11. Kapitel

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     Reece war glühend heiß, als ich mich zu ihm setzte und seinen Kopf in meinen Schoß bettete. Er hatte mich darum gebeten. Die Hitze seines Nackens drang durch den Stoff meiner Jogginghose und Angst flutete meinen Körper. Schweißperlen lagen auf seiner Stirn und er zitterte etwas. Sein Blick war trüb. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals als er hustete. »Wie lange warst du ohne Jacke da draußen?«, fragte ich und legte meine Hand auf seine Stirn. Glühend heiß. Sein Blick glitt zu mir und ich hatte das Gefühl, dass er fiebrige Augen hatte. »Keine Ahnung... zwei Stunden?« Ich riss die Augen auf und wollte aufstehen um noch eine Decke zu holen, doch er hielt mich fest.
        »Mach dir keine Sorgen. Ich-« Ein Huster unterbrach ihn, ehe fortfuhr. »Es geht schon. Es war schon mal weitaus schlimmer. Vertrau mir. Das Bisschen husten und Fieber geht schon wieder weg.« Ich wusste, dass er versuchte mich aufzumuntern, doch das zog bei mir nicht. Ich glaubte ihm kein Wort. Er könnte ernsthaft krank werden und das nächste Krankenhaus war über 20 Meilen weit weg. Und bei diesen Verhältnissen würden wir vermutlich nicht sehr vorankommen. »Verarsch mich nicht! Du könntest eine Lungenentzündung bekommen oder Schlimmeres!«
        Panik flutete meinen Körper und traf mich mit einer unvorbereiteten Macht. Ich hatte das Gefühl jeden Moment fallen zu müssen. Mir wurde übel. Reece strich sanft über meinen Handrücken. »Bitte, Sky. Mach dir keine Sorgen. Das wird schon.« Seine Stimme war rau, sein Blick fiebrig. Ich wusste nicht, wie lange er da draußen gewesen war. Über Stunden hinweg. Ich wusste nicht, von wie vielen davon er wirklich ohne Jacke gewesen war und wie lange er womöglich gefroren hatte.
        »Was... was ist passiert?«, fragte ich ihn leise, aus Angst vor der Antwort. Sein Blick glitt zu mir und zum ersten Mal schien er nicht zu wissen, was er zu mir sagen sollte. Er zuckte mit den Schultern, während ich mit der Hand weiter über seine Stirn strich, was er zu genießen schien. »Wir fuhren gerade wieder aus dem Dorf raus, als das Schneetreiben wieder anfing. Man sah die eigene Hand vor Augen kaum. Bronco und Nanook fanden den Weg blind und ich vertraute ihnen, doch auch sie sahen den Wegrand nicht richtig und wir rutschten ab. Ehe ich etwas tun konnte, kippten wir um, der Schlitten auf mich drauf. Ich verlor das Bewusstsein und wachte erst wieder auf, als Bronco mich weckte und winselte. Nanook lag reglos am Boden und war eiskalt. Die Hunde hatten ihn nicht alle warmhalten können, da sie in den Leinen verheddert waren. Und na ja... dann wickelte ich ihn die Jacke und hob ihn auf den Schlitten zu den Einkäufen... Mehr weiß ich nicht.«
      Tränen bildeten sich in meinen Augen. »Du hättest sterben können! Du könntest sterben!«, stieß ich aus. Reece schüttelte den Kopf. »Nein. Ich werde vielleicht Fieber haben aber ich werde nicht krank. Ich bin sehr robust. Nanook ist mir wichtiger.« Sein Blick glitt zu besagtem Hund, der vor dem Kamin unter seinen Kameraden lag und sich noch immer nicht rührte, die Augen geschlossen. »Ich hätte ihn nicht mitnehmen sollen... ich hätte es einfach nicht tun sollen...«, murmelte Reece und ich sah, dass er sich selbst die Schuld gab. Es gab nichts, was ich dagegen sagen konnte.
       Denn... von Anfang an war das alles riskant gewesen. Dass ich jetzt hier so saß, war für mich keine Überraschung. »Möchtest du etwas essen?«, fragte ich. Reece schüttelte den Kopf. »Nein. Ein Löffel Honig wäre gut. Aber der selbstgemachte Honig.« Ich nickte und stand auf. Reece' Blick war noch immer fiebrig. Junior kuschelte sich enger an ihn, besonders auf seine Brust. Träge strich Reece ihm über das Fell. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich hastete in die Küche, um einen Löffel Honig zu holen. Als ich zurück zur Couch kam, wirkte Reece sehr müde und erschöpft, doch sein Blick lag auf seinem Leithund. »Wenn er stirbt verzeihe ich mir das niemals«, murmelte Reece.
        Mein Herz zog sich zusammen. Seine Worte taten weh und trafen mich im Herzen. Sie echoten in meinem Kopf und machten das Ganze hier nicht besser. Es tat so weh. So verdammt weh. Wortlos reichte ich ihm den Löffel. Reece war zu schwach um den Kopf zu heben, weswegen ich etwas nachhalf. Dann setzte ich mich wieder zu ihm und strich über seine Stirn. Verschwitzte Strähnen hingen ihm in die Augen. Ich schob sie beiseite. Ein schwaches Lächeln tanzte um seine Lippen. »Ich wollte schon immer eine sexy Krankenschwester. Wärst du so lieb und würdest einen Kittel anziehen?« Tränen bildeten sich in meinen Augen.
        Es sollte lustig gemeint sein, doch mir war nach Weinen zumute. »In deinen Träumen vielleicht«, gab ich krächzend zurück. Er sah zu mir. »Wie wahr...«, murmelte er. Im ersten Moment verstand ich nicht ganz, dann riss ich die Augen auf und wurde rot. Ein schiefes Grinsen erschien kurz auf seinen Lippen, dann verschwand es wieder. »Du solltest schlafen«, meinte ich. Reece sah mich an. »Ich kann nicht. Ich... meine Gedanken sind so laut...« Sein Blick glitt zu Nanook. Ein schwerer Seufzer kam über meine Lippen. »Ich passe auf euch beide auf. Aber nur, wenn du schläfst.«
       Wieder sah er mich an. »Ich weiß nicht, wie ich einschlafen soll«, wisperte er. Weiter strich ich über seine Stirn. Das dabei Schweiß an meine Handfläche ging war mir egal. »Schließ die Augen«, hauchte ich. Er blinzelte und schien widersprechen zu wollen, doch dann schloss er die Augen. In meinen Erinnerungen forschte ich nach der Melodie des Schlafliedes und begann sie zu summen, so wie er sie für mich gesummt hatte. Im ersten Moment riss er die Augen wieder auf, doch als er meinen strengen Blick sah, schloss er sie sofort wieder. Juniors Augen schlossen sich auch und ich lächelte leicht.
        Reece' Lippen wurden von einem kleinen Lächeln nach oben gezogen, er sagte aber nichts, während ich weiter summte. Irgendwann hob sich seine Brust in regelmäßigen Abständen, weswegen ich vorsichtig aufstand und zu Nanook ging. Die Hunde wichen beiseite, blieben aber dicht bei ihm, um ihn weiter zu wärmen. Als ich ihn erreichte öffnete er kurz die Augen, schloss die dann aber wieder. Mit meinen Fingern fuhr ich sanft über seinen Körper. Als ich bei seinem Schenkel abkam, zuckte er zusammen und knurrte mich an. Erschrocken wich ich zurück, fasste mich dann aber schnell wieder, als noch mal darüber fuhr und getrocknetes Blut spürte.
         »Nanook!«, keuchte ich erschrocken und sah eine Wunde. Er winselte. Es war eine kleine Wunde und doch musste sie höllisch wehtun. Reece musste sich in seinem halbwachen Zustand komplett übersehen haben. »Warte mein Süßer. Ich hole etwas, was dir helfen wird«, hauchte ich und hastete zu dem Schrank, indem Billy-Joe alles für Wunden verstaute. Auch Salben für Tiere. Hektisch zog ich die Türen auf und sah mich um. Nachdem ich fündig geworden war, eilte ich zu Nanook und kümmerte mich um seine Wunde. Ein gequältes Winseln kam über seine Lippen, doch davon ließ ich mich in diesem Moment nicht beirren. Das hätte auch nicht viel gebracht. Jedenfalls nicht für mich.
        Er litt unter Schmerzen. Das sah ich ihm an. Dennoch musste ich es tun. Der ältere Husky lag am Boden, beobachtete mich und atmete schwer. Mein Herz zog sich immer wieder zusammen, als ich ihn so betrachtete und stumm betete, dass er leben würde. Ich wollte, dass er lebte. Er musste leben. Für Reece. Reece würde umkommen, wenn Nanook von dieser Welt ging. Etwas in mir wollte ihn nicht so am Boden sehen. Etwas in mir konnte es einfach nicht. Ich konnte nicht zusehen wie Reece litt. Ich konnte es nicht. Morgen war Weihnachten. Das beste Geschenk, was ich Reece machen konnte, war für Nanook dazu sein und mich um ihn zu kümmern.
         Der morgige Tag würde keinen Sinn machen, sollte Nanook von uns gehen. Sein Körper war zwar warm, doch in seinen Augen war kaum noch Leben und ich fragte mich, wie lange er diese Wunde schon hatte und ob sie entzündet war. Der Eiter, den ich an manchen Stellen sah, verriet mir, dass ich die Wunde schnell reinigen musste. Immer wieder zuckte der schwarze Husky zusammen und sah mich an. Qual stand in seinen Augen, doch ich ließ es nicht an mich heran. Dann, gerade als ich vom ihm ablassen wollte, spürte ich etwas Hartes in seiner Wunde. Erschrocken hielt ich inne, dann zog ich es heraus.
         Ein kleines Holzstück. Sofort spritzte etwas Blut aus der Wunde und ich beeilte mich sie zu reinigen. Nanook ließ mich machen und beschwerte sich nicht weiter. Als ich fertig war, wusste ich nicht wie spät es war. Müde und erschöpft sank ich neben den Hunden zu Boden und schloss die Augen. Nanook leckte über meine Hand und Bronco über meine Wange. Jedenfalls glaubte ich das. Ich war müde. Mein Rücken tat weh. Meine Arme taten weh und doch schlief ich vor dem Kamin ein, Hunde um mich herum, die Nanook und mich wärmten.

Frozen Together ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt