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Kilian

Es war dunkel. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die anfängliche Dunkelheit zu gewöhnen. Ich hatte keine Ahnung, wo genau wir waren, doch es war ein Zimmer. Dort stand ein Tisch, an welchem Jan saß.
"Was ist denn hier passiert?" Rays Bruder merkte sofort, dass hier etwas nicht stimmte.
"Tristan überfiel uns auf einem Schiff. Er hatte Menschen bestochen ihm zu helfen. Er wollte mich töten. Aus Hass vermute ich. Deswegen kämpften wir gegen ihn. Kilian wurde schwer verletzt, ich tötete viele Menschen und am Ende seine Geliebte, wodurch auch er starb. Dann vollführten wir das Ritual. Seitdem Kampf sind meine Gefühle weg."
Jan schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Vermutlich war er sprachlos wegen der Fülle der Informationen. "Kilian wollte mich vor einigen Sekunden verlassen, doch irgendwas sagt mir, das wäre nicht gut für mich. Deshalb sind wir hier."
"Das ist ziemlich viel.", erwiderte Jan nach kurzem Schweigen überfordert und blickte uns beide abwechselnd an.
"So eine Phase hatte er schon einmal. Damals war Ray noch ein Kind.", meinte Jan langsam in meine Richtung schauend.
"Ein bisschen was darüber weiß ich schon. Aber weißt du also, was das Problem ist?", fragte ich ihn mit Hoffnung in der Stimme. Ray hatte schreckliches getan, doch er tat es für mich. Es war unverzeihlich, aber es hatte einen Grund. Und Ray muss dazu stehen.

Ich hatte nicht einmal vor ihn richtig zu verlassen. In der Hoffnung, er würde mir folgen, machte ich mich allein auf den Weg. Ich konnte ihn nicht aufgeben, doch ich dachte, seine Gefühle würden wiederkommen, würde ich ihn verlassen.
"Normalerweise würde er mir eher den Kopf abreisen, wenn ich auch nur versuchen würde es zu erzählen. Bestimmte Teile aus seiner Vergangenheit. Habe ich recht, Ray?" Wir schauten ihn beide an. "Ich weiß, worauf du hinauswillst, aber es ist mir egal. Wenn du denkst es ist notwendig, dann erzähl davon.", gab Ray tonlos Bescheid.
Jan seufzte. Nun sah der Dämon wirklich besorgt aus.

Seine Mutter war eine Prostituierte." Jan ließ die Information wirken. Ray stand weiterhin da. Er zeigte nicht eine Reaktion. Ich wusste, dass das Thema Familie für ihn von großer Bedeutung war. Deshalb verwunderte mich seine Reaktionslosigkeit umso mehr. Wir konnten uns nun beide sicher sein, dass Ray in diesem Moment nicht mehr der war, der er noch vor dem Ereignis mit seinem Bruder war. Die einzig logische Erklärung war für mich eine Schutzreaktion, die er nicht beeinflussen konnte, um das zu verarbeiten. Jan erzählte weiter. "Unser Vater schlief mit ihr und verliebte sich wohl in sie, so wie Ray in dich. Allerdings wurde sie schwanger. Mit Ray, wie du dir bestimmt denken kannst. Dann nahm er sie mit." Wieder machte er eine kurze Erzählpause. Das schlimmste würde wohl noch kommen. "Sie bekam ihn, doch musste Ray zurücklassen. Das ist so eine Regel. Er hätte zwischen den vielen Dämonen niemals überleben können. Außerdem war es nicht einmal sicher, ob er generell überleben würde, wegen der Sache mit Dämonenblut und Menschenblut. Er wurde von den ehemaligen Kolleginnen seiner Mutter aufgezogen und von dem Inhaber des Bordells. Dieser tat das aus Eigennutz. Mehr ins Detail werde ich nicht gehen." Jan klang ernst.

Mit großen Augen blickte ich ihn an. Mir wurde schlecht und ich hatte keine Ahnung, was eine angemessene Reaktion wäre. "Mein Leben als Mensch war eine dunkle Zeit. Als ich im Sterben lag, hatten mich Mikk und Rosa gefunden. Und nahmen mich mit sich. Als ich 19 war, verbrannte mein ganzes menschliches Ich in mir und das Dämonenhafte blieb. Es war eine schmerzliche Zeit. Damals hatte ich danach auch keine Gefühle mehr, genau wie jetzt." Ray sprach sachlich, als würde er ein langweiliges Buch vorlesen oder ein Gespräch über das Wetter führen. Mein Mund war trocken. "Und dann tötete ich jeden einzelnen Menschen, der mich schlecht behandelte, als ich noch ein Kind war.", fuhr Ray fort, aber Jan unterbrach ihn an dieser Stelle. "Ich denke das ist genug von der Geschichte.", meinte Jan nun. Er schien sich denken zu können, wie ich zum Thema sterben und töten stand.
Wir drei schwiegen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. "3 Jahre später begann er wieder sich für andere Menschen zu interessieren oder irgendeine Art der Gefühle zu zeigen.", zerstörte Jan die Stille.

"Also ist es wirklich so etwas wie eine Schutzfunktion.", schlussfolgerte ich mit brüchiger Stimme.
"Das kann sein, aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. Es tut mir leid, ich kann leider nichts tun, Kilian. Aber ich kann dir sagen, er veränderte sich, als er dich kennen lernte. Ich kann mir, um ehrlich zu sein nicht vorstellen, wie schwer das für dich sein muss, denn für mich ist es einfach eine seiner Phasen, doch dich muss das wirklich fertig machen. Ich kann dir nicht helfen. Ich kann nur eines machen, und das ist hinter ihm aufzuräumen und dir sagen: Wenn ihn jemand wieder ändern kann, dann du, Kilian. Du bist fähig ihn zu ändern. Auch wenn das alles andere als einfach ist."
Ich seufzte. Das war nicht das, was ich hören wollte. Ich wollte eine Lösung für Sofort, stattdessen sagte mir sein Bruder hiermit, dass sich dieses Verhalten von Ray über Jahre ziehen könnte. Und er in diesem Zeitraum möglicherweise Gräueltaten begehen könnte. "Danke. Für den Rat."
Mein Blick glitt zu Ray. Auch er schaute mich an. "Ich bin wirklich müde. Kannst du uns nach Hause bringen?" Er nickte nur, dann nahm er meine Hand. "Auf Wiedersehen.", sagte Jan. "Bis bald.", erwiderten wir gleichzeitig.

Im selben Moment lösten wir uns auf und landeten in dem großen Anwesen, welches inzwischen auch mein zu Hause war.
Ray ließ mich los. "Zu Hause."
Wir gingen in das obere Geschoss. "Ray, du erinnerst dich doch an all das, was geschehen ist in den letzten Wochen, richtig? Du bist mir so wichtig. Kannst du nicht bitte wieder Gefühle haben? Ich weiß, ich sag das so einfach. Aber du liebst mich doch auch. Was kann ich tun, damit es wieder so ist, wie noch vor einigen Tagen?"
"Du sagst du liebst mich. Aber war ich nicht angsteinflößend? Du wolltest bei dem Ritual zuerst nicht ja sagen.", fragte er mich mit zusammen gekniffenen Augen.
"Nein. Also ja, ich hatte gezögert. Weil ich in diesem Moment so traumatisiert war. Aber ich hätte dich nie sterben lassen können. Schließlich liebe ich dich. Und auch ich selbst wollte und will nicht sterben. Du sahst bei dem was du getan hattest gruselig und schrecklich grausam aus, wie der typische Dämon aus dem Bilderbuch, aber deine Augen waren voller Gefühl. Das ist mir in der letzten Zeit beim Nachdenken klar geworden. Schmerz, Angst, Wut, Ratlosigkeit, würde ich sagen. Und dann auf einmal war das alles weg. Da waren deine Augen von einer auf die andere Sekunde leer. Da war einfach nichts mehr. Wie fühlt sich das an? So leer zu sein?"

"Wie es sich anfühlt? Ich würde nicht sagen, dass ich komplett keine Gefühle mehr hätte. Mein jetziger Zustand fühlt sich an, als wäre ich unter Wasser, ohne die Oberfläche erreichen zu können, um Luft zu holen. So fühle ich, wenn ich es vergleichen müsste. Also wenn ich den Versuch starte was zu fühlen oder wenn du etwas sagst, das ein Gefühl in mir weckt. Aber diese dringen wie nicht durch, auch wenn ich es probiere." Nun wirkte er verwirrt. „Das ist anstrengend. Wieso probiere ich das eigentlich?"
Seine Worte entsetzten mich. "Kannst du nicht an die Oberfläche? Ray bitte versuch es. Versuch es immer weiter. Bitte!!" Ich sah Ray in die Augen. In ihm herrschte ein Kampf, das sah ich klar und deutlich. "Ich liebe dich Ray." Ich wusste nicht was ich noch sagen sollte.
Wir schauten uns in die Augen. "Es tut mir leid, Kilian.". "Bitte, wach auf." Ich kam einen Schritt auf ihn zu und streifte mit meinen Händen seine Arme, dann stellte ich mich fast automatisch auf Zehenspitzen und drückte meine Lippen auf seine. Ein leichter Ruck ging durch seinen Körper, mehr passierte aber auch nicht.

Ich ließ von ihm ab. "Ich gehe hoch in mein Zimmer.", meinte Ray und ließ mich stehen. Er hatte den Kuss nicht erwidert. Er sagte nichts auf mein 'Ich liebe dich'. In meinem Zimmer ließ ich mich auf das große weiche Bett fallen. Unweigerlich liefen die Tränen über mein Gesicht. Was sollte ich nur tun? Das Gefühl des Alleinseins war stärker denn je. Es hatte eine überwältigende Wirkung.

DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt