6. Kapitel - Story-Time

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Die Worte hingen noch in der Luft, als ich spürte, wie sich eine unangenehme Stille über unsere kleine Gruppe legte. Wir standen in einem Kreis und die Blicke der anderen waren auf meinem ganzen Körper. Ihre Gesichter zeigten eine Mischung aus Überraschung, Verwirrung und vielleicht auch etwas Enttäuschung. Ich senkte den Blick, unfähig, ihnen in die Augen zu sehen.
"Das meinst du ernst? Du verarschst uns grad nicht, oder?", fragte Liv schließlich. Ihre Stimme klang etwas geschockt, gleichzeitig schien sie jederzeit loslachen zu können, sollte ich ihr erklären, dass es bloß ein schlechter Witz wäre. Als ich jedoch langsam nickte, verließ nur Luft den Spalt zwischen Livs Lippen.
Immer noch konnte ich den anderen nicht in die Augen blicken. Die Sekunden verstrichen wie Stunden, während die Stille unerbittlich anhielt. Ich konnte die Gedanken meiner Freunde fast hören, wie sie versuchten, das, was ich gerade gesagt hatte, zu verarbeiten.
"Warum hast du uns das nicht früher erzählt? Besser gesagt, wann hattest du vor, es uns zu erzählen?", fragte Minho schließlich, seine Augen suchten die meinen, weswegen ich langsam meinen Kopf anhob.
Ich schluckte schwer, die Worte steckten mir im Hals fest. Wie konnte ich erklären, warum ich so lange geschwiegen hatte? Dass ich mich geschämt hatte, meine Schwäche zu zeigen, meine Ängste, meine Unsicherheiten?

Angst hatte, die ganze Lichtung in noch mehr Chaos zu stürzen...?

Die Wahrheit lag offen vor uns, und ich spürte, wie die Last des Geheimnisses, das ich über meine Zeit auf der Lichtung hinweg gehütet hatte, mich erdrückte. Ich fühlte mich schuldig, schuldig, meine Freunde getäuscht zu haben, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, während ich innerlich am Rande des Zusammenbruchs gestanden war. Nun, Newt hatte es mitbekommen, doch als ich endgültige Gewissheit bekommen hatte, war ich nicht zu ihm gegangen.
Die Stille wurde fast unerträglich. Als sich meine Augen mit denen meiner Freunde verbanden, las ich darin eine Mischung aus Unglaube und Verwirrung. Aber auch die Tatsache, dass ich ihnen nicht vertraut hatte, dass ich ihnen nicht früh genug die Wahrheit gesagt hatte, war unübersehbar.
"Ich dachte, ich könnte damit alleine klarkommen. Ich hätte es euch demnächst gesagt", murmelte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Aber ich habe gemerkt, dass ich es nicht kann. Nicht, nachdem auf der Lichtung Chaos ausgebrochen ist."
"Du hättest es uns also demnächst erzählt?", fragte Liv nach und warf die Hände in die Luft. Sie sah mich aufgebracht aus ihren dunklen Augen an und ich fühlte mich schuldig. Auch Newt schien nachdenklich zu sein, denn er hatte noch nichts gesagt. Er stand neben mir und ich biss auf der Innenseite meiner Wange herum. Wahrscheinlich erinnerte er sich gerade an den Moment, als wir in einer Nacht auf der Lichtung auf der Wiese gesessen hatten und ich ihm meine Bedenken geäußert hatte. Ich hatte ihm von meinen Träumen erzählt. Träume, die nichts mit der Lichtung zu tun hatten. Jedoch hatte er mir nur vergewissert, dass es wahrscheinlich Alpträume wären und ich mir keine Sorgen machen sollte, aber nun, dies waren sie nicht gewesen.

Ich kann mich an mein altes Leben erinnern...

"Ich hätte alles durcheinander gebracht", sprach ich, "Erinnert euch doch bloß an Gally; er war immer so aufgebracht und niemand hätte mir überhaupt geglaubt! Wahrscheinlich wär ich im Bau gelandet oder schlimmer."
Man konnte folgend sehen, wie Liv schuldig ihr Gesicht verzog, da sie mich vorher angeschrien hatte, und auch die anderen nickten bei der Erwähnung von Gally.
Ich fand Blickkontakt mit Thomas, der an einer Leiter eines Stockbettes lehnte und er nickte. Er war der Einzige, der mich verstand, denn auch er hatte Teile seiner Erinnerungen zurückerlangt.
"Seit wann?", fragte dieses Mal Pfanne.
"Es hat mit seltsamen Träumen begonnen. Den ersten hatte ich in meiner ersten Nacht auf der Lichtung."
"Aber du hast dich an deine Träume nicht erinnern können", meinte Newt und ich nickte.
Liv fragte jedoch sofort: "Du wusstest davon, Newt?"
"Sehe ich so aus, als würde ich davon wissen?", stellte er eine Gegenfrage, die Liv verstummen ließ.
"Es waren zuerst wirre Träume", begann ich, "Ich, wie ich unter Wasser bin, auf der Flucht. Ich laufe einen Korridor entlang, hinter mir Soldaten. Sie schießen auf mich, ich werde gefangen genommen und in einen weißen Raum gesperrt."
Ich atmete kurz durch. Die anderen hörten mir gespannt zu, als ich fortsetzte: "Ich hab' am Anfang selbst nicht gewusst, was die Träume zu bedeuten haben. Ich habe mich nicht an sie erinnern können, bis ich tagsüber Flashbacks bekommen habe. Sie waren unregelmäßig und irgendwann hab' ich mich dann an meine Träume erinnert. Wicked kam in ihnen vor."
"Und der Rechte Arm?", fragte Minho.
"Ja, und der Rechte Arm", sagte ich und die Worte hörten sich so vertraut an, "Vorgestern, am Tag als Alby aufgewacht ist, sich selbst erinnert hat, habe auch ich einen Teil meiner Erinnerungen zurückbekommen. Wie Thomas herausgefunden hat, der Rechte Arm ist eine Widerstandskraft, die aufstieg, als auch Wicked begann, ihre Fäden zu spinnen. Vieles weiß ich nicht mehr, aber mein Vater ist der Anführer."

Die Ewigkeit einer verdammten Reise | Newt Ff / Teil 2 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt