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Kilian

Die Zeit verging schnell. Es war unglaublich. Inzwischen war es Februar. Ein halbes Jahr war ich nicht mehr zu Hause. Meine Mutter und meine Schwester waren nun schon eine lange Zeit allein. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an sie dachte.
Doch in dieser Zeit hatte ich auch gelernt. Rosa und Mikk sagten mir, ich sei ein Naturtalent, was das Lernen von lesen und schreiben angeht. Auch lernte ich viel über die Dämonen, ganz besonders über Ray. Er ist nicht böse. Ray gehört zu der Königsklasse der Rassen, zu den Dämonen. So gefürchtet wie dieses Geschlecht sind Vampire und Werwölfe zusammen nicht. An Ray merkte ich nichts von irgendeiner Art Fürchterlichkeit. Er war nicht so grausam wie in den Geschichten die Dämonen dargestellt wurden. Auch ging keine Bösartigkeit von ihm aus.
Ray war trotz allem keinesfalls einfach. Mit seinen Stimmungsschwankungen und extravaganten Ansprüchen konnte er mehr als anstrengend sein. Inzwischen war ich mir sicher den Schwarzhaarigen gut zu kennen. Er mochte es bewundert zu werden, doch gleichzeitig nervte es ihn, wenn alle genau das taten, was er wollte. Oft war er nett, doch wenn seine Autorität darunter litt, dann wurde er ernst, streng und manchmal grausam.

Aber auch ich hatte mich verändert. Noch immer wusste ich nicht, wie ich mich gegenüber Ray verhalten sollte. Ich mochte ihn. Ich mochte ihn sogar sehr, und das machte mir mehr Angst als die Tatsache, dass ich einen Dämonen sehr mochte.

"Kilian? Kilian, wo bist du?" Bei der lauten Stimme von Ray zuckte ich zusammen.
"Oben!", antwortete ich in derselben Lautstärke. "Ich bin am Putzen! Kommt bitte her, wenn Ihr was wollt!" Ganz gemächlich putzte ich den Spiegel weiter. Kurz viel mein Blick auf das Spiegelbild. Hob ich eine Hand, machte es dasselbe. Zog ich eine Grimasse, machte mein Spiegelbild mir nach. Seufzend viel mir der Pickel ins Auge, welcher auf der rechten Wange nahe meines Ohres thronte.
"So putzt du also? Betrachtest du dich nicht eher selbst im Spiegel? Deshalb sollte ich hochkommen? Um mir das anzusehen?" Ray klang belustigt. Ich zuckte zusammen. "Verdammt Ray!" Meine Wangen nahmen die Farbe einer überreifen Tomate an. "Habt Ihr mich erschreckt." "Du hättest mich doch im Spiegel sehen können. Ein Blick weg von deinem eigenen Gesicht und du hättest mich gesehen.", sagte er, mir intensiv in die Augen blickend.
"A-Aber.." Auch ich blickte ihm in die Augen. Dann schaute ich mir seinen Körper im Spiegel an. Die Arme waren verschränkt, wodurch seine Muskeln zum Vorschein kamen und er stand im Türrahmen an die Wand gelehnt. Ray trug ein ordentliches Hemd mit einem Mantel darüber. Auch seine Hose wirkte neu. Alles in kurz: er sah unglaublich gut darin aus.

"Geht Ihr wieder weg? In eine fremde Stadt? Was müsst ihr da machen?", fragte ich neugierig. Eine gute Methode die Verlegenheit zu kaschieren.
"Ich denke ich kann dir genug vertrauen um dich allein zu lassen. Und auch, dass du nicht wegrennst und denkst wieder nach Hause zu kommen, zu deiner Familie."
"Schon klar. Ich weiß, dass ich nicht nach Hause kann." Sofort schlug meine Stimmung wieder um in traurig und sehnsüchtig.
"Vielleicht kann ich mich ja mal um horchen, wie es ihnen geht.", grummelte Ray. "Aber versprechen kann ich nichts."
Breit grinsend drehte ich mich um und blickte ihm in die Augen.
"Darüber würde ich mich riesig freuen."
Er nickte nur und drehte sich um. Langsam hob der Dämon die Hand. "Bis bald." Und somit ging er.

Ich blickte aus dem Fenster. Ray vertraute mir wirklich. Ich vermisste meine Familie, aber würde ich nun verschwinden, wäre ihnen auch nicht geholfen.
Ray würde mir nicht mehr vertrauen und mich höchst wahrscheinlich einsperren. Die einzige Chance sie wiederzusehen, würde auf Null sinken. Außerdem hatte ich die Hoffnung, er würde wirklich nachsehen, wie es den wichtigsten Menschen in meinem Herzen ginge. Er sagte solche Worte nicht einfach so.
Ich wollte auch Rays Vertrauen nicht verlieren. Es war mir wichtig, dieses zu behalten. Wieder seufzte ich. Wenn ich an Ray dachte, schlug mein Herz schneller. Egal wie mürrisch er war, in ihm steckte eine nette und freundliche Persönlichkeit. Man durfte ihm das so nur nicht erzählen, denn sonst würde er das Gegenteil beweisen. Er wollte für Böse und für ein Ungeheuer gehalten werden, da war ich mir sicher.
Aber ich hatte das Privileg hinter diese Fassade blicken zu dürfen. Irgendetwas fand er an mir besonders und diese Tatsache machte mich überglücklich.

Nachdem die Arbeit das Haus sauber zu halten verrichtet war, ging ich an das Meer spazieren. Ohne Ray waren die Tage meist langweilig und einsam. Er war nicht immer der beste Redner, aber er gab mir Aufgaben, um mich nützlich zu fühlen und brachte mir schon manchmal ein Buch mit, damit ich meine Fähigkeit zu lesen verbessern konnte.
Damit verbrachte ich die meiste Zeit des Tages.

Einen Tag später kam Mikk zu Besuch.
Zusammen setzten wir uns auf das weiche Sofa.
"Ray geht viel zu viel arbeiten.", beschwerte sie sich. "Da darf er dich doch nicht allein lassen." "Ich komme damit klar. Das ist nun mal seine Arbeit. Außerdem sagte er, vielleicht würde er bei meiner Familie vorbeischauen." Meine Sehnsucht war nicht zu überhören. "Du vermisst sie sehr, oder? Also deine Familie." Ich nickte. "Und wie ich sie vermisse. Besonders meine Schwester. Was, wenn ihr etwas passiert? Sie ist keinesfalls schwach, aber.. wenn ihr zwei Männer der bösen Sorte auflauern sollten..." "Shhh ganz ruhig." Sie berührte mich am Arm. "So darfst du nicht denken. Wenn sie stark ist, dann wird sie einen Weg finden sich zu schützen. Glaub an deine Schwester."
"Hmm." Mikk trank einen Schluck des Tees.
"Wieso lässt er mich sie nicht sehen? Ray ist so ein Netter. Wieso lässt er mich sie nicht sehen?"
"Das hat seine Gründe. Und dieser Grund ist berechtigt. Glaube mir. Sonst würde er dich sie sehen lassen. Du bist der erste Mensch, nein sogar das erste Lebewesen, mit dem er so umgeht. So freundlich." Sie lächelte schmerzlich.

"Er hatte es einst erzählt. Dass du und Rosa ihn aufgezogen hattet. Und er sagte selbst er habe sich danach nicht gut benommen. Ich glaube, er will das wieder gut machen." Mit einem Lächeln im Gesicht und dem Blick im Unendlichkeitsmodus nickte sie wieder. "Vielleicht hast du recht. Auf jeden Fall werden wir ihn immer als unseren Sohn lieben. Egal, was für ein Trottel er doch ist." Ich kicherte.
Mikk trank ihren Tee aus. "Ich muss leider wieder los. Rosa wird schon auf mich warten."
"Ich begleite dich noch ein Stück. Ich wollte sowieso nochmal ans Meer."
"Das freut mich. Begleitung ist schön." Gemeinsam verließen wir das Haus. "Wo wohnt ihr eigentlich? Also du und Rosa?" "Auf einer Lichtung in der Nähe der Stadt Zark." "Ich habe von der Stadt schonmal gehört. Ist die nicht relativ weit entfernt?", fragte ich neugierig.

"Ja. Das ist ein ganzes Stück. Aber für uns Elfen ist das kein Problem. Dank unserer Magie können wir uns ähnlich wie die Dämonen teleportieren. Allerdings müssen wir vorher so etwas wie einen Bannkreis setzen. Haben wir den gesetzt, können wir jederzeit dahin reisen. Allerdings haben wir nicht unendlich viele dieser Bannkreise. Ich besitze acht Stück. Rosa sieben."
"Boah, das ist ja richtig cool!", grinste ich. "Was kannst du sonst noch so?"
"Wir können unsere Größe ändern. An sich bin ich fähig noch viel kleiner zu werden, größer aber nicht. Im Moment habe ich auch keine Flügel, aber die könnte ich jederzeit ausfahren. Außerdem können wir Nachrichten aneinander schicken. Dafür brauchen wir ein großes Blatt eines Baumes. Darauf schreiben wir etwas und das wird dann verschickt, indem es verschwindet und vor dem Empfänger auftaucht."

"Das ist echt unglaublich. Und dann komme ich als Mensch an und kann nichts Besonderes."
"Das was wir können ist nichts Besonderes. Nur du hälst es für das, weil du es selbst nicht kannst. Aber die Menschen sind auch besonders. Ihr könnt nichts Besonderes und schafft es trotzdem zu überleben und sogar die Könige auf der Welt zu sein."
"Im Vordergrund. Aber würde es zu einem Krieg kommen, würden die Dämonen alles übernehmen und gewinnen."
"Das stimmt wohl."
Mikk blieb stehen. "Das reicht. Geh am besten wieder nach Hause. Wir sind an der Grenze von Rays Gebiet. Deshalb solltest du wieder in das Gebiet herein."
"Okay. Dann bis bald Mikk."
Sie lächelte breit. "Bis bald, Kilian."
Ich drehte mich um, doch als ich Mikk laut schreien hörte, zuckte ich zusammen. So schnell ich konnte drehte ich mich zu ihr um. Mikk lag auf dem Boden, von zwei fremden Personen festgehalten.

"Genau dich haben wir gesucht.", grinste mich eine Frau mit lila Augen an. Ein leiser Schrei verließ meinen Mund. Sie hatte kein weiß in den Augen oder schwarz, sie waren einfach komplett lila. Sie streckte ihre Hand nach mir aus, doch ich sprang weg. Sie sprang mir mit Leichtigkeit hinterher. "Jetzt schlaf erst einmal.", sagte sie, als ihre Hand meine Stirn berührte.
Ich spürte, wie sich alles in mir zu drehen anfing. Mikks Rufe wurden leiser und ich verlor das Bewusstsein.
Alles wurde schwarz.

DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt