30. Kapitel

2.1K 131 3
                                    

    Die Hoffnung, dass es heute anders sein könnte, wurde zunichte gemacht, als ich am nächsten Morgen aufwachte und Reece schon dabei war sich anzuziehen, obwohl es draußen noch nicht mal hell war. Grummelnd drehte ich mich zu ihm und sah ihm dabei zu, wie er sich die Boots zuschnürte. Sein Blick glitt im Halbdunkel zu mir. Ich konnte sein Gesicht nicht richtig erkenne, glaubte aber ein kleines Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. »Aufstehen, du Schlafmütze. Wir müssen den heutigen Tag doch ausnutzen.« Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es 06:24 Uhr war und die Sonne nicht in absehbarer Zeit aufgehen würde. Schwer seufzte ich.
     »Dann hättest du mich letzte Nacht mit deinem Schnarchen nicht so lange wachhalten sollen«, grummelte ich, was Reece leise lachen ließ. »Ach ja? Jetzt tu nicht so, als würdest du nicht schnarchen. Denn das tust du.« Ich rollte mit den Augen, richtete mich aber auf. »Natürliche mache ich das. Dabei höre ich mich aber nicht so an wie ein Baumfäller, der Bäume fällt.« Reece lachte weiter und stand auf. Die Stimmung war locker. Was mich freute. Doch als sein Lachen langsam verstummte und er dann einfach aus dem Zimmer ging, war da wieder dieses komische Gefühl in mir. Mal wieder. Ich wusste einfach nicht, was ich davon halten sollte. Ich wusste es nicht.
     Langsam und schwerfällig, kaum fähig mich richtig zu bewegen, kroch ich aus dem Bett und tastete blind nach frischen Anziehsachen, ehe ich ins Bad ging. Ich hörte die Hunde draußen Bellen und spürte den kalten Luftzug der offenen Türe. Zumindest waren sie schon fit für den Ausflug, den wir heute machen würden, während meine Augen immer wieder zuzufallen drohten. Zumindest fühlte es sich so an. Im Bad unterzog ich mich einer Katzenwäsche, leerte meine Blase und schlurfte dann ins Wohnzimmer, als ich sicher war, dass ich ordentlich aussah und meine Haare keinem Vogelnest mehr glichen. Auf dem Tisch standen bereits Pancakes und andere Dinge. Mir wurde flau im Magen, als ich daran dachte, dass das hier mein vorletztes Frühstück war.
      Morgen um diese Zeit würde ich vermutlich auch aufstehen und dann... dann würden wir getrennte Wege gehen. Zumindest für eine Zeit lange. Das hatten wir gestern geklärt. Wir hatten geklärt, dass wir uns treffen würden, sobald es ging. Allerdings war ich dennoch nicht beruhigt. Ich wusste nicht, an was das. Ich war nicht ruhig. Ich war das Gegenteil von ruhig. Ich war nervös. Und wie nervös ich war. Dabei hatte ich eigentlich keinen Grund dazu. Verdammt, ich hatte wirklich keinen Grund dazu... Oder doch? Mittlerweile war ich einfach so unsicher. Reece verhielt sich einfach merkwürdig. Er lächelte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht.
      Wir aßen, doch die Unterhaltung blieb aus. Obwohl ich erwartet hatte, dass die Stimmung heute lockerer sein würde, war sie es nicht. Sie war angespannt. Die Spannung flirrte zwischen uns hin und her und keiner von uns beiden schien etwas dazu sagen zu wollen. Weder er noch ich. Doch ich... ich wollte einfach, dass alles wieder normal war. Ich wollte es genießen, dass es der Schnee draußen leise auf den anderen Schnee rieselte, ich wollte es genießen, dass wir noch hier waren, doch seine Stimmung lies es für mich nicht zu, weil ich mich fragte, was in seinem Kopf vorging. Mein Auto war vor ein paar Tagen noch der Inspektion unterzogen worden und mir war versichert worden, dass ich fahren konnte. Seit dem war er... anders.

      Ich wusste nur nicht, was es war. Eigentlich hatten wir alles geklärt. Wir beide wussten, dass ich ihn besuchen kommen würde, selbst wenn es nur über ein Wochenende war. Deswegen verstand ich nicht, was mit ihm los war. Es ergab einfach keinen Sinn für mich und würde es vermutlich auch nie. Nach dem Essen zogen wir uns an. Die Stille umhüllte uns noch immer wie ein dunkler Schleier und wollte sich einfach nicht von uns legen. Da ich unsicher war, fragte ich nicht nach. Reece schwieg. Warum auch immer. Draußen warteten die Hunde ruhig und entspannt darauf, dass es endlich weiter gehen würde. Der Schlitten stand schon hinter ihnen. Ohne das Reece mich auffordern musste, brachte ich die Hunde in Position und legte ihnen das Geschirr an. Darüber waren sie mehr als glücklich. Reece stand still daneben und beobachtete mich. Was er dachte wusste ich nicht. Eigentlich wollte ich es auch gar nicht wissen. Wirklich nicht. Die Unsicherheit erfüllte mich so sehr, dass ich nicht mal den Schnee genoss, der leise vom Himmel herabfiel. Ich genoss es nicht, wie der Schnee auch von den einzelnen Ästen herunterrieselte.
     In diesen Momenten schien ich nichts zu genießen. Garnichts. Ich hörte nur diese Stimme in mir, die einfach nicht zu verschwinden schien, egal was ich tat. Zwar versuchte ich mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und mich darüber zu freuen, dass Reece und ich unseren letzten gemeinsamen Tag so nutzen, doch... diese Stimme blieb. Sie blieb auch, als wir, beim Morgengrauen, einen Halt machten und zusahen, wie der Himmel immer heller wurde, während wir Tee tranken und die Hunde eine Pause machten. Die Stille zwischen Reece und mir umhüllte uns noch immer wie ein dunkler Schleier. Er sprach ich nicht und ich wagte es nicht mit ihm zu sprechen, aus Angst vor seiner Antwort. Die Lage war momentan einfach nicht ideal. Das musste man jedem Menschen zugestehen. Wirklich jedem. Mein Blick glitt zum Himmel empor.
    Kleine Flocken fielen auf meine Wangen, auf meine Stirn, auf meine Nase, mein Kinn und schließlich auch meinen Mund. Für diesen kleinen Moment fühlte ich mich wie ein Kind. Ich fühlte mich schwerelos und für eine Sekunde vergaß ich diese Stille zwischen Reece und mir und benahm mich wie ein kleines Kind, als ich den Mund öffnete, um die Schneeflocken in den Mund zu bekommen. Woher dieses Verhalten kam, konnte ich nicht deuten. Das konnte ich wirklich nicht, da ich es selbst nicht ganz verstand. In meinen Augen machte das natürlich auch keinen Sinn. Das würde es nie. Doch ich lenkte mich damit ab. Reece räusperte sich nach einer Weile.
      Mit diesem Geräusch zog er mich unsanft in die Realität zurück. Sofort war ich mir wieder der Stille zwischen uns bekannt, so wie der Kälte, die sich langsam in meine Knochen bohrte und dort einfach nicht verschwinden wollte. Ich schluckte und sah dann zu ihm. »Lass uns weiterfahren. Wir haben noch eine ganz schöne Strecke vor uns.« Mehr sagte er nicht. Für ihn schien es auch nicht mehr zu sagen zu geben. Er stieg einfach wieder auf die Kufen und schien nur auf mich zu warten. Es war seltsam. Er war seltsam. Diese Situation war seltsam. Gestern Abend hatte ich schon dieses Gefühl gehabt und es wurde nur von Sekunde zu Sekunde stärker. Zögerlich lief ich auf den Schlitten zu, während ich mir überlegte, was sein Problem sein könnte.

Frozen Together ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt