T W E N T Y E I G H T

23 2 0
                                    

Seit Scarletts Tod waren nun schon knapp zwei Wochen verstrichen und in dieser Zeit hatte sich einiges geändert. Zunächst einmal wuchs das Misstrauen immer weiter, innerhalb ihrer Gruppe schien eine Art Krankheit zu wuchern, ähnlich der Zombie-seuche, welche die Menschheit einfach überrollt hatte, und diese Krankheit trug Früchte aus, die die Namen Panik, Hass, Trauer, Verzweiflung, und Verwirrung trugen. Praktisch jeder ihrer kleinen und weiter schrumpfenden Gemeinschaft hatte mindestens eine von ihnen abbekommen und sich somit 'angesteckt', wie Eva, als sie sich den Apfel vom verbotenen Baum genommen hatte.

Zion hatte seit Scarletts Leiche weggebracht worden war, kaum ein Wort gesagt, wenn jemand außer Evelyn und Harry in der Nähe war und versprach oft und dazu toternst, dass er denjenigen finden und bezahlen lassen würde, für das was er seiner Freundin angetan hatte, und unter 'bezahlen', verstanden der Rothaarige sowie auch Evelyn und Harry, umbringen. Evelyn wusste wie er fühlte. Ihr ging es ähnlich, schließlich hatte der Verräter Judy. Sie konnte Zion zuhören und für ihn da sein, aber sie konnte nicht auf ihn einreden um ihm in seinem idiotischen Vorhaben umzustimmen. Er wollte den Mörder tot sehen und die Hellblonde wusste, dass er sich, wenn er Untersuchungen auf eigene Faust unternahm, nur in Gefahr bringen würde, schließlich hatte er keinen Fuchs, der ihm den ein oder anderen Tipp gab. Was ihn betraf hatte die Krankheit zwei ihrer giftigen Früchte verfüttert: Trauer und Hass.

Harry versuchte ihn jedesmal zu überreden es sein zu lassen, wenn der hitzeköpfige Halbstarke Mal wieder alleine zu der alten Tür im Untergrund gehen wollte um das 'Arschloch' wie Zion den Verräter gerne nannte, zu stellen und zu töten, doch das gelang dem Weißhaarigen ebenso wenig wie es Zion gelang Scarletts Mörder zu enttarnen. Bei Harry kamen recht viele Emotionen zusammen, recht viele der unheilverkündenden Früchte, die die Krankheit in ihren Dornenranken hielt. Da war Verzweiflung, ein Anflug von Panik und überraschender Weise Hass. Aber Evelyn hatte den Verdacht, dass diese letzte Gefühlsregung nicht unbedingt gegen den Killer in ihren Reihen gerichtet war.

Dieses Bild mit dem Geschwür, dass sich in ihnen allen ausdehnte, hielt sich Evelyn gerne vor Augen, wenn sie sich Tag für Tag dem Verfall des Vertrauens ihrer Notgemeinschaft immer mehr bewusst wurde. Es verursachte eine anschwellende Alarmbereitschaft in ihr und immer größer wurde das Bedürfnis einfach den Mund zu öffnen und zu Schreien, wenn sie alle wie jeden Tag zusammen am Gemeinschaftstisch saßen und frühstückten, sich gegenseitig stillschweigend genauestens beobachtend

. Jeder der in diesem Schulgebäude Zuflucht suchte zeigte ähnliche, giftige Verhaltensweisen, wie Harry und Zion, ungesunde Routinen, wie die des Rothaarigen, regelmäßig und alleine an jener verdächtigen Tür zu patrouillieren, aber wer der Hellblonden am meisten Unbehagen bereitete war Hailey.

Panik und Verzweiflung hatten sich an ihr festgefressen und wurden beinahe krankhaften Panikattacken, wenn Evelyn sich ihr auch nur auf fünf Meter näherte. Dieses irre Funkeln in den Augen der Neunzehnjährigen, diese Bereitschaft, alle zu hintergehen, wenn sie damit nur scheinbar ihr eigenes Wohl sicherte veranlasste die Hellblonde dazu sie im Auge zu behalten. Aus der Ferne und möglichst unauffällig. Sie kam nicht umhin festzustellen, dass Hailey Scarlett in den letzten Tagen ihres Lebens immer ähnlicher sah, zu der giftigen Blondine wurde, in deren puppenartigen Leichen-Augen eben dieses irre, von blinder Angst gelenkte Funkeln gewohnt hatte.
Manchmal, wenn sich Evelyns und Haileys Blicke trafen, dann nahmen die Gesichtszüge der Älteren andere und doch schrecklich bekannte Konturen an, dann wurde das braune Haar heller, seidiger und diese wässrigen Froschaugen Haileys, wurden so dunkel, als hätte man sie in frisches Blut getunkt. Hailey wurde zu Scarlett und es jagte Evelyn eine Heidenangst ein.

Wenn sie betrachtete wie sich die Umstände und das alltägliche Leben, nein, das Überleben der Gruppe geändert hatte, wie feindselig und verschlossen einige, eigentlich jeder von ihnen geworden war, dann hatte Evelyn das Gefühl, dass nun der Anfang vom Ende erreicht worden war. Es hatte bereits begonnen, war nichts mehr, was man lachend Abwinken und in die Zukunft, in weite Ferne schieben konnte, sondern war nun ein fester und sich stetig weiterentwickelnder Zustand der Gegenwart. Es endete. Langsam, aber mit unbarmherzigen Sicherheit. Und wahrscheinlich tat es das seit sich Evelyn der kleinen Notgemeinschaft angeschlossen hatte.

S U R V I V O R Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt