10. Kapitel

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        Nervös sah ich aus dem Fenster hinaus und lauschte. Es war der 24. Dezember und doch war keine Besserung der Lage in Sicht. Im Gegenteil. Über Nacht war noch mal sehr viel Schnee gefallen und mittlerweile reichte dieser bis zum Fensterrand. Deswegen war Reece draußen und schnippte Schnee. Die Hunde halfen ihm. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Es fiel kein Schnee mehr vom Himmel, doch der Wind war noch immer da. Der Drang Reece aufzuhalten wurde von Sekunde zu Sekunde größer, doch ich wusste, dass es nichts bringen würde. Ich wusste, dass Reece es so oder so tun würde, egal was kommen würde.
       Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ein Rumoren stieg in meinem Magen auf, während ich aus dem Wohnzimmerfenster blickte, eine Tasse heiße Schokolade in der Hand. Wie lange Reece schon wach war wusste ich nicht. Das Frühstück hatte auf dem Tisch gestanden. Nur noch die letzten Reste. Mehr gab es nicht. Reece hatte schon einiges geschippt, wollte mich aber nicht helfen lassen. Die Hunde waren ihm eine große Hilfe und zumindest war schon mal der Innenhof frei. So frei, dass man mit dem Hundeschlitten fahren konnte. Irgendwann schien er mit seinem Werk zufrieden und kam ins Haus. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
      Seine Nase war ganz rot von der klirrenden Kälte, seine Handschuhe angefroren. Alles in mir schrie danach ihn an einen Stuhl zu fesseln und nicht gehen zu lassen. Unruhig sah ich ihn an, während er auf mich zulief. »Sieh mich bitte nicht so an, Sky«, hauchte er. Ich runzelte die Stirn. »Wie sehe ich dich denn an?« Ein kleines Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, verschwand aber, ehe es sich vollkommen ausbreiten konnte. »Als würdest du dich jeden Moment auf mich werfen, um zu verhindern, dass ich gehe«, erwiderte er. In seinen Augen funkelte eine Emotion, die ich nicht deuten konnte.
      »Weißt du, vielleicht sollte ich genau das tun. Meine Methode wäre es allerdings eher dich zu fesseln«, rutschte es mir über die Lippen, ehe ich mich davon abhalten konnte. Reece' Augen weiteten sich im ersten Moment in Überraschung, dann zog ein schiefes Grinsen seinen rechten Mundwinkel nach oben. »Ich wusste gar nicht, dass du auf diese Sexspielchen stehst, Sky.« Empört sah ich ihn an und ehe ich mich versah hatte ich ihn an der Schuler geschlagen. Röte schoss mir in die Wangen. »Du Idiot weißt genau, dass das nicht so gemeint war!«
     Herausfordernd hob er eine Braue. »Weiß ich das, ja?« Ein Teil von mir wusste natürlich, dass er mich nur aufzog und dies mit Freuden tat. Der andere Teil von mir fiel genau darauf herein und gab ihm das, was er wollte. »Auf so etwas stehe ich nicht!«, fuhr ich ihn an, spürte aber die Hitze in meinen Wangen. Reece kam einen Schritt näher. Ein dunkles Funkeln in seinen Augen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, nur um kurz darauf wild in meiner Brust zu pochen. »Und warum wirst du so rot? Es wäre nicht schlimm, wenn es dich antörnt mich zu fesseln«, raunte er.
       Wütend sah ich ihn an und wandte mich dann schnaubend ab. »Es törnt mich nicht an. Ich würde es nur tun, damit du nicht gehst.« Ich hörte ein tiefes Seufzen und dann wurde ich an der Hüfte gepackt und mit dem Rücken an seine Brust gezogen. Plötzlich schlangen sich seine Arme um mich und sein heißer Atem prallte gegen meinen Nacken. Wohlige Schauer rannen meinen Rücken hinab. Schauer, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich wusste genau, was das war und doch... und doch wollte ich es nicht. Reece hatte deutlich gemacht, dass wir uns nicht mehr sehen würden aber... auf der anderen Seite wollte ich das, was hier momentan entstand jeden Tag auskosten. Bis zur letzten Sekunde. Für immer.

       »Du weißt, dass ich gehen muss, Sky«, hauchte er in mein Ohr. Seine Stimme war belegt von Emotionen. Eine davon schien Reue zu sein. Ein Zittern lief durch meinen Körper und ich legte instinktiv meine Hände auf seine, die auf meinem Bauch lagen. »Ich weiß aber...«, murmelte ich, führte den Satz aber in meinem Kopf zu Ende. Ich habe Angst um dich. Große Angst. Doch auch ohne, dass ich diese Worte über die Lippen brachte, schien Reece sie zu kennen. Einfach so. »Du musst keine Angst haben, okay? Die Hunde passen auf mich auf und ehe du dich versiehst sind wir wieder zurück, ja? Mach dir einfach einen schönen Tag. Leg dich in die Wanne oder tanz durch das Wohnzimmer. Mach alles, was du sonst tust. Genieß doch einfach, dass ich für ein paar Stunden weg bin und du mich nicht an der Backe haben musst.«
       Langsam drehte ich mich in seinen Armen zu ihm und sah ihn an. Da wir ungefähr gleich groß waren, hatte ich den perfekten Blick in seine Augen. »Erstens störst du mich nicht und zweitens hätte ich dich lieber an der Backe, anstatt dich in diesem Sturm fahren zu lassen.« Bei diesen Worten lächelte er und zog mich an seine Brust. Ein kleines Lächeln auf den Lippen. »Ich weiß, aber das muss sein, in Ordnung? Ich bringe dir auch etwas mit.« Ein heiseres Lachen kam über meine Lippen. »Ich möchte nichts.« Meine Stimme gleich einem Krächzen und mein Lachen verstummte. »Ich möchte nur, dass ihr heil wieder kommt. Das ist mein einziger Wunsch.«
        Bei diesen Worten wurde sein Griff um mich fester und ich hätte schwören können, dass er mir einen Kuss auf die Stirn gehaucht hatte, doch wissen konnte ich es nicht mehr, als er sich kurz drauf von mir löste und meinem Blick auswich. »Wie gesagt. Mach dir einfach einen schönen Tag. Ich werde das kaufen, was wir gestern noch besprochen haben.« Dann lief er hinaus. Eilig folgte ich ihm und erkannte, dass der Schlitten schon bereit stand. Er musste nur noch die Hunde festmachen. Vor Freude bellten sie und wirkten überglücklich. Ich lief auf die Hunde zu und ignorierte Junior, der auf mich zulief und mit dem Schwanz wedelte. Erst als er wieder brav an seinem Platz saß strich ich ihm über das Fell.
       Fest sah ich ihm in die Augen und der Husky schien die Botschaft in meinen Augen zu verstehen. Dem Rest der Meute strich ich ebenfalls über das Fell, bis ich bei Nanook und Bronco ankam. Mein Herz wurde schwer, als ich den älteren Hund an der Front ansah. Er wirkte gelassen und bereit und doch zog sich mein Herz zusammen. Mir wäre es lieber, er würde hierbleiben, doch er war der erfahrenste Husky unter ihnen. Reece konnte seine Hilfe gut gebrauchen. Den pfeifenden Wind bemerkte ich in diesen Momenten nicht. Erst als Reece davon fuhr und mir ein letztes Mal winkte, bis er schließlich verschwunden war, bemerkte ich den starken Wind. Fröstelnd schlag ich die Arme um mich und lief wieder hinein ins Haus.
      Dort zündete ich ein Feuer im Kamin an und versuchte mich mit Schnitzen zu beschäftigen, was nicht wirklich gut funktionierte. Ich versuchte ein Bad zu nehmen, auch daran scheiterte ich. Ich versuchte Radio zu hören. Dieser funktionierte auch nicht mehr. Also saß ich etwas später auf der Couch und sah den zügelnden Flammen des Feuers zu. Nicht die beste Beschäftigung, das wusste ich selbst. Meine Gedanken fuhren Achterbahn, während die Zeiger auf der Uhr sich so schleppend langsam bewegten. Jede Sekunde schien eine Minute zu sein, jede Minute eine Stunde und jede Stunde gleich einem Tag. So wirkte es jedenfalls. Draußen wurde es nach und nach dunkler und der Schneefall setzte wieder ein. Sorge zerfraß mich von innen heraus.
      Unruhig lief ich auf und ab. Sah immer wieder hinaus in der Hoffnung, die Hunde zu hören oder sie zu sehen. Das war aber nicht der Fall. Diese Sorge hatte ich schon lange nicht mehr empfunden und sie machte mir Angst. Ich war unruhig, nervös und spielte mit meinen Händen. Immer und immer wieder. Ich war überhaupt nicht entspannt. Da war Angst in mir. Angst um Reece. So eine Angst... diese Angst hatte ich zuletzt bei dem Unfall mit meinen Eltern verspürt. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, während ich einfach nur hoffte, dass Reece heil aus der Sache herauskommen würde und ihm nichts geschehen würde. Je dunkler es wurde, desto nervöser wurde ich und lief immer wieder auf und ab.

Frozen Together ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt