38. Kapitel - Als die Stunde kam

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"Der Rechte Arm also?", vernahm ich eine Stimme und wandte den Blick vom Fenster ab. Neben uns zog die ausgedörrte Landschaft vorbei und Bertha fuhr ihren Weg.

Ja, ich nenne ein Auto schon Bertha...

"Was?", fragte ich, blickte schräg nach vorne zu Jorge. Mit seinen Lederhandschuhen umgriff er das Lenkrad und seufzte leise.
"Zuerst einmal heißt es 'wie bitte', und zweitens, du hast mich schon verstanden, hermana", erwiderte der Mann und sah rechts über seine Schulter. Seine braunen Augen blickten mich an. Mein Gesicht hingegen verblieb emotionslos.

Natürlich hat ihm Brenda davon erzählt, ging es durch meinen Kopf, doch ich hatte es selbst zu verantworten; schließlich hatte ich während Liv und meiner Schreieinlage vor wenigen Stunden dem Mädchen neben Jorge mitgeteilt, dass ich vom Rechten Arm kam. Zusätzlich hatte ich es ihr bestätigt, als wir zusammen zu Marcus gegangen waren.
Jetzt konnte ich an dieser Tatsache jedoch nichts mehr ändern.

Ebendeswegen zuckte ich mit meinen Schultern. Bertha fuhr weiterhin über den steinigen Untergrund, während Jorges Blick wieder auf die Straße gerichtet war. Trotzdem beobachtete er mich weiterhin durch den Rückspiegel, warum ich meine Stimme erhob: "Erstens bist du nicht mein Vater, und zweitens, ja, ich hab' deine Worte das erste Mal schon verstanden. Ich hatte nur keine Lust, auf sie zu antworten."
Mit diesen Worten entlockte ich Jorge komischerweise ein raues Lachen. Es klang in meinen Ohren wider und nachdem er es beendet hatte, setzte er fort: "Dass ich nicht dein Vater bin, sieht ein Blinder", er blickte zu mir nach hinten, "doch du hast meine Frage nicht beantwortet."
"Für mich klang es viel mehr wie eine Feststellung, die du von Brenda hast, als wie eine Frage, hermano."
Ich hob meine rechte Augenbraue, während ich mein letztes Wort extra betont hatte, weil Jorge es immer benutzte. Was es hieß, keine Ahnung, doch es hörte sich spanisch an.
"Hm, Interpretationssache, würde ich meinen. Für mich war da ein Fragezeichen am Ende meines Satzes. Erkennt man daran, dass die Stimme nach oben geht. Wenn ich dein Vater wäre, hätte ich es dir beigebracht, aber keine Schande den Unwissenden gegenüber."
"Mhm", machte ich nur, "Schön, dann ja. Der Rechte Arm also."
Nach meinen Worten wurde es kurz still. Ich vernahm die Geräusche der anderen. Newt hinter mir, mehr unter mir, sah aus dem Fenster, doch ich wusste, dass er dem Gespräch zuhörte. Neben uns beiden saßen Pfanne und Emilia, wobei sich das blonde Mädchen ebenso auf den Schoß des Jungen gesetzt hatte. Zu meinem Überraschen war Emilia sogar eingeschlafen und es war schön, dass sie etwas Ruhe bekam. Die beiden saßen neben der Tür und zwischen uns saß noch Aris. Hinten auf der Rückbank waren Minho, Thomas, Liv und Teresa. Minho hatte seine Arme um Livs Mitte geschlungen, da sie auf ihm saß, wobei Liv aus dem Fenster starrte und es wirkte, als ob sie bald einschlafen würde. Zumindest hatte es so gewirkt, als ich das letzte Mal zu ihr nach hinten gesehen hatte.
Das Auto fuhr durch eine felsige Gegend und zum Glück hatten wir die Wüste hinter uns gelassen.

Ich kann die Brandwüste langsam nicht mehr sehen...

Wir kamen den Bergen, und somit dem Rechten Arm, immer näher, sodass Jorge sich daran erinnert gefühlt hatte, was ihm Brenda erzählt haben musste. Demnach brach ich die Stille und sagte: "Ich könnte dich jetzt fragen, was du vom Rechten Arm wissen willst, doch da ich annehme, dass du alles von Brenda weißt, werde ich dir nichts Neues erzählen."
"Ich weiß", kam es von Jorge und wir fuhren eine leichte Linkskurve. Die Straßen waren keine richtigen Straßen, sondern bestanden aus Kies und Schotter. Dennoch, unter dem ganzen Gestein könnte sich immer noch eine alte Straße befinden.
"Ich wollte nur ein Gespräch beginnen. Hast ziemlich durch den Wind ausgesehen, als du vor Marcus' Klub einen Zusammenbruch hattest."
"Hätte dann nicht ein einfaches 'wie geht's dir' gereicht?", ich klang immer noch nicht überzeugt. Fakt war, dass ich keine Lust hatte, mich mit Jorge über den Rechten Arm zu unterhalten. Er war ein intelligenter Mensch, war sogar der Anführer einer Gruppe gewesen. Und das waren nur zwei Gründe, warum ich ihm nicht komplett vertraute. Er erfüllte alle Kriterien vom Typus Mensch, von welchem man sich in der Brandwüste in Acht nehmen musste.
"Ja, aber das fand ich langweilig. Die ganze Reise über, muss ich zugeben, hat sich der da hinten, Thomas", Jorge sah in den Spiegel über seinem Kopf und traf den Blick Thomas', "Ja, du, Thomas. Die ganze Zeit war er in meinem Fokus aus eurer Gruppe. Ich mein', er redet sehr viel, dann Liv, wenn sie so heißt, und zwar aus bekannten Gründen. Dass aber genau du es bist, von dem ich diese Neuigkeiten erfahre, hat mich schon ziemlich aus den Socken gehauen, hermana, ha! Und ich dachte, dass mich aus euer Gruppe nichts mehr überrascht, nachdem ich euch als einen Haufen Kids abgestempelt habe. Interessante Zeiten, in denen wir leben", erzählte er und fast alle sahen ihn an. Auch Livs dunkle Augen landeten auf Jorge, dessen Worte ausgesagt hatten, dass sie komisch war.
"Also ja, dich normal nach deinem Befinden zu fragen, ist langweilig und eigentlich interessiert es mich auch nicht."
"Damit kann ich leben. Immer wenn ich dich ansehe, muss ich daran denken, wieder kopfüber 'nen Abgrund zu hängen. Dein Befinden interessiert mich also auch nur, wenn es für mich interessant oder für andere gefährlich wird", erwiderte ich und war überrascht, dass ich kontinuierlich schnippische Antworten liefern konnte. Nun, eigentlich war ich nicht überrascht, da ich wieder meine ganzen Erinnerungen hatte und ich mich an alle Gespräche mit meinem Vater erinnern konnte, als er mir immer gesagt hatte, dass ich einem Fremden keine Antworten schuldete.
"Touché, Kleine!", lachte Jorge.
Ich schüttelte meinen Kopf. Von der Seite aus konnte ich erkennen, wie der Mann lächelte, anschließend lehnte ich mich vorsichtig nach hinten zu Newt und meinte nach vorne zu Jorge: "Ich möchte einfach nur zu meinem Zuhause. Ein Zuhause ist in der Brandwüste ein Privileg und besteht meist auch nur aus Menschen, die man mag. Beim Rechten Arm werden sich all deine Fragen beantworten, Jorge."
"Wenn mir keine Geister begegnen, bin ich schon zufrieden."
"Ich wäre schon mit keinen Verrückten zufrieden", mischte sich Brenda ins Gespräch ein und dieses kam zu einem Ende.

Die Ewigkeit einer verdammten Reise | Newt Ff / Teil 2 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt