kein Bisschen.
Es schlief wohl, oder war tot.
Alles hier war tot.
Aber nicht richtig.

Fast alle Zweibeiner hier waren gestorben und trotzdem wanderten sie noch umher, solange bis ihr Fleisch vollständig verwest und ihre Körper bis auf die Knochen zerfallen waren. Und bis dahin setzten die Verbotenen ihre sinnlosen Streifzüge durch den Zweibeiner-Ort fort um, wenn sie auf einen noch wirklich lebendigen Artgenossen trafen, zu töten und zu fressen, was nicht zu ihrer falschen, faulen Welt gehörte.

Wobei sie ihre Beute nie ganz fraßen. Sie ließen immer genug übrig um die sterbenden Zweibeiner auch zu Verbotenen zu machen.
Der Fuchs vermutete, dass dies ihre Art war sich fortzupflanzen.

Ihm war auch aufgefallen, dass diese halbtoten Wesen ihn garnicht beachteten, so als wären sie lediglich am Fleisch ihrer Artgenossen interessiert und obwohl ihn diese Tatsache wirklich anekelte war er im Moment dankbar dafür.
Aber wer war er schon, dass er sich nun in Sicherheit wiegen konnte?

Er traute ihnen nicht und sobald er ihre ungesund verkrümmten Gestalten auf einem der Wege oder in einem der Zweibeinerbaue entdeckte, war er sich nicht zu schade einen großen Umweg zu machen.
So wie jetzt.

Er bog um die Ecke und fand das Schultor, zwischen dessen rostigen Eisenstäben er normalerweise hindurch schlüpfte um auf das Schulgelände zu kommen, umringt von Untoten vor.
Angewidert stieß der Fuchs den saueren Gestank, den sie mit sich trugen, aus seiner feuchten Schnauze, was ein lautes Ausschnaufen erzeugte.

Die nicht ganz Toten beachteten ihn nicht. Sie wanderten einfach weiter, ziellos, leblos und verloren in einer Welt in die sie nicht gehörten.

Der Fuchs umrundete die Gruppe und trabte an der hohen Steinmauer  entlang, die den Bau seines sonderbaren Zweibeiners einschloss und dafür sorgte, dass die Verbotenen nicht zu ihr hinüber gelangten.

Er wusste, dass Evelyn dort nicht alleine lebte. Er kannte Judy, sie hatte ihn natürlich noch nie zu Gesicht bekommen, aber er kannte sie und auch war ihm bekannt, dass sie zu Evelyn gehörte, also vertraute er ihr.
Bei ihren anderen Baugefärten war er  sich nicht so sicher. Besonders nicht bei Jay und Scarlett.
Diese beiden hatten etwas an sich, was der Fuchs als äußerst beunruhigend und bedrohlich empfand.
Evelyn mochte sie nicht, also hatten sie auch nicht sein Vertrauen.
Er würde sie im Auge behalten.

Und dann war da noch jemand, der Fuchs war sich nicht sicher wer es aus der Gruppe war, aber spürte, dass er bereits auf der Lauer lag. Der Zweibeiner.
Er spürte, dass der nicht Erkannte sich bereits an seine Beute anschlich. Er hatte es gefühlt, als sich die Gruppe bei Sonnenfall getroffen hatte, darunter auch sein sonderbarer Zweibeiner.
Er hatte nicht ausmachen können woher die Bedrohung gekommen war, hatte nur geahnt, dass er eine Warnung senden musste um das Weibchen und ihre Gefährtin zu schützen.

Jay's Herrausforderung war ihm da gerade recht gekommen.
Nun war ihm und Scarlett gezeigt wo ihr Platz im Rudel war und die Warnung war auch an alle anderen gegangen, sie alle hatten die Wildheit in Evelyn gespürt und nun blieb ihm nichts anderes mehr übrig als abzuwarten und zu hoffen, dass jeder der Zweibeiner die Drohung verstanden hat.

Der Fuchs machte an der Stelle halt, wo sein alternativer Eingang in den Zweibeinerbau war, ein Loch in der Steinmauer, auf der Außenseite von einer umgekippten Mülltonne versteckt und auf der Innenseite von Dornenbüschen, denen es zu verdanken war, dass die Überlebenden seinen Geheimzugang noch nicht entdeckt hatten.

Er bahnte sich seinen Weg hinter die Tonne und zwängte sich durch den engen Spalt.
Der raue Stein schürfte seine Haut an einigen Stellen auf und vereinzelte, spitze Steinchen bohrten sich in seinen Pelz.
Der Fuchs knurrte angestrengt.
Sein Kopf und seine Vorderpfoten waren bereits auf der anderen Seite und er bedachte die Dornenranken, die vor ihm wucherten, mit einem missbilligenden Blick.

Als er sich durch den engen Durchgang gekämpft hatte, machte er sich daran auch die Dornenbüsche hinter sich zu bringen.
Ihre Stacheln verhädderten sich in seinem roten Fell und rissen ihm gelegentlich kleine Haarbüschel aus, was er jedesmal mit einem drohenden Grollen quittierte.
Wie sehr er Dornen hasste!

Er brach, nun doch etwas gereizt, aus dem Dickicht.
Der monströse Zweibeinerbau ragte bedrohlich und düster in die kalte Nachtluft empor, der Mond leuchtete fahl am Himmel, schien sein Licht jedoch für sich behalten zu wollen.
Es war dunkel.

Der Fuchs konnte sich trotzdem irgendwie orientieren. Im Schnürgang machte er sich auf den Weg zu seinem Schlafplatz, ein kleines Nest aus Moos und Laub, von Gebüschen verborgen.
Einen Bau hatte er sich nicht graben können, denn auf diesen seltsamen Grünflecken gab es zu wenig Erde.

Also ließ er sich auf dem weichen Moos nieder und lauschte in die Nacht hinaus.
Wie immer war es völlig still.
Und wie immer vermisste er die Geräusche des Waldes.
Seinen Bau.
Sollte sich dort irgendein anderer Fuchs eingenistet haben würde er diesem das Fell über die Ohren ziehen, wenn er zurückkehrte!

Er legte sich unzufrieden murrend den flauschigen Schwanz über die Schnauze.

Wenn er überhaupt irgendwann zurückkehrte.

Das hatte nicht er zu entscheiden.
Also würde er eben tun was von ihm verlangt wurde. Er würde das sonderbare Zweibeiner-weibchen schützen und führen, nur für wie lange?
Er wusste es nicht.
Die Müdigkeit überrollte ihn und er versank in die friedliche und wilde Welt der Träume.

In den Wald.

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~1262 Wörter

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