22

865 48 1
                                    

Ray

Erschöpft lief ich durch die großen Ausgangstore des Schlosses. Die Sonne hatte eine orangene Farbe angenommen und verschwand langsam hinter dem Meer. Tristan hatte mich fertig gemacht. Egal wie sehr ich versuchte die Wogen zu glätten, er war meinen Aussagen immer im Weg. Wieso musste er auch seinen Hass auf mich bei der Arbeit auslassen? Ich versuchte umzudenken. Trotz einiger Schwierigkeiten zeigten sich die Parteien von ihrer besten Seite und waren friedlich gestimmt. Ein neuer Friedensvertrag wurde aufgelegt. Die Einzelheiten in den Verhandlungen waren noch ungeklärt, würden trotzdem nicht mehr lang dauern. Aber meine Gedanken waren immer wieder bei Kilian. Auch jetzt schweiften sie - wieder so oft - zu ihm. Wo er nun wohl gerade sein würde? So wie ich ihn inzwischen kannte, würde er nicht in dem Gasthaus sitzen und Däumchen drehen. Als ich die Augen schloss, sah ich förmlich den Weg zu ihm. Alles war schwarz, aber eine feine silberne Spur zeigte einen Weg Richtung Westen, wieder raus aus der Stadt. Ich spürte ihn, da in seinem Körper ein Teil von mir war. Kurz wurde alles schwarz, dann stand ich am Strand.

Wieder saß er an derselben Stelle und wieder umarmte ich ihn von hinten. Ich hatte das Gefühl bei ihm ich selbst sein zu können, mehr Gefühle zu haben.

"Ich hatte schon auf dich gewartet.", sagte er auf das Meer schauend. "Du magst das Wasser, richtig? Und seit wann nennst du mich du? Das ist ungewohnt." "Seit gestern Abend. Da war ich furchtbar wütend auf dich und hatte beschlossen das ab jetzt so zu machen. Hast du ein Problem damit?", fragte er, das „Du" extra betonend. "Achso." "Aber wegen deiner Frage," sagte Kilian und schaute zu mir, "ja, ich mag das Meer. Es ist wunderschön. Mal ist es blau, mal grün, mal grau. Es ist warm, kann gefährlich sein aber auch verspielt und spaßig. Es hat irgendwie alles. Eine Vollkommenheit."

Ich strich über seine Arme. "Du hast recht." Er drehte den Hals und lächelte mich an. Sein Lächeln war wunderschön. Er hatte gesehen, wie ich jemanden umbrachte und konnte mich immer noch anlachen. Er sah mich ohne Verachtung oder Angst an. Kilian war zu mir wie zu jedem anderen auch. Das mochte ich wirklich sehr.

"Also eröffnen wir die Fragestunde? Ich habe eine gedankliche Liste erstellt. Eine lange Liste." "Wie versprochen darfst du mich alles fragen, Kilian, doch ich habe eine Bedingung dazu." "Und die wäre?" "Ich darf dasselbe. Jede Frage stellen. Auf alles eine Antwort bekommen. Wir wechseln uns ab."

Er seufzte. "Das scheint nur fair zu sein. Ist gut. Ich verspreche, ich werde ehrlich antworten."

"Und ich möchte vorher noch etwas klären.", sagte ich unbehaglich. "Das mit Henriette war wirklich nur gespielt. Du merktest es vielleicht nicht, doch ich könnte sie niemals so ansehen wie dich. Denn du bist jemand besonderes für mich." Eine Stille entstand. Nur das Rauschen des Meeres und der sanfte Wind erfüllten die sonst lautlose Luft. "Du hast sowas doch sicher schon zu vielen gesagt, oder?" "Ich habe nie jemanden besonders genannt oder meine Zuneigung gestanden. Auch wenn ich viel flirtete, habe ich nie von meiner Seite aus Gefühle gezeigt." Meine Stimme klang ehrlich.

Wir blickten uns in die Augen, dann drehte er sich um und lehnte sich langsam an mich. "Ich glaube dir." Das Schmunzeln in seiner Stimme war unüberhörbar. "Stell die erste Frage, großer böser Dämon."

"Wie genau hattest du dich bei dem Angriff gestern gefühlt?"

"Du weißt davon? Ich hatte dir doch gar nichts erzählt." "Ich habe meine Informationsquellen. Ich möchte auch wissen warum du mir davon nichts gesagt hattest. Also, erzähl es mir."

Kilian atmete tief durch. "Es war unbeschreiblich. So gut und so schrecklich zugleich habe ich mich noch nie gefühlt. Es war eine gewisse Überlegenheit. Unbesiegbarkeit, grenzenlose Macht. Ich wollte diesen Jungen... ich wollte ihn wirklich töten. Mit meinen eigenen Händen." Kilian begann zu zittern. Seine Stimme war ein kratziges Flüstern. Ich empfand Dankbarkeit, dass er mir die Wahrheit erzählte. "Dieses Gefühl ein Leben in der Hand zu haben gab mir ein irres Hochgefühl. Ich will so etwas nie wieder fühlen. Es war einfach nur schrecklich. In dem Moment hatte es sich angefühlt, als wäre ich im Paradies und genau deshalb bin ich angewidert von mir selbst."

DemonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt