9. Kapitel

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     Zu meiner Überraschung saßen die Hunde im Wohnzimmer, als ich in meinem Pyjama aus dem Zimmer kam. Sie lagen vor dem Ofen und lagen dicht an dicht zusammen. Nanook ganz vorne am Ofen und der Mitte des Haufens. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Doch meine Augen fielen mir fast heraus, als ich Reece sah, der eine mir bekannte Kiste auf dem Tisch stehen hatte und momentan versuchte eine Lichterkette zu entwirren. »Was... was machst du denn da?«, fragte ich leise. Erschrocken zuckte er zusammen, dann sah er zu mir. Er zuckte mit den Schultern. »Morgen ist der 24. Dezember oder hast du das vergessen? Da schmückt man doch das Haus.« Ich hob eine Braue. »Und das machst du gerne?«
      Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Für mich selbst nicht, aber du bist doch hier und na ja... was Besseres können wir eh nicht machen.« Das Lächeln auf seinen Lippen überraschte mich und wie von selbst legte sich auch auf meine Lippen ein Lächeln. »Und die Hunde?« Sein Blick glitt zu der Meute, die sich vor den Kamin gedrängt hatte. »Ich wollte sie nicht noch länger draußen lassen. Am Anfang wollten sie nicht vor den Ofen, jetzt liegen sie dort für Nanook. Er braucht die Wärme.« Mein Blick glitt zu dem Ältesten, der bereits graue Haare im Fell hatte. Meine Kehle schnürte sich zu, als ich mich fragte, was passieren würde, wenn er hier... sterben würde.
     Schnell schüttelte ich diese Gedanken ab. »Wir brauchen einen Baum, Reece«, sagte ich dann, als ich wieder zu ihm sah. Er hob eine Braue. »Für den Weihnachtsbaum?« Ich nickte. »Im Schuppen ist einer. Es ist als hätte Billy-Joe gewollt, dass wir Weihnachten feiern. Die Lichterketten sind fast alle neu.« Bei seinen Worten stutzte ich etwas. Billy-Joe hatte nie einen Baum im Schuppen und geschweige denn kaufte er nie neue Lichterketten... »Er... mag Weihnachten eben...«, murmelte ich, damit er keinen Verdacht schöpfte, während ich daran dachte, dass Billy-Joe sich noch nie in Buchen vertan hatte und das dieses Jahr sein erstes Mal gewesen war.
       Natürlich hätte ich es auf sein Alter schieben können. Das wäre leicht gewesen und das hatte ich Anfangs auch getan, doch jetzt? Jetzt stand ich hier und konnte es nicht mehr so ganz glauben. Denn diese Zufälle, konnten keine Zufälle mehr sein. Es waren zu viele auf einmal. Hatte er gewollt, dass ich Weihnachten endlich in Gesellschaft verbringe? Warum dann ausgerechnet mit Reece? Seufzend fuhr ich mir über das Gesicht und spürte dabei die Trockenheit meiner Haut. »Ich nehme eine Dusche«, verkündete ich. Reece sah zu mir und nickte. »Ich mache in der Zwischenzeit das Frühstück.« Ich nickte und drehte mich um. Langsam lief ich wieder in mein Zimmer, suchte einen Hoodie heraus und eine Jogginghose und frische Unterwäsche und kuschlige Socken, ehe ich ins Bad lief.
        Dort unterzog ich mich einer längeren Dusche. Kochend heißes Wasser fiel auf mich herab, doch es störte mich nicht. Es schien den Dreck der letzten Tage von mir zu waschen und auch die schlechten Gefühle, die in mir herrschten. Noch immer fragte ich mich, ob Billy-Joe das hier wirklich mit Absicht gemacht hatte. Alles ließ darauf schließen, doch wieso sollte er so etwas tun? Wieso sollte er Reece und mich für zwei Wochen in ein Haus stecken? Es ergab keinen Sinn... vielleicht war es einfach wirklich weil er alt wurde, doch allein diese Gedanken widerstreben mir. Das hier konnte nicht alles Zufall sein.
      Nach einer ausgiebigen Dusche stieg ich hinaus, wickelte ein graues Handtuch um meinen Körper und trat vor den Spiegel. Mit einem Tuch wischte ich den Dampf weg, der sich dort an den Spiegel gelegt hatte und betrachtete mich. Erschrocken keuchte ich auf, als ich die dunklen Ringe unter meinen Augen erkannte und die Glanzlosigkeit in ihnen sah. Es war Jahre her, dass ich so ausgesehen hatte... Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Ein Rückschlag... der Tod meiner Eltern nahm mich zu jedem Weihnachtsfest mit und doch schien es dieses Jahr besonders schlimm zu sein. Innerlich wollte ich Reece dafür verfluchen, dass er hier war und meine Gefühle durcheinander brachte.

      Eigentlich sollte er mir nämlich egal sein. Ich sollte auf seine Meinung scheißen und einfach weitermachen. Dennoch stand ich hier im Bad und wusste genau, dass seine Worte mich verletzt hatten. Wir schienen auf dem Weg der Besserung und doch hallten seine Worte noch immer in meinen Ohren. Das Problem war, dass ich nicht schlau aus ihm wurde. Er war wie... wie... ich konnte es gar nicht beschreiben. Reece war ein Mysterium für sich. An manchen Tagen so nett und freundlich wie heute, an anderen wieder ganz anders. Kalt und verschlossen.
      Seine Worte, die er in der Nacht zu mir gesagt hatte, schlichen sich aber auch immer wieder in meinen Kopf. Niemand sagt, dass ich das nicht will. Also will er mich nun nach diesen zwei Wochen sehen oder nicht? Frustriert fuhr ich mit der Bürste durch meine nassen Haare und blickte in den Spiegel, der bereits wieder beschlug. Der Wind schien heute stärker zu heulen als Gestern. Da das Fenster allerdings milchig war, erkannte ich nicht, wie die Schneeflocken wild vom Himmel fielen. Man sollte meinen, dass so ein Sturm auch mal ein Ende fand, doch dieser hier? Dieser schien gerade erst in Fahrt zu kommen. Der Gedanke daran, dass Reece vielleicht morgen oder übermorgen los musste, um Vorräte zu kaufen...
      Wohl er morgen als übermorgen... übermorgen war Feiertag und bei dem Wetter würde so oder so kaum jemand offen haben... Mir wurde schwummrig. Allein die Vorstellung, wie er mit den Hunden durch diesen Sturm fuhr, bekam mir nicht. Eher im Gegenteil. Ich hatte das Bedürfnis mich übergeben zu müssen. Mit aller Mühe hielt ich diesen Drang zurück und versuchte gar nicht erst daran zu denken. Ich versuchte mich auf andere Gedanken zu bringen. Was gar nicht so leicht war, wenn der Wind im Hintergrund gegen die Hauswand peitschte und durch Fensterschlitzte glitt und heulte.
     Irgendwie schaffte ich es dann allerdings meine Gedanken auf eine andere Bahn zu lenken und trocknete mich ab, ehe ich meine Haare föhnte. Danach cremte ich mit meiner Bebe Bodylotion ein, die nach Granatapfel roch. Als diese eingezogen war schmiss ich mich in meinen Schlabberlook und trat hinaus. Als ich die Tür aufmachte, stieß mich eine kalte Schnauze an der Hand an. Im ersten Moment zuckte ich zusammen, entspannte mich dann aber, als ich in die eisblauen Augen von Junior sah. Ein Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln und brachte diese schlussendlich auch nach oben.

Frozen Together ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt