Schwanzvergleich

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Mit erhobenem Kopf dreht sie sich um, wirft sich die Haare auf die andere Seite und stampft aus dem kleinen Laden. Zufrieden setze ich mich wieder hin und hebe die Tasse hoch, als wäre nie etwas passiert. "Die kleine Missy hat ja doch einiges mehr auf dem Kasten, als ich dachte.", gibt Alucard von sich und ich sehe ihn über den Rand der Tasse hinweg an. "Sie hat genervt und gestört. So etwas beseitigt man schnell.", erwidere ich nur und trinke einen Schluck. Stelle die Tasse wieder ab und klaue mir noch ein Stück des Kuchens, an welchem sich der Vampir ziemlich bedient hat. Und da sag noch einer, dass Vampire nur Blut zu sich nehmen können. "Ich hätte sie einfach umgebracht.", gibt er laut zu und ich starre ihn an. "Du kannst nicht einfach Leute töten, Alucard!", zische ich ihm vorwurfsvoll zu. "Du kannst ihnen den Tod wünschen. Aber nicht gleich abmurksen!"

Irgendetwas murmelt er vor sich hin, hebt die Tasse Kaffee hoch und trinkt ebenfalls einen Schluck. Kopfschüttelnd trinke ich den Rest meiner nun lauwarmen heißen Schoki aus und stelle die leere Tasse wieder auf den Tisch. "Ich bin so frech." Das letzte Stück Kuchen klaue ich auch noch und setze mich gemütlich hin. Lässt man das vorher mit dem allein lassen weg, könnte man es glatt als Date sehen. Dieser Gedanke entlockt mir ein kurzes Grinsen, ehe ich wieder nach draußen sehe. Nur hin und wieder gehen Menschen vorbei. Aber eine Wand anzustarren hat auch so seine Vorteile. Als Alucard aufsteht, zucke ich zusammen und sehe zu ihm. Runzle fragend die Stirn. "Keine Sorge, Missy. Ich bin gleich wieder da.", meint er und geht zur Kasse. Ah... er will zahlen. In Ordnung. Ich stapele derweil alles, sodass es einfacher und kompakter zum Transportieren ist.

Gemeinsam gehen wir wieder aus dem Café. Jeder mit seinem Zeug an. Ich mit meiner Jacke, er mit Brille und Hut. Obwohl es bewölkt ist. Aber ich habe jetzt wirklich keine Lust, mit ihm zu diskutieren. Als nächstes bringt er mich in einen Park. Dort setzen wir uns auf eine Bank und ich weiß nicht, wie das mit dem Aufbau des Selbstwertgefühls zusammenhängt. Sollte ich fragen? Ne, besser nicht. Während Alucard sich wenigstens zu entspannen scheint, beobachte ich die Leute. Höre immer wieder ein wenig zu. Das, was man eben so macht, wenn man sonst nichts zu tun hat. Man bekommt so dass ein oder andere interessante Ding mit. Streitereien wegen Kleinigkeiten. Trennungen. Ich richte mich ein wenig auf, als mir ein Mann auffällt, der verdammt nervös wirkt. Meine gesamte Aufmerksamkeit liegt auf ihm. Immer wieder tänzelt er schon fast um eine Frau herum. Was ist mit ihm los? Ist das normal in diesem Jahrhundert und ich habe was nicht mitgekriegt?

Doch schnell entspanne ich mich, als er sich schlussendlich hinkniet und ihr scheinbar einen Heiratsantrag macht. Lächelnd sehe ich ihnen aus der Ferne zu. Auch, wenn ich nicht so der romantische Typ bin, ist das schon irgendwie süß. Und wie sie sich freut! Selbst aus der Entfernung kann ich sehen, dass sie weint und ihm um den Hals fällt. Die umstehenden Passanten klatschen ihnen zu. Hm... Heiraten. Kurz denke ich darüber nach, ob ich jemals heiraten sollte. Doch ein klares Nein. Erstens, wer würde mich freiwillig heiraten wollen. Zweitens, muss ich denjenigen ja auch mögen und drittens habe ich relativ wenig Ahnung vom richtigen Leben. Wie soll ich da eine Ahnung von einer eigenen Familie haben? Kinder? Ich? Nein. Einfach, weil es für mich nicht vorstellbar ist. So viel müsste passieren. So viel müsste zusammen passen, was es zu einem hohen Prozentsatz nicht wird.

"Ist es nicht schön, wenn zwei junge Menschen sich im Bund der Ehe vereinigen?", fragt eine etwas ältere und doch bekannte Stimme. Ohne meinen Kopf zu bewegen, reiße ich meine Augen auf und sehe dann hilfesuchend zu Alucard. Dieser hat sich aufgerichtet und sieht an mir vorbei. "Pater. Was für ein unglückliches Zusammentreffen.", meint der schwarzhaarige und langsam drehe ich den Kopf nach rechts. Lächle Anderson unsicher an. "H-Hallo, Pater Anderson.", bringe ich raus und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Bitte macht keine Anstalten, einander zu töten. Das ist das Einzige, was ich will. Alucard rutscht zu mir und legt mir einen Arm um die Schultern, ehe er mich an sich drückt. "Keine Sorge, Missy. Ich werde es versuchen. Was er tut, kann ich nicht versprechen." Die Anspannung hier gefällt mir überhaupt nicht. "Sag, Vampir. Wie kommt es, dass du einen Menschen beschützt?" Ein wenig sinke ich in mich ein. Ich will hier weg...

Doch Alucard lässt sich zu meinem Glück nicht provozieren. "Also ich weiß ja, dass sich geistliche gern in das Leben anderer einmischen. Aber kann man nicht einmal ein wenig Privatsphäre bekommen?" Ich hasse es, dass mein Kopf gleich in die Ü18 Sektion abzischt. Ich brauche echt weniger Fantasie. "Wie wäre es, wenn jeder seinen verdammten Schwanz wieder einpackt und sich ohne irgendwelche Provokation hinsetzt und es sich gemütlich macht? Ich hatte heute genug Angst, zu verrecken. Du, Alucard." Mein Kopf geht zu ihm. "Ich habe dir gesagt, dass du dir den Tod für andere wünschen kannst. Nicht töten. Ich merke doch, dass du kurz davor bist, die beschissenen Waffen rauszuholen! Und Sie, Pater Anderson." Diesmal wende ich meinen Kopf zu ihm. "Es war ein anstrengender Tag und es liegt noch Arbeit vor mir, der ich im Moment gern aus dem Weg gehe. Also entweder Sie setzen sich neben mich und halten sich zurück, oder ich bitte Sie, zu gehen. Habe ich mich bei BEIDEN klar und deutlich ausgedrückt?"

Immer wieder sehe ich von Alucard zu Anderson und wieder zurück. Irgendwann scheint sich der blondhaarige aus dem kleinen Schock wieder zu erheben und richtet sich auf. Lächelt. "Ich verstehe. Schön, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Und tut mir leid, dass ich Sie gestört habe, Miss. Ich wünsche noch einen schönen Tag und möge Gott über Sie wachen und alles böse von Ihnen halten." Auch ich lächle ihm freundlich zu. "Ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Tag, Pater Anderson!" Endlich geht er weg und ich lasse die Luft entweichen, die ich an sich angehalten habe. Nun wieder ein wenig entspannt, lege ich meinen Kopf an seine Brust und lehne mich an Alucard. "Noch eine Unterbrechung und ich will nach Hause.", brumme ich und sehe zu ihm hoch. "Deal?" Die roten Augen sehen mich durch die orangenen Brillengläser an. "Deal."

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt