5. Kapitel

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     Obwohl es 06:00 Uhr morgens war und ich gehofft hatte, Reece nicht zu begegnen, da es draußen eh noch dunkel war, stand er am Fenster im Wohnzimmer und blickte hinaus. Der Schnee fiel noch immer vom Himmel. Er schien so tief in Gedanken versunken, dass er mich nicht einmal bemerkte, als ich im Flur meine Schneeschuhe überschnallte. Erst, als ich mich räusperte und ihm leise einen guten Morgen wünschte, sah er zu mir. »Wo soll es denn hingehen?«, fragte er, anstatt meinen Gruß zu erwidern. Innerlich verdrehte ich die Augen. »Den Wanderweg entlang und dann mal sehen, welche Tour ich heute mache.« Ich zuckte mit den Achseln und zog mir meine Jacke über.
     »Du solltest nicht zu weit gehen. Es wird heute noch heftiger schneien.« Verbissen wollte ich die bissigen Worte zurückhalten, da ich wusste, dass er etwas hatte, dass ihn beschäftigen musste, warum er so war. Auf der anderen Seite konnte und wollte ich sein Verhalten nicht weiter dulden. »Das weiß ich. Ich bin kein Greenhorn, für das du mich aber dennoch hältst.« Da. Da waren diese Worte, so verbissen und kalt wie sonst nichts auf der Welt. Und ich hasste sie. Ihr bitterer Geschmack haftete auf meiner Zunge. »Ich wollte dich ja nur warnen. Ich werde heute auch keine lange Tour machen. Wer weiß, wie das Wetter bereits in den Bergen ist.« Ich nickte, wich seinem Blick weiterhin aus und zog mir meinen Schal, dann meine Mütze und dann meine Handschuhe an.
     Dann schulterte ich meinen Rucksack, den ich mir gepackt hatte. Reece beobachtete mich stumm dabei. »Soll das jetzt jeden Morgen oder Abend so gehen? Wir reden nur das Nötigste und sonst ignorieren wir uns?«, fragte er. Mein Blick schoss zu ihm. »Ich dachte, dass du das so möchtest, nachdem was ich mir schon alles anhören musste.« Mein Blick war ernst und meine Miene neutral. Ehe er noch etwas sagen konnte öffnete ich die Tür und trat hinaus in die Kälte. Ein eisiger Wind blies mir Schneeflocken ins Gesicht, doch das störte mich kaum. Eher im Gegenteil. Ich genoss die Kälte, die sich hierbei auf mein Gesicht legte. Als ich von der Veranda heruntertrat, rührte sich im Schnee etwas, was ich nur durch das Licht der Laterne an der Veranda erkennen konnte.
     Erst schlüpfte ein dunkler Kopf hervor. Nanook. Dann ein schwarz-weißer Kopf. Bronco. Dann ein weiß-brauner Kopf. Junior. Die drei schlüpften aus dem Schnee und kamen zu mir getrottet. Im ersten Moment wollte ich sie nicht begrüßen und das tun, was Reece mir gesagt hatte, doch bei ihren freundlichen Augen, die auf mich gerichtet waren und ihrer Art mich fröhlich zu begrüßen, in dem sie mich ansahen und brav warteten, bis ich sie streichelte, brach es mir das Herz sie nicht zu streicheln. »Guten Morgen, Jungs«, begrüßte ich sie und streichelte ihre Köpfe. Junior schmiegte sich an meinen Körper und genoss die Streicheleinheiten hinter seinem Ohr.
     Auch Bronco war nicht abgeneigt davon, dass ich ihn am Kinn kraulte und Nanook genoss es einfach, dass er neben mir stehen konnte, ehe ich mich auch ihm zuwandte. Andere Menschen hätten jetzt mehr mit ihnen gesprochen, doch Hunde waren keine Menschen, weswegen ich ihnen einfach nur zeigte, was ich fühlte, bevor ich mich von ihnen löste und davon ging. Sie folgten mir nicht, sondern trotten zu ihrem Platz zurück und legten sich entspannt in den Schnee. Ich lächelte. Sie waren brave Burschen. Reece hatte gute Hunde...
      Nachdem ich das Gelände verlassen hatte, lief ich nach rechts, den Wanderweg an der Bergkette entlang. Die Schneeschuhe halfen mir gut durch den Neuschnee zu kommen. Ich genoss die Kälte, die durch meine Lungen strömte und konnte noch gar nicht so richtig glauben, dass ich nun wirklich hier war. Zwar war es noch dunkel, doch die Taschenlampe, die ich kurz darauf herausholte, leuchtete mir den Weg. Die Angst, einem Tier zu begegnen, war gering. Jedenfalls wollte ich mir darüber keine Sorgen machen. Es wäre mehr als unnötig. Der warm-goldene Lichtschein der Taschenlampe erhellte gute zwei Meter vor mir und das Licht streifte auch immer wieder die schneebedeckten Bäume. Alle paar Sekunden hörte ich Schnee von den Bäumen rieseln, während ich darauf wartete, dass die Sonne irgendwann aufging. Mir war klar, dass das noch lange dauern würde, doch es war mir egal. Ein Teil in mir hatte es einfach nicht mehr im Haus ausgehalten. Es war einfach zu schrecklich gewesen. Natürlich war mir klar, dass Reece es ab und an gut meinte, doch gestern? Gestern hatte ich das Gefühl gehabt, dass er mich kaum verstand. Sein Problem verstand ich nicht. Seufzend fuhr ich mir über das Gesicht und beschloss nicht weiter daran zu denken, während ich durch die Dunkelheit lief.
     Früh morgens war der Wald noch friedlich. Momentan hatte ich das Gefühl von innerem Frieden. Ein Gefühl, dass ich in Kanada nie hatte. Obwohl die Kälte auf meinem Gesicht stach und es mit den Schneeschuhen nicht ganz so einfach war durch den Neuschnee zu kommen, genoss ich die freie Zeit, die ich gerade hatte. Die nächsten Wochen konnte beginnen. Zwar trübte Reece meine Stimmung, doch ich wusste, dass es nur noch besser werden konnte, sobald ich mich an ihn und seine Stimmungsschwankungen gewöhnt hatte. Denn er hatte nichts anderes. Nur Stimmungsschwankungen, die ich nicht ganz deuten konnte. Schwankungen, die in meinen Augen keinen Sinn ergaben.
     Nie hatte ich ihm etwas getan und doch gab es Momente, in denen er gemein war und sich wie ein Arschloch verhielt. Da Reece hier aber nichts in meinen Gedanken verloren hatte, schaltete ich diese ab und konzentrierte mich auf den Weg. Erst als ich schon eine Weile gelaufen war, ging die Sonne langsam auf und tauchte den Wald ein goldenes Licht. Der Schnee begann zu funkeln und zu glitzern und ich nahm mir einen Moment Zeit, den Anblick zu genießen. Pure Ruhe strömte durch mich hindurch, als ich das Spektakel betrachtete. Ruhe und Frieden verdrängten jede Angespanntheit, die ich von Kanada mit hierher genommen hatte. Sobald ich den Wald und die Berge herum betrachtete, wurde ich ruhig und friedlich.
     Zwar gab es Berge und Wälder auch in Kanada, doch dort waren die Menschen, die mich kannten ein Faktor, der mich von dort wegtrieb. Nur hier, wenn ich vollkommen allein war, empfand ich diese Ruhe, die ich sonst nicht hatte. Eine Ruhe, die mir keiner nehmen konnte. Genüsslich schloss ich für einen Moment die Augen, sog die kalte Luft in meine Lungen und lauschte den Geräuschen des Waldes. Erste Tiere erwachten zum Leben. Im Unterholz hörte ich ein Knacksen und als ich nach rechts blickte, erkannte ich einen Hasen, der durch den Wald hoppelte. Für einen Moment beobachtete ich gespannt, wie er seine Spur durch den Schnee hoppelte, ehe ich mich abwandte und weiter durch die weißbedeckte Landschaft ging. Der Schnee knirschte unter meinen Schneeschuhen und ich genoss das Geräusch fast, zeigte es doch, wie kalt es war.
      Die zwei Pullis, die ich trug und die dicke Jacke, wärmten mich zusätzlich mit dem Unterhemd, der Leggins unter meiner Jeans und den drei Socken, die ich trug. Die Hände hatte ich trotz der warmen Handschuhe in den Jackentaschen vergraben und fragte mich, die Hundeschlittenfahrer es bei den schlimmsten Blizzards hier draußen ausgehalten hatten. Meine Füße trugen mich weiter, aus dem Wald hinaus, in richtig der Berge. Die große Bergkette erstreckte sich in ungefähr zehn Kilometern Entfernung von mir und wurde von der Sonne in ein goldenes Licht getaucht. Hier nahm ich mir wieder ein Moment Zeit, alles zu betrachten und zu genießen. Schließlich blieben mir hier nur zwei Wochen, bis ich wieder in den Alltag und somit in die Realität zurück musste.
     Genüsslich nahm ich einen Schluck Wasser aus meiner Flasche und betrachtete die Berge weiter. Unschlüssig, ob ich lieber ins Tal oder doch in Richtung der Berge laufen sollte, sah ich mich um. Allerdings wollte ich nicht wirklich ins Tal laufen. Dafür war ich nicht hierher gekommen. Nachdem ich das entschieden hatte, lief ich entschlossen auf die Berge zu. Je weiter ich lief, desto weniger erkannte ich, was sich hinter ihnen aufbaute. Die Welt schien friedlich zu sein. Hier und da sah ich ein paar Tiere, oder man hörte in der Ferne ein paar Tierlaute. Auch Wölfe waren zu hören, doch das störte mich nicht recht. In all den Jahren hier hatte ich gelernt, dass Wölfe keine Menschen angriffen, wenn sie genug zu futtern hatten.
     Vor meiner Ankunft hatte hier hatte ich mich über Bestand des Wildes hier erkundigt und war zu dem Schluss gekommen, dass dieser Bestand mehr als ausreichend war. Ich war nicht einer dieser Menschen, der zu Eis erstarrte, sobald ein Wolf heulte. Natürlich musste man vorsichtig sein, doch meine Knie würden nie vor Angst schlottern, nur weil ich einen Wolf hörte. Die Sonne schob sich immer weiter über den Himmel, je weiter ich in Richtung der Bergkette lief. Mein Magen gab ein lautes Knurren von sich und ich beschloss eine kleine Pause zu machen. Nachdem ich das Brot, dass ich mir aus der Küche geschnappt hatte, als Reece im Bad gewesen war, verdrückt hatte, aß ich noch etwas Käse. Als ich mich gestärkt fühlte, lief ich weiter.
     Meine gute Stimmung sackte in den Keller, als ich zum Himmel hinaufsah und die dunklen Wolken entdeckte, die sich am Himmel aufbauten. Bei genauerem Hinhören hörte man einen starken Wind pfeifen, der die Wolken immer schneller über die Bergspitzen schob. Das Herz sank mir in die Hose. Diese Windgeschwindigkeit... dieses Heulen in den Bergen... Schnell drehte ich mich um. Mein Herz pochte wild in der Brust. Niemand hatte etwas von einem Sturm gesagt... Oder etwa doch? Ich hatte im Wetterbericht nachgesehen. Ein Blizzard war nicht angesagt... dabei hätte ich vielleicht nicht darauf vertrauen sollen.
     Die Wolken waren dunkel, der Wind pfiff mit einer unfassbaren Geschwindigkeit dahin, so dass ich es nun auch spürte. Mit eiligen Schritten lief ich vorwärts. Immer schneller und schneller. Reece, fiel es mir ein. Reece konnte die Wolken sicher noch nicht sehen und... und war losgefahren... mir wurde eiskalt. Ein Teil in mir wollte darauf vertrauen, dass er es rechtzeitig bemerkte, doch... wie schnell verlor man sich im Anblick der Landschaft? Wie schnell verlor man sich in der Euphorie? Mir wurde flau im Magen, während ich weiter durch den Schnee hastete und betete, dass wir beide es rechtzeitig zum Haus schaffen würden.

Frozen Together ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt