Stehen gelassen

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In einer Seitengasse holt uns Alucard wieder aus dem Schatten und ich sehe mich um. Werde von ihm aber nur ein wenig nach vorn geschubst. Vorsichtig trete ich auf den Gehweg und bleibe stehen, bis der schwarzhaarige neben mich tritt. "Ich... folge dir einfach mal. In der Stadt war ich selten. Oder in dem Teil." Wirklich belebt ist er nicht. Irgendwie hat er etwas unheimliches an sich. Es wirkt herunter gekommen. Fenster sind eingeschlagen, oder mit Brettern zugenagelt. Wenige Fenster oder Türen sind intakt. Überall sieht man Graffiti. Nur anhand des Mülls kann man sehen, dass hier Leute wohnen. Oder besser gesagt, dass sie hier leben. Wohnen impliziert, eine Wohnung zu haben. Und bei dem aktuellen Stand der Lage würde ich mich weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass hier viele auf der Straße sind und kein Dach über dem Kopf haben.

Wir gehen los und Alucard nickt. "Du hast recht, Missy. Dieser Teil der Stadt ist durchaus ungern gesehen." Leicht schlage ich mit meinem rechten Handrücken auf seinen Oberarm. "Könntest du gefälligst aus meinen Gedanken bleiben?!" Lächelnd dreht er seinen Kopf zu mir. Die Sonne spiegelt seine Brille kurz, die er auf hat. "Nein." Kalt. Kurz. Nicht zufriedenstellend. "Alter... Ich häng dir ja auch nicht in der Hose, oder? Wenigstens ein BISSCHEN Privatsphäre..." Ein Kreischen. Ein Schuss. Stille. Also in der Nachbarschaft zu leben ist dann wohl ein Kampf für sich. "Du... Du kannst eine Kugel auffangen, oder?", frage ich leise und sehe unsicher zu ihm hoch. Er lacht kurz. "Was... hat unsere Missy etwa Angst?" Wir gehen weiter. Den Fakt ruhen lassend, dass gerade jemand erschossen wurde. Alucard wird nicht wollen und ich habe keine Lust, ebenfalls eine Kugel zu bekommen. "Ach... ich versuche nur meine Überlebensrate gerade so ein wenig auszurechnen und für die Statistik wäre es gut zu wissen, ob Kugeln mich umbringen könnten."

Der Urvampir denkt nach. "Also ein deutliches ja zu dem letzten, was du gesagt hast. Kugeln können dich, als normalen Menschen, natürlich umbringen. Aber... du hast Glück, dass meine Reflexe ein wenig schneller sind, als die eines normalen Menschen." Gedanklich danke ich gerade allen Göttern die ich kenne, dass ich wirklich dieses Glück habe. Könnte durchaus anders ausgehen! Ich bin ein wenig beruhigter, während ich Alucard weiterhin durch dieses Viertel folge. "Aber... wie willst du das aufbauen, wenn wir hier nur rumgehen?", frage ich nach einiger Zeit. Trotz seiner Aussage, dass er Kugeln aufhalten würde, bin ich aufmerksam und bereit, sollte etwas passieren. Für was ich bereit bin, kann ich nicht sagen, aber ich bin im fight-or-flie-Modus, den man in solchen Situationen hat. Zumindest als normaler Mensch. "Du solltest mir vertrauen, Missy.", erwidert er nur und ich sehe ihn an. Mit der stummen Frage, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. "Würde ich dir nicht vertrauen, hätte ich dich nicht so nah an mich rangelassen.", zische ich leise. Denn das muss jetzt wirklich nicht jeder hören.

Der schwarzhaarige geht noch eine Weile neben mir her, ehe er plötzlich abdreht und in einer Hauswand einfach so verschwindet! Perplex bleibe ich stehen und starre auf die Wand. Sehe kurz auf die Seite, dann wieder zurück. Hat... Hat der mich gerade vergessen, oder war das Absicht? Mit gerunzelter Stirn nehme ich die Hände aus meinen Jackentaschen und verschränke sie vor meiner Brust. Das ist jetzt nicht sein Ernst. Mit einem leicht genervten Gesichtsausdruck starre ich die Wand weiterhin an. "Alucard..., wenn du mich wirklich hier allein lassen willst, dann ist es deine schuld, wenn ich drauf gehe.", brumme ich, bleibe aber weiterhin stehen. Sehe mich nur immer wieder skeptisch um. Das ist jetzt nicht wirklich der beste Ort, um eine kleine Menschenfrau ohne Waffen alleine stehen zu lassen. Es gibt eindeutig bessere! Wobei man mich nie alleine stehen lassen sollte. Ich bau dann immer scheiße, weil ich meine Klappe nicht halten kann. Hin und wieder bin ich schlimmer als jedes Kind.

"Hey. Hast du was?" Überrascht sehe ich nach rechts. Ein relativ abgemagerter Kerl sieht sich immer wieder nervös um. Schnell schafft es mein Hirn jedoch, die Situation zusammen zu fassen. "Sorry, man. Nein. Ich hab nichts. Ich warte nur auf meinen Freund." Auch, wenn ich Angst hatte, mustert er mich nur. Er scheint nicht aggressiv zu sein. "Du solltest hier nicht rumstehen, wenn du nicht unten bist, kleine. Pass auf dich auf und verschwinde lieber.", gibt er mir als Tipp, dreht selbst ab und geht in eine andere Gasse. Seufzend lasse ich den Kopf hängen. Ich würde ja gern! Langsam hebe ich meinen Kopf. Was hält mich eigentlich davon ab. Was hält mich davon ab, hier nicht ein wenig herum zu streunen? Ein kurzer und unsicherer Blick zu der Wand, ehe ich mich abwende und mich auf eigene Faust auf die Suche nach jemandem mache, der mich vielleicht hier heraus lotsen könnte. Zwar weiß ich, dass hier Lebensgefahr in großen Leuchtbuchstaben über dem Viertel schwebt, aber ich muss hier irgendwie raus. Und Maps funktioniert nicht.

Wow. Alles ziemlich runtergekommen. Nichts und niemand, der sich um die Leute hier kümmern würde. Ich kann alte Polizeiabsperrbänder sehen, die lose in Eingangstüren flattern, wenn der Wind sie herumwirbelt. Hin und wieder kann ich Kinder in der Ferne spielen hören, aber nie für eine lange Zeit. Das Lachen verstummt meist schnell wieder. Die Gärten sind verwahrlost. In ihnen liegt höchstens Müll. Verrostete Räder. Reifen. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich das Gefühl, einen Schädel im hohen Gras zu sehen! Doch bei näherem hingehen entpuppt es sich nur als ausgebleichter Ball. Ich habe eine blühende Fantasie. Ich will nicht sagen, dass mich ein unheimliches Gefühl beschleicht, aber ganz wohl fühle ich mich nicht. Ich weiß nicht, in welche Richtung ich muss, um auf belebtere und sichere Straßen zu kommen. Aber ich bin gewillt, ein wenig zu probieren.

Da. Ein Mann! Dunkle Hautfarbe. Glatze. Zerrissenes weißes Unterhemd. Lange dunkle Jogginghose. Seine Nase ist gebrochen. Okay, Flo. Du kriegst das hin! Vorsichtig gehe ich auf den Kerl zu, der mich schnell bemerkt und misstrauisch mustert. "Hey. Was machst du hier!", ruft er mir entgegen und obwohl ich einfach nur abhauen will, komme ich weiter auf ihn zu. "Sorry, wenn ich bei irgendetwas störe. Ich..." Schuldbewusst sehe ich auf die Seite. Sinke ein wenig in mich zusammen. Es muss auch überzeugend sein. "Ich wurde von jemanden her gebracht und der hat mich stehen lassen. Ich wollte nur fragen, ob es möglich wäre... mir nur den ungefähren Weg zur Stadt zu sagen!" Ein wenig hoffnungsvoll sehe ich zu ihm hoch und lächle leicht. Die braunen Augen starren mich weiterhin an. "Das ist echt keine Gegend für dich, kleine." Nickend stimme ich zu. "Ich weiß. Und ich kenn mich hier nicht ganz so aus. Deswegen... bräuchte ich Hilfe." Jetzt hoffe ich einfach nur, dass er mir hilft, hier raus zu kommen. Und dass ich nicht in eine Falle getappt bin!

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt