23. Kapitel

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     Meine Familie konnte sich vermutlich dieses einfache Leben hier nicht vorstellen. Dieses einfache Leben, dass ich momentan hier führte. Der Rest meiner Familie brauchte teure Hotels, ein Stadtleben, immer etwas um sie herum. Ich jedoch genoss diese Stille, die uns umgab. Genoss es, mit Reece und den Hunden vor dem Feuer zu sitzen, Suppe zu essen und in der Ferne das Heulen der Wölfe zu hören. Obwohl es bitterkalt war und Reece und ich bereits in eine Decke eingewickelt waren, saßen wir noch hier draußen, weil er noch immer darauf beharrte mir etwas zeigen zu wollen. Wenn ich ehrlich war, wollte ich auch noch nicht ins Zelt. Besondres nicht, da sich die Wolken von heute Morgen verzogen hatten und jetzt die Sicht auf den Sternenhimmel freigaben.
     Hier, fernab der Zivilisation sah man, wie hell die Sterne mit dem Mond leuchteten und wie hell die Welt wirklich war. Hier, wo es keinen Strom gab, erkannte man, dass man eigentlich keine Laternen brauchte. Die Sterne und der Mond spendeten so viel Licht, dass man in die weite Ferne blicken konnte. Zwar es nicht so hell wie am Tag, dennoch hell genug. Ich wusste nicht, was Reece mir genau zeigen wollte. Es wurde kälter und kälter und doch saßen wir noch immer hier, obwohl die Suppe bereits leer war und wir noch die Tassen in den Händen hielten, die mittlerweile auch schon kalt waren.
     Dann, auf einmal, deutete er auf den Himmel. Wie von selbst glitt mein Blick nach oben und das, was ich dort saß, trieb ein Lächeln auf meine Lippen. Nordlichter oder auch Polarlichter genannt. Ich liebte sie, seit ich ein kleines Kind war. Schon immer hatte ich ihren Anblick genossen und in mich aufgesogen. Sie waren einfach zu schön. Besonders jetzt, wenn man sie live sehen konnte. Sie waren so wunderschön. Das Interessante daran war, dass Polarlichter eigentlich Magnetfelder waren, die an beiden Seiten der Pole entstanden, die unsere Atmosphäre garantieren. Es gäbe keine Polarlichter, wenn die Erde im Durchmesser kleiner wäre.
    Deswegen konnte auf dem Mars auch keine Leben entstehen. Früher gab es dort einmal Wasser, doch da der Mars viel kleiner war als die Erde, hatten die Polarlichter die Atmosphäre nicht halten können und deswegen war das Wasser ins All geglitten. Die Geschichte dazu war mehr als interessant. Einer der wenigen Dinge, die ich aus der Schule mitgenommen hatte. »Das ist die Überraschung?«, fragte ich leise. Reece nickte und sah mich für einen Moment an. Ein anderes Mädchen wäre jetzt vielleicht enttäuscht gewesen. Gar traurig. Bei mir war es anders. Meine Kehle schnürte sich vor Dankbarkeit zu und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
     Genau aus diesem Grund tat ich es auch nicht, sondern schlang meine Arme um ihn. Reece lächelte und so saßen wir Arm in Arm da und betrachtete das Spektakel, dass am Himmel zu sehen war. Ein Anblick, den ich nie vergessen würde. Eine Geste, die mir mehr wert war als jedes Geld der Welt. Dieser Moment war das beste Geschenk, was er mir hatte machen können. Tränen wollten mir die Sicht verschleiren und mir so den schönen Anblick nehmen, der sich mir bot, doch das lies ich nicht zu. Schnell blinzelte ich die Tränen fort und lächelte vor mich hin.
     »Ich wünschte, dass ich die Zeit anhalten könnte. Am besten für immer«, murmelte ich. Reece drückte mich fester an sich. »Dann würde sich aber nichts weiter entwickeln.« Sein Blick glitt zu mir. Fragend sah ich ihn an. Er lächelte sanft. »Würdest du wirklich für immer in diesem Moment hier leben wollen? Mit diesem Himmel? Würdest du wirklich die Sonne nicht mehr sehen wollen? Den Sommer spüren? Den Frühling sehen? Den Geruch von frischen Blumen in deine Nase saugen?« Jetzt, wo ich über seine Worte nachdachte, fiel mir auf, dass er recht hatte. Vermutlich würde ich das nicht. Ich würde schon den Sommer spüren wollen. In einem See schwimmen gehen, die schönen Blumen betrachten und vieles mehr.

     »Wie kommt es, dass du an so etwas denkst?«, hakte ich nach. Er zuckte mit den Schultern. »Ich hinterfrage meine Wünsche gerne und male mir aus, was sie für die Zukunft bedeuten. Nur so kann ich wirklich feststellen, ob es gute Wünsche sind, oder ob es nur Launen sind. Verstehst du? Das ist doch das gleiche, wie wenn ich jemanden einen Antrag machen würde. Ich kann die Person nicht aus einer Laune heraus fragen, weil ich mich gerade danach fühle, sondern ich muss entscheiden, ob ich das auch für die Zukunft will. Ich muss entscheiden, ob ich das nur möchte, weil vielleicht alle in meiner Umgebung verheiratet sind, oder ob ich das selbst für mich möchte, mit einer Person, die ich liebe. Der Mensch sollte nie aus einer Laune entscheiden, sondern aus einer gut durchdachten Entscheidung. Natürlich sollte man auf sein Bauchgefühl hören, doch man muss entscheiden, ob man es wirklich will.«
     Perplex und etwas überrascht von seiner Tiefgründigkeit sah ich ihn an, dann verstand ich seine Worte nach und nach. »Du würdest dich ja auch nicht von jemanden trennen, nur weil du gerade sauer auf ihn bist, nicht wahr? Denn du bist in diesen einen Moment wütend, doch später, wenn sich alles geklärt hat, bist du es nicht mehr. Dann trennst du dich doch auch nicht wegen diesem einen Moment.« Seine Worte ergaben Sinn. Etwas zu viel Sinn. Denn so tiefgründig hatte ich schon in einer Weile nicht mehr gedacht. Meist hatte ich Angst davor, zu tiefgründig an eine Sache heranzugehen.
     Es fiel mir schwer. Wirklich schwer. Meine Gedanken überschlugen sich und doch war ich froh, so mit Reece darüber gesprochen zu haben. Seine Worte waren wahr. Echt. Denn es stimmte. Viele Menschen trafen Entscheidungen aus Launen heraus. Ein bestes Beispiel dafür war der Einkauf. Wenn sie hungrig zum Einkaufen gingen, kamen sie meist mit mehr Dingen nach Hause, als sie eigentlich brauchten, da sie aus ihrer Laune, dem Hunger, entschieden, was sie alles wollten, anstatt an die Zukunft zu denken. Das ergab vollkommen Sinn. »Allerdings scheint es menschlich zu sein, aus einer Laune heraus zu entscheiden«, meinte ich. Reece musterte mich mit einem klaren Blick und zuckte mit den Schultern.
      »Vielleicht. Dennoch sollten wir es nicht. Im Nachhinein bereut man es immer. Irgendwie jedenfalls.« Nach diesen Worten umhüllte uns Schweigen und wir befanden uns wieder in unserer eigenen kleinen Welt. Wie spät es war? Spielte keine Rolle. Was morgen sein würde? Spielte keine Rolle. Was in den nächsten Tagen passieren würde? Spielte keine Rolle. Zumindest in diesem Moment nicht. In diesem Moment war nur wichtig, dass wir Arm in Arm auf einem Baumstamm saßen, in Decken gewickelt und zum Himmel empor blickten. Denn es gab nichts Schöneres als das.
     Es gab nur uns beide und die Hunde. Junior lag entspannt auf meinen Füßen und hatte seinen Kopf auf seine Pfoten gebettet, die anderen Hunde lagen eingerollt im Schnee und schienen wunschlos glücklich. Wie sie das in dem kalten Schnee aushielten wusste ich nicht so ganz. Ehrlichgesagt wollte ich es auch gar nicht wissen. Das Bild dieser glücklichen Huskys erfreute mich mehr, als die Bilder, die ich manchmal auf Instagram sehen musste. Huskys in der Großstadt, mitten im heißen Florida oder in Kalifornien. Oder in anderen warmen Ländern.
      Da stellten sich mir immer die Nackenhaare auf. Besonders, wenn ich diesen Vergleich sah. Huskys gehörte in den Schnee. Dafür waren sie gemacht. Sie gehörte in die Kälte. Sie liebten den Schnee. Sie liebten Bewegung und die Natur. Nicht, dass sie Bewegung in einer Großstadt nicht bekommen konnten, doch manchmal hatte ich einfach das Gefühl, dass den Huskys dort etwas fehlte. Und das war das hier. Am Anfang hatte ich mich gesträubt sie draußen schlafen zu lassen. Jetzt, wo ich sah, wie ruhig und zufrieden sie waren, verstand ich, dass sie das mochten. Sie liebten es. Natürlich würde ich sie niemals in einem Sturm raus lassen.
      Zwar könnten sie das auch wegstecken, doch darauf anlegen wollte es niemand. »Über was denkst du nach?«, fragte Reece mich leise. Ich zuckte mit den Schultern. »Über vieles. Wie Hunde die Welt sehen, wie Huskys leben wollen und sollten.« Reece lachte leise. »Da bist du eine der wenigen. Viele machen sich keine Gedanken darüber, was Huskys wollen. Zwar möchte ich niemanden verurteilen, der sich einen Husky kauft und in Kalifornien lebt, aber manchmal frage ich mich, warum man sich in so einem heißen Abschnitt von Amerika einen Husky zulegen muss. Für mich gehören Huskys vor einen Schlitten oder zumindest in den Schnee. Aber ein Husky an einem Strand? Der fühlt sich dort einfach nicht wohl und würde wohl den ganzen Tag im Wasser verbringen und selbst das ist ihm zu warm.«
      Ich nickte. »Ich möchte auch niemanden verurteilen aber... manchmal frage ich mich, warum es ausgerechnet ein Husky sein musste. Besonders, wenn dann jemand noch in einer kleinen Wohnung wohnt und der Hund nicht mal seinen Auslauf bekommt, den er braucht. Huskys brauchen ja ordentlich Auslauf. Fast dreimal so viel wie andere Hunde. Es tut mir einfach im Herzen weh, wenn ich das sehe.« Reece drückte mich fester an sich. »Da bin ich froh. Viele verstehen meine Meinung dazu nicht. Was vermutlich daran liegt, weil sie noch nie gesehen haben, wie Huskys sich freuen, wenn sie in den Schnee kommen. Ein Freund von mir war mal ein halbes Jahr in Kalifornien für einen Einsatz und hatte seinen Hund dabei. Als sie wieder hierher kamen, stürzte sich der Husky sofort in den Schnee und blieb dort den ganzen Tag. Er wollte nicht ins Haus. Nicht mal zum Fressen. Der Schnee gehört einfach zu diesen Hunden.«
     Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. »Ja, der Schnee gehört eindeutig zu ihnen. Das tut er wirklich.« Wieder hüllte und das Schweigen ein und wir saßen dort auf dem Holzstamm und betrachteten den Himmel über uns. Da wir schon ein paar Stunden hier waren, war es vielleicht gerade mal 18:00 Uhr. Im Winter wurde es schnell dunkle. Meist schon um 16:00 Uhr. Wenn nicht sogar früher. »Bringst du mir morgen auch das Mushen bei?«, fragte ich leise. Reece nickte. »Ja, wenn du das immer noch möchtest. Zwar verstehe ich nicht ganz, warum. Aber in Ordnung.« Nun war ich es, die seine Worte nicht ganz verstand.

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