Auseinanderleben

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Ganz doll umarmten Henry und Dexter sich. Dexter versicherte ihm: "Wir werden uns wieder sehen... Nicht morgen, nicht in drei Jahren... Aber unsere Wege werden sich wieder kreuzen...". "Es tut mir so sehr leid...", schniefte Henry. Es fiel beiden schwer, voneinander los zu lassen. Auch fiel es Ilus schwer, zuzusehen. Und er war nicht mal eifersüchtig. So standen sie am Flughafen und sie entfernten sich voneinander. Bevor Dexter bei den Gates verschwand, winkte er ein letztes Mal Henry zu. Henry sah auf den Boden und sah das nicht. Ilus hob seinen Kopf, sodass Henry ihm auch nochmal winken konnte. Danach begaben sie sich zu den Parkplätzen zurück, wo Henry im Wagen erst mal wieder weinte. Viel zu reden hatte Ilus nicht. Er hoffte nur, dass es ausreichte, wenn er ihn in seinen Armen hielt.

Nach einer Weile fuhren sie zurück und Henry sah mit ermüdeten Augen in den Himmel, wo ein Flugzeug flog. Vielleicht war es sogar das, welches Dexter nach Neuseeland brachte. Henry wusste auf jeden Fall jetzt schon, dass er bei jedem Flugzeug, das er sah, an Dexter denken musste. Und während er gleichzeitig darauf hoffte, dass dieses Dexter zurück bringen würde, hoffte er auch darauf, dass er so weit wie möglich von den tödlichen Problemen fern bleiben würde. Er war die gesamte Zeit zwiegespalten, da konnte ihm die Vernunft auch nicht ausreden, dass Dexter der einzige Kindheitsfreund von Henry war. Die Freunde, die sich zusammen um das Haustier der Klasse in der Grundschule kümmerten; ihre Schnürsenkel zusammen banden und dann versuchten, Rennen zu laufen; sich heimlich Hausaufgaben kurz vor dem Unterricht austauschten; miteinander stritten und weinten, um am Ende wieder gemeinsam zu lachen.

Nachdenklich säuselte Henry mit dem Kopf schüttelnd, derweil er weiterhin das Flugzeug beobachtete: "Warum müssen die engsten Freunde sich so verschieden entwickeln...? Wir waren damals fast schon Brüder und heute könnten wir Fremde sein... Wie und vor allem... wieso...?". Ilus umgriff das Lenkrad etwas strammer: "Selbst Brüder leben sich auseinander... Ich kann dir die Frage leider nicht beantworten... So gerne ich selbst eine Antwort darauf hätte...".

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Zurück an ihrem Versteck wartete schon eine Überraschung auf sie. Direkt nachdem Ilus die Tür öffnete, kam es von Lucky gerufen: "Traurige Kissenschlacht!" und im nächsten Moment flogen schon Federn durch die Gegend. Ilus bekam ein Kissen direkt ins Gesicht. Dieses packte er sich und warf es mit Wucht in die ungebändigte Menge rein. Henry konnte sachte lächeln und sogar mitmachen. Sie bekriegten sich mit den flauschigen Füllungen, bis Henry über etwas stolperte und volle Kanne auf den Boden flog. Er sah hinter sich und erschreckte sich: "Ziege?!". Shark kam angelaufen: "Er kam zurück, von alleine". Er hob ihn hoch und trug ihn nach draußen: "Tut mir leid". "Immerhin etwas...", stand Henry mühsam wieder auf.

Ilus warf sein Kissen wieder hin: "Okay Jungs, wir müssen auch irgendwann arbeiten". Enttäuscht sanken die Köpfe. Er setzte nach: "Fortsetzung findet nach dem Dienst statt". Daraufhin wurde gejubelt und sich an die Arbeit gesetzt. Shark setzte noch gelegentlich seine Therapie fort, aber so langsam stieg er stufenweise zurück ins Arbeitsleben ein. Derweil hatte Zigz andere Probleme. Er kam zu Ilus angerannt und schüttelte ihn wieder wie ein Milkshake: "Was soll ich tun?! Oh mein Gott, ich kann das nicht! Mein Herz hält das nicht aus!". Mit drehenden Augen fragte Ilus: "Was ist denn jetzt schon wieder?". "Meine Tochter! Genevieve! Sie hatte ihren ersten Freund und er hat ihr schon das Herz gebrochen! Ilus, ich kann das nicht, mein armes Herz!", er fiel zu Boden und sah aus, als würde er wie weiches Metall zerschmelzen, "Meine süßes kleines Gummibärchen...". "Du stehst kurz davor zu weinen, während deiner Tochter das Herz gebrochen wurde?", hob Ilus eine Augenbraue. Da sprang Zigz plötzlich mit bösem Blick hoch und er knurrte tief: "Ihr wurde das Herz gebrochen...! Ich werde diesen Typen kalt machen!". So rannte er schon los.

Es nicht fassend schüttelte Ilus mit seinem Kopf und nuschelte nach: "Ich trage den spontanen Urlaubstag dann mal ein...". Henry stand die gesamte Zeit neben ihm und schmunzelte sachte: "Es geht dir nicht um den Urlaub, oder?". Ilus' Schultern sanken ein: "Merkst du nicht etwas? Er löst sich ab, wird unabhängig. Ich will ihm kein Glück weg nehmen, jedoch ist er mein treuster Kumpel von allen hier. Auch wenn ich ihn oft nicht verstehe oder ihn echt dämlich finde, aber...". "Du hast Angst", vollendete Henry seinen Satz. Seufzend ließ er den Stift fallen: "Gestern ging er mit mir auf Schießereien und morgen wird er in einem hübschen Haus mit großen Garten, hässlichen Gartenzwerg und eigenen Kindern wohnen... Henry... Das mit Dexter tut mir unglaublich leid... Ich weiß, wie du dich fühlst und es ist absolut scheiße...". Still sah Henry auf den Boden, umarmte ihn aber dann fürsorglich. 

Lucky lief gerade aus der Tür: "Wir sind dann auf der nächsten Mission". Ilus rief ihnen zu: "Bleibt sicher". Verwirrt sah Lucky ihn an: "Wir sind doch keine Babys" und man hörte nur noch sein Lachen hallend. Ernsthaft interessiert fragte Ilus Koi: "Bist du nicht besorgt, dass ihm etwas zustoßen könnte?". Der Angesprochene stand gerade am Drucker und zog die Schultern hoch: "Hör auf, so ein Vater zu sein. Und ein schlechter hinzu. Wenn er auf die Schnauze kriegt, sieht er vielleicht nicht mehr minderjährig aus. Viel Schaden kann es ihm ja nicht".

Eine halbe Stunde später kam die Kleingruppe in Panik wieder zurück. Sie riefen: "Lucky ist verletzt!". Fast schon sauer sah Koi ihn an, wie er sich schwach durch den Hauptraum schliff. Keuchend erklärte er: "Wir haben einfach nur den Job erledigt, dann kam da plötzlich so ein Kind quer über die Straße gezogen und schoss ziellos drauf los. Es kam unerwartet und ich wurde erwischt". "Du weißt, wohin", schickte Ilus ihn zum Arzt. "Ja, Chef", schnaufte er und Koi schritt ein, um ihn zu stützen. Er fragte nach: "Ein Kind?". "Ja, so sechzehn oder so. Nicht über der Volljährigkeit", erklärte er. Nachdenklich merkte Ilus an: "Also niemand, den Whitefur mit Waffen raus fahren lassen würde. Noch eine Gang? Oder ein unabhängiger Ausreißer?". Für einen Moment war es still, dann hielt Ilus sich an den Brustkorb, grinste und rannte los: "Den schau ich mir an". Henry sah ihm ungläubig nach: "Bitte?". Da war er schon weg.

Auf seinem Motorrad düste er durch die Straßen, in welchen Lucky und der Rest deren Mission hatten. So kam er schon nach zwei Minuten zum gesuchten Schießer, welcher in einem Wagen rum raste. Auch auf Ilus schoss er willkürlich. Doch durch das Tuning war Ilus schneller. Er konnte erkennen, dass es tatsächlich ein Minderjähriger mit braun-blonden lockigen Haaren und blau-grünen Augen war. Ein britischer Akzent drang in seine Ohren: "Schniekes Teil! Besser du gibst es mir oder du verlierst das Motorrad und dein Gehirn!". "Oh je, da hat ein Kleinkind seine warme Milch nicht bekommen", bedauerte Ilus fälschlich und nahm nochmal an Geschwindigkeit auf, um einmal um ihn herum zu fahren und seine Reifen platt zu schießen. Er sah es nicht kommen, dass Ilus überhaupt eine Waffe zog.

Er zuckte zusammen, doch zielte dann genaustens auf Ilus und er traf sogar das Motorrad. Zischend schielte er auf das kaputte Metall: "Toll, jetzt darf das Henry wieder lackieren". Da folgte der nächste Schuss in seinen Reifen und im nächsten Moment lag Ilus am Boden gegen einer Hauswand. Nicht seine beste Idee, keinen Helm anzuziehen. Kurzzeitig zog ihm sein gesamter Schädel. Wohl tat es auch seinen geschädigten Ohren nicht gut, da er kaum den Schuss hörte, welcher neben ihm aufkam. Rasch zog er sich hoch und musste sich auf seine anderen Sinne verlassen. Er lief geradewegs auf ihn zu, doch nutzte er seine aus dem Parkour neu erlernten Fähigkeiten mittels ausweichen. So kam er weiter unverletzt zum Wagen, zerrte den Jungen raus und pinnte ihn gegen den Asphalt. Der Junge schnaubte gequetscht: "Meine Oma hat gelogen, fett zu werden bringt rein gar nichts, wenn man nicht entführt werden will...!". "Mir ist dein Gewicht völlig egal! Weshalb schießt du meine Männer grundlos an?", schrie Ilus ihn schwerhörig an. Immerhin konnte er verstehen, was er sagte: "Ich will Spaß haben, wer zur Hölle sind deine Männer? Hast du nen Harem?". Ilus machte klar: "Du findest mein Motorrad schön?! Du könntest es selbst haben, wenn du nicht feindlich bist!". "Alter, schrei mich nicht so an", kam als Antwort.

Ein weiteres Auto kam angefahren. Henry driftete quer und die Reifen quietschten, als er bremste. Sofort stieg er aus und stapfte zu Ilus rüber: "Entschuldige?! Was soll das heißen, du schaust dir wen anderes genauer an?!". Wieder schwerer hörend schrie Ilus: "Was hast du gesagt?! Du siehst aufgeblasen aus! Bist du sauer?!". Verwirrt sah der Junge unter Ilus den Asphalt an: "Was ein verrückter Abend...". Henry schnauzte ihn direkt an: "Du hältst die Fresse!". Ilus versuchte sich an den Ohren zu reiben. Es wirkte zumindest etwas: "Würdest du das nochmal wiederholen? Entschuldige. Aber er hat mein schönes Motorrad dem Tod schneller näher gebracht und ich habe auf die Nuss bekommen. Mann muss Wildtiere irgendwie zähmen". Entsetzte merkte der Junge an: "Ich bin kein Tier! Wer zum Fick seid ihr?! Und lass mich gefälligst los!". Henry schnaufte mit gehobener Nase: "Was willst du mit dem?". "Eventuell aufnehmen", erklärte Ilus selbstverständlich. Mit rotem Kopf sah Henry ihn knurrend an. Ilus wich ein Stück zurück: "Bist du... eifersüchtig?". "Nach all deinen Malen darf ich das doch wohl auch!", verteidigte er sich. Verzweifelt stieß der Junge seinen Kopf gegen den Asphalt: "Oh nein...".

Ilus beruhigte ihn: "So habe ich fünfzig Prozent meiner Mitglieder bekommen. Gerade jetzt gegen Whitefur? Ich sollte mir wieder ein paar Kollegen mehr zulegen. Er scheint treffsicher zu sein". "Ich bin direkt hier!", knurrte er. "Nur ein neues Mitglied?", fragte Henry nochmal nach. Während er nickte, hob Ilus den Jungen hoch: "Es ist ganz gut, dass du hier bist. Darf ich mir dein Auto ausleihen? Es wäre ungünstig, wenn die Polizei gleich hier aufkreuzt". Henry ließ es durch gehen.

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