Dok

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Die Tage werden zu Wochen. Die Wochen zu Monaten. Insgesamt bin ich jetzt fast ein halbes Jahr hier. Keine Spur von einem Weg, wie ich wieder zurückkommen könnte. Der Handyakku hält übrigens immer noch und hat kein Prozent verloren. Zu der Lady habe ich ein freundschaftliches Verhältnis, welches aber schon teils in Untergebenheit mündet. Von ihr aus gesehen bin ich schon ein Teil des Trupps. Auch, wenn ich noch nicht so viel Erfahrung habe, werde ich für die kleineren Verletzungen und Wehwehchen eingesetzt. Anfangs war ich total überfordert! Aber dadurch, dass ich das nun regelmäßig mache, traue ich mir immer mehr zu. Außerdem hat die Lady es arrangiert, sodass ich auch in den verschiedenen Krankenhäusern einmal über die Schulter schauen kann, oder dass ein Arzt kommt und mir Lehrstunden gibt. Ich habe so die kleine Ahnung, dass sie für die Zukunft vorbaut, in der ich hier bleiben soll.

Mit Pip habe ich ein geschwisterliches Band aufgebaut. Wir albern herum. Verhalten uns wie echte Geschwister, hecken gemeinsame Streiche oder Dinge aus und decken den jeweils anderen, wenn es darum geht, Schwierigkeiten zu verstecken. Bei Seras ist es mehr kollegial aufgebaut. Selten trifft man sich mal nach der Schicht und redet. Oder tauscht private Dinge auf dem Gang aus. Klar, sind wir keine Fremde mehr! Aber so ein enges Band wie mit Pip, habe ich mit ihr nicht. Und bei Alucard ist es mal freundschaftlich und mal feindschaftlich. Mal kann uns nichts trennen und dann hat einer von uns beiden einen beschissenen Tag und mault den anderen an, sodass dieser ihm aus dem Weg geht. Oder kurz davor steht, einen umzubringen. Wobei dieser Zustand auf beiden Seiten besteht. Er kann es nicht verstehen, dass ich immer noch zurück will, obwohl ich mich so gut eingelebt habe. Und ich solle endlich akzeptieren, dass ich nun hier lebe.

Der Gummi klatscht nach dem Ausdehnen wieder zusammen und ich schmeiße die Handschuhe seufzend weg. "Nächstes Mal sei einfach ein wenig vorsichtiger, ja?", brumme ich entgeistert und desinfiziere meine Hände. Einer von den Söldnern hat sich bei einem Auftrag auswärts eine Schnittwunde zufügen lassen, die ich noch habe spülen und zusammennähen können. Das wurde mir von einem der Ärzte beigebracht, die Integra geholt hat. Sie steht ziemlich dahinter, dass ich da einiges lerne. Aber es bringt nur Vorteile. "Alles klar, Dok...", erwidert der Söldner mit eingezogenem Kopf und ich sehe ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Du bist jetzt unser Dok. Gewöhn dich dran!", ruft er plötzlich und grinst breit. "Ich bin noch lange kein Arzt. Ich habe nicht studiert, bin auf keine Uni gegangen und habe von dem meisten wahrscheinlich immer noch keine Ahnung." Ich helfe dem Kerl auf die andere Liege und schiebe ihn in eines der Nebenzimmer, in welchem er sich ausruhen soll.

Das ist jetzt mein Leben. Kein schlechtes! Keine Frage. Aber trotzdem fehlt mir mein altes. Meine Familie. Meine Freunde. Dank dem zweiten Paar Handschuhe unter dem ersten Paar, kann ich das Chaos beseitigen, welches ich bei dem Spülen und Nähen hinterlassen habe. Die Oberflächen desinfizieren. Und selbst ein wenig entspannen. Jetzt erst fangen meine Finger das Zittern an. Dank dem Training kann ich das Zittern so ein wenig unter Kontrolle bringen. Der Eingriff ist aber vorbei und so kann das Aufräumen auch ein wenig mehr Zeit in Anspruch nehmen, als es sonst würde. Allein alles zu machen, ohne jemanden zum Fragen zu haben, ist durchaus eine Herausforderung, der ich mich wohl oder übel stellen musste. Aber seitdem ging es eigentlich ziemlich gut! Natürlich macht man Fehler. Aber durch Fehler lernt man und niemand hier ist mir bis jetzt wirklich böse. Zumindest habe ich noch keine Beschwerden bekommen.

Nachdem alles wieder sauber ist, gehe ich aus dem kleinen Eingriffsraum, den die Lady ebenfalls extra mit den Krankenzimmern hat bauen lassen, sodass ich genug Platz für alles habe. Ich habe sogar ein kleines Labor! Aber in diesem habe ich nur ein paar Automaten stehen, die ich auch bedienen kann. Zum Beispiel den Automaten für die Blutbilder. Oder den für Urine. Ein Mikroskop habe ich auch bekommen und alles, was man dafür braucht. Laborerfahrung habe ich. Doch es scheitert an der Menge der Erfahrung. Ich weiß nichts, was die klinische Chemie angeht. Einen Brutschrank für die Mikrobiologie und verschiedene Platten mit verschiedenen Substanzen habe ich ebenfalls. Aber auch hier kann ich nur ein paar grundlegende Bakterien identifizieren. Die Basics durchführen. Ansonsten muss der Rest weggeschickt werden, sodass sie in Fremdlaboren untersucht werden können, die mit uns kooperieren. Dort brauchen die Ergebnisse aber bis zu vier Tage. Ein wenig nervig, wenn man es nicht dringend macht.

Am PC sitzend, schreibe ich meinen kleinen 'Operationsbericht', den ich immer gern als Abschluss mache. Dort kommt hinein, was genau gemacht wurde. Wo. Welches Nahtmaterial. Welche Instrumente benutzt wurden. Was für eine Lage der Patient hatte. Mit was betäubt wurde. Die genaue Milliliter Anzahl und so weiter und so weiter. An diesem alten Kasten zu sitzen ist wirklich ein Gefühl, welches ich nur mit 'Kindheit' beschreiben könnte. Immerhin war mein erster eigener PC einer von diesen riesigen Kästen, weswegen die Umstellung nur kurz war. Den Bericht speichere ich schlussendlich, drucke ihn aber noch aus und lege ihn in einen der Ordner, die ich in meinem kleinen Büro habe. Ein gesamter Flügel gehört eigentlich mir. Ein Eingriffsraum, drei Krankenzimmer, ein kleines Labor und ein Büro. Ausgestattet mit den aktuellsten Gerätschaften! Für das Jahr 1999. Zwar bin ich durchaus anderes gewohnt, aber man arbeitet eben mit dem, was man bekommt.

Die Tür geht auf. Leicht genervt sehe ich von meinem Schreibtisch auf. "Bevor du mich umbringst!", ruft Pip und hebt eine Tasse hoch. "Ich hab Kaffee! Friedensangebot!" Seufzend nicke ich und er stellt die Tasse neben einen der Ordner auf den dunklen Holztisch. "Was ist los? Lief nicht alles glatt?" Wieder starre ich runter auf den offenen Ordner. "Doch. Lief alles super.", murmle ich entgeistert. Eine Hand auf meiner rechten Schulter. "Hey. Komm schon. Mir kannst du es ja sagen." Langsam sehe ich hoch. Ziehe meine Augenbrauen ein wenig in die Höhe. "Ich blute wie eine Sau aus einer Körperöffnung. Habe Krämpfe. Noch nichts zu futtern gehabt. Und wäre jetzt gern tot. Reicht das aus?" Ein leicht angewidertes Schnauben. "Urg... Allerdings. So genau wollte ich jetzt nicht aufgeklärt werden." Pip und ich starren zu Alucard. "Entweder du hast gute Neuigkeiten, oder du kannst dich wieder verpissen!", fauche ich und will doch nur meine Ruhe!

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt