26

659 28 2
                                    


Dafür würde ich gehörig Ärger bekommen. Ich hatte meinen eigenen Bruder getötet. Ich fühlte nichts.
Ich drückte den warmen blutenden Körper von Kilian an mich.
Eine Eiseskälte breitete sich in meinem Körper aus.
Ich hatte meinen eigenen Bruder getötet, genauso wie seine Geliebte. Und Kilian lag halbtot in meinen Armen. Ich wusste, würde er sterben, würde ich es auch. Mein Herz tat weh, als ich mich an seinen Blick erinnerte, als ich das Mädchen tötete. Er sah das Monster in mir. Er sah meine Herzlosigkeit. Niemals würde er mir dieses Vergehen ganz verzeihen können. Er war zu gutherzig dafür.

Auch die anderen Männer lagen tot auf dem Boden des Frachtraums. Es waren auch nur Menschen gewesen. Sie hatten keine Chance zu überleben, nicht in diesem Gefecht. Und Kilian sah es. Wie ich ohne Reue oder andere Gefühle einen Menschen nach dem anderen tötete. Er sah mich an, als wäre sein Herz gebrochen. Die Enttäuschung tat mir weh, verwandelte sich in Kälte und ließ nichts anderes mehr durchsickern. Ich fühlte mich genau wie damals, als ich zum vollwertigen Dämonen wurde. Damals spürte ich auch nur Kälte ohne ein anderes Gefühl.

Nicht einmal, als ich damals von Mikk und Rosa gerettet wurde, nicht einmal da konnte ich etwas anderes als diese innere Leere fühlen. Angst überkam mich. Was, wenn es wieder passieren würde? Wenn ich meine Gefühle für Kilian verlieren würde? Das wollte ich nicht, doch als ich ihn ansah, fühlte ich nichts, außer seinen eigenen Herzschlag. Da war eine Leere, welche mir Angst machte.
Doch ich wusste, mein Leben hing von ihm ab. Ich wusste, dass er mir wichtiger war als jedes andere Wesen auf dieser Welt, auch wenn er mich nicht mehr so sehr mögen würde. Ich wusste, er musste leben.
Ohne dieses ganze Gefühlschaos konnte ich klar denken.
"Halte noch kurz durch, Kilian." Seine Augen waren geschlossen. Er gab keinen Laut von sich. Inzwischen musste er ohnmächtig geworden sein wegen des Blutverlustes.
Ich hatte nach meiner Einschätzung gute zwei Minuten Zeit, bevor er sterben würde. Ich legte ihn auf den Boden ab. Dann wandte ich mich ab und begann einen Kreis zu ziehen. Die leuchtenden Muster sprühten aus meinen Fingern hervor. Ich beeilte mich, spürte dabei kaum die Wunde an meiner Hüfte.

Fast gleichzeitig mit der Beendigung der Zeichen hörte ich, wie Kilian anfing loszuschreien. "Ray!", schrie der blonde Junge auf dem Boden liegend. Seine Stimme war schmerzerfüllt. Sofort war ich wieder bei ihm.
"Ganz ruhig Kilian. Du wirst das überleben." Sein leichter, schmächtiger Körper passte perfekt in meine Arme. Ich legte ihn in die Mitte des Kreises. Sofort leuchteten die Zeichen um uns herum auf. Es waren Runen in der Sprache der Dämonen. Meine Hand landete auf seinem Herz, dann begann ich mit dem Ritual. Kilians Schreie hörte auf. Alles war wie in Zeitlupe. Die gemalten Zeichen flammten auf.
Der Blonde schaute mich an, seine grünen Augen waren voller Tränen. "Du musst jetzt sagen, dass du lebst." Bei meinen Worten sah ich den Schmerz in seinen Augen. 

"H-Hast du das Mädchen wirklich getötet?", fragte er mich wimmernd.
"Ja, das habe ich. Und ich würde es genauso wiedermachen. Wenn ich dich damit retten kann. Denn in diesem Moment warst du mir das Wichtigste."
Kilian schwieg. Das Ritual begann zu bröckeln. "Wir sterben beide gleich, wenn du nicht leben willst. Kilian.." Er blickte mich wieder an. Die Trauer in seinen Augen war überwältigend. Mit kalten Fingern fasste er auf meine Brust, an die Stelle, an der mein Herz saß. "Ich hasse mich dafür. Alles ist meine Schuld. Ich habe das Leben nicht verdient. Aber ich will leben." Er hustete. „Ich will dich leben sehen!" Er fasste sich an die Wunde, welche nicht weiterblutete, solange wir in dieser Blase waren.
"Ich will dich auch leben sehen." Wir blickten uns in die Augen. Ich sagte die letzten Worte des Rituals auf und dann ging die Zeit wieder normal.
Die Flammen verschwanden, genauso wie das gezogene Ritual. Wir waren wieder auf dem Schiff.
Kilians Wunde begann sich zu schließen, meine genauso.

"Wir leben." Ich ließ mich nach hinten fallen. Erleichterung überkam mich.
Mit geschlossenen Augen hörte ich den schnellen und lauten Herzschlag von Kilian.
Auch seine Atmung war beschleunigt. Er richtete sich auf. "Ja, wir leben." Obwohl meine Augen geschlossen waren, sah ich förmlich, wie er näherkam. Seine inzwischen warmen Hände auf meiner Wange bestätigten es. "Schau mich an."
Ich öffnete die Augen.
Wir blickten uns in die Augen.

"Ray, wieso schaust du mich so an?" "Wie schaue ich denn? " Meine Stimme klang hohl. "Dein Blick wirkt so leer. ", meinte Kilian. "Was ist hier gerade passiert? Wieso hat er das getan? War das über deine Vergangenheit wahr? War es absolut notwendig diese vielen Menschen zu töten? War es das, Ray?!" Der Blonde atmete schwer. Ich schwieg. Die Welt um mich herum war in Watte gehüllt, Kilian war in Watte gehüllt. "Willst du mir vielleicht auch antworten? Was ist denn nur mit dir los? Wieso habe ich das Gefühl, dass die das alles hier gerade total egal ist? Ray, ich komme mit dem Geschehenen nicht klar." Tränen funkelten in seinen Augen. Mein Herz schmerzte. Es war, als wäre ich im Wasser unter dem Eis. Wenn ich es nur schaffen würde an die Oberfläche zu kommen, dann würde Kilian mich nicht mehr so ansehen. Nicht mehr mit dieser absoluten Enttäuschung.
"Du hast recht. Irgendwie ist es mir egal.", sprach ich die Wahrheit aus. Das Gefühl der Leere nahm mich mehr und mehr ein. Kilian kniff mir in beide Wangen.


"Komm wieder zu dir!", schrie er mich hysterisch an. "Wo sind denn deine Gefühle hin? Ist das ein Schutzmechanismus oder so? Ray, verdammt bitte! Ich brauche dich. Ich brauche den Ray den ich liebe!" Nun flossen seine Tränen langsam über seine Wangen. "Liebe." Ich versuchte mich an das Gefühl zu erinnern. Das Gefühl dieser unendlichen Liebe, welches ich für diesen Jungen vor mir eigentlich empfinde. Was war nur mit mir los? Ich wusste es selbst nicht. "Du versteckst dich hinter der Gefühllosigkeit. Du hast doch nur Angst. Du hast Angst, ich würde dich verlassen und hassen für deine Tat. Du hast Angst vor Reue und deinem Gewissen. Ist es das? Kannst du deshalb nicht du selbst sein? Und jetzt rennst du davon. Ich dachte du wärst stärker." Er klang wütend, doch sein Gesichtsausdruck war nur voller Trauer und Angst. Ich schwieg weiterhin. "Nicht einmal reden kann ich mit dir." Er schniefte.

"So wie du jetzt bist, so hasse ich dich wirklich."
Kilian ließ mich los, dann ging er weg.
Ich blieb im Frachtraum, versuchte herauszufinden, was mit mir los war, doch es war mir nicht wichtig. Es war befreiend nichts zu fühlen.

Ich wusste, in diesem Zustand würde ich kaum mit ihm reden können, also blieb ich in dem Frachtraum und kümmerte mich um die Leichen.

Erst als ich mich dazu entschied den dunklen, fensterlosen Raum zu verlassen merkte ich, dass wir schon an einem Hafen angelegt hatten. Kilian war nicht in der Kabine, aber ich konnte seine Präsenz fühlen. Da mir keine nervigen Emotionen im weg waren, folgte ich diesem Gefühl.
Ich suchte Kilian. Ohne andere Menschen Beachtung zu schenken, lief ich immer weiter. Er stand auf einer Brücke und beobachtete einen Fischer am Ufer des Flusses. Seine Tränen waren versiegt, doch die Augen gerötet, mit traurigem Blick.
"Komm mit.", sagte ich zu ihm. "Nein. Du sagtest ich wäre frei nach der Bindung. Ich gehe jetzt zu meiner Familie. Ich werde meine Schwester umarmen und ihr sagen, wie sehr ich sie vermisste. Und probieren nicht wieder an dich zu denken. Lass mich bitte einfach in Ruhe." 

Ich wusste nicht was ich darauf sagen geschweige denn angemessen reagieren sollte. "Dir ist doch eh alles egal, dann kann dir das auch egal sein. Er blickte mich an. Ich habe meine Entscheidung getroffen." Zum ersten Mal sprach er mit klarer, fester Stimme und hielt den Augenkontakt.
"Du wirst immer fühlen, wo ich sein werde. Und ich, wo du sein wirst.", war meine einzige Antwort. Wie sollte er mich verstehen, wenn ich meine Handlungen nicht einmal selbst verstehen konnte? "Dann ignoriere es. Auf wiedersehen, Ray."
"Geh nicht einfach weg!" Ich nahm seine Hand. Eine Idee nahm in meinem Kopf Gestalt an. Vielleicht verstand ja doch jemand, was gerade mit mir los war? Und wenn es jemanden geben könnte, dann ihn.
"Ich will aber nicht bei dir bleiben! Ich will-" Ich ließ ihn nicht ausreden. Im selben Augenblick lösten wir uns auf. 



(Ich lebe noch ;D)

DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt