18. Kapitel

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     Nur noch stolpernd lief ich durch den Wald. Ich hatte jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren. Die Idee, allein nach ihm zu suchen, kam mir jetzt mehr als leichtsinnig vor und sie war dumm gewesen, doch ich hatte Reece nicht losschicken können. Er hatte sein Leben schon einmal riskiert. Jetzt war ich dran. Meine Kehle war bereits rau vom vielen Rufen. Junior war noch immer nicht zu sehen. Die Spuren am Boden waren mittlerweile auch nicht mehr zu sehen. Es gab Garnichts mehr zu sehen, außer Wald und Schnee. Der Wind heulte in den kahlen Baumkronen und ließ die Bäume in seinem Takt hin- und her wackeln.
     Sie waren wie Sklaven, die sich seinem Willen beugen mussten. Und ich? Ich war die junge Frau im Wald, die nicht wusste, wo sie weitersuchen sollte. Alles sah so gleich aus. Ich hörte nur das Rauschen des Windes und meine eigenen Rufe, wenn ich denn mal Juniors Namen wieder rief. Sonst war der Wald vollkommen still. Gespenstisch still. Jeder andere wäre vermutlich vor Angst aus dem Wald gerannt, doch ich musste weitersuchen. Ich musste einfach. Mir blieb keine andere Wahl. Ich musste Junior finden. Nicht nur für Reece, sondern auch für mich.
     Ich würde es mir nie verzeihen, wenn Junior wegen mir etwas passiert wäre. Ich hätte einfach aufpassen sollen. Ich hätte aufpassen müssen. Ich hätte nicht einfach wieder in mein Zimmer gehen sollen. Schluchzer sammelten sich in meiner Kehle, doch ich ließ sie nicht hinaus. Mir war kalt, meine Hände waren mittlerweile erstarrt und ich hatte das Gefühl ein laufender Eisklotz zu sein. Dennoch trugen mich meine Beine weiter. Wie lange ich noch weiter laufen konnte wusste ich nicht. Jeder Schritt war schwer. Der Schnee machte es mir dabei nicht leichter.
       Ein Teil in mir wäre jetzt am liebsten auf einer warmen Couch, vor dem Kamin und hätte eine Decke über sich. Doch ich würde dort nicht ohne Junior liegen wollen. Ich lief weiter und weiter. In der Hoffnung, dass ich ihn finden würde. In der Hoffnung, dass er nicht im Sturm verloren war. »Junior!«, rief ich und musste danach husten und mich räuspern, so rau war mein Hals bereits. Dennoch rief ich seinen Namen wieder und wieder. So laut ich konnte. Meine Kehle fühlte sich an als hätte sie Feuer gefangen, doch es war mir egal. Tränen liefen meine Wangen hinab, doch ich rief weiter seinen Namen.
      Immer öfter zitterte mein Körper und immer öfter glaubte ich, dass meine Sicht verschwamm. Nicht nur wegen den Tränen. Es fühlte sich als würde die Welt kippen. Mir war klar, dass das nicht sein konnte und doch hatte ich das Gefühl, dass es so war. Müdigkeit machte sich in mir breit und ich wollte nichts lieber als schlafen. Schlafen, schlafen und schlafen. Meine Beine wurden schwerer und schwerer. Es fühlte sich als hätte ich Tonnen von Gewicht an ihnen hängen. Meine Augen brannten bereits, meine Finger und meine Wangen fühlten sich taub an, meine Lippen waren sicher blau.
      Doch ich lief weiter. Egal wie kalt es war. Egal wie der Wind tobte. Egal wie müde ich war. Als ich allerdings über einen Hügel im Schnee stolperte, fand ich im ersten Moment nicht mehr die Kraft zum Aufstehen und blieb liegen. Kraftlos lag ich im Schnee und wollte nur noch schlafen. Meine Augen wurden schwer und fielen immer wieder zu, während ich im kalten Schnee lag. Es kam mir nicht in den Sinn aufzustehen. Ich wollte nur liegen bleiben. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich kaum noch etwas erkennen konnte, so oft fielen mir die Augen zu. Kraftlos rief ich Juniors Namen. Hoffte, dass er es hörte. Betete, dass er zurückfinden würde.
     Dann fielen meine Augen zu und ich fand nicht die Kraft sie zu öffnen. Ich fand auch nicht die Kraft meinen Körper zu bewegen. Egal, wie sehr ich an Junior oder Reece dachte. Ich fand diese Kraft einfach nicht. Mein Körper war schlaff und würde auch so schnell nicht mehr zum Leben erwachen. Damit musste ich einfach leben. Ich war einfach... einfach am Ende. So hart es klingen mochte. Ich war am Ende meiner Kräfte und drohte einzuschlafen. Immer wieder versuchte ich verzweifelt mich wach zu halten, doch es klappte nicht. Die Dunkelheit rief mich immer lauter zu sich und breitete ihre sanften Schwingen um mich aus. Ihre Wärme und ihre Worten waren verlockend. Zogen mich an. Ich wollte in dieser Dunkelheit versinken. So sehr.
       Doch dann hörte ich Schritte im Schnee. Dann ein Winseln und dann spürte ich eine nasse Zunge an meiner Wange. Dann eine kalte und feuchte Nase, die mich anstupste. Dann wurde ich an meinem Ärmel gezogen. Blinzelnd öffnete ich die Augen und blickte in zwei eisblaue Augen, die mich musterten. Junior winselte. Tränen der Erleichterung liefen meine Wangen hinab. »Junior!« Meine Stimme war nur ein heiseres Krächzen, dann schlang ich meine Arme um seinen Hals und drückte mich fest an. Schluchzend krallte ich mich in sein Fell. Er lebte und hatte mich gefunden.

Frozen Together ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt