21. "Das hättest du nicht tun müssen"

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Mit meiner Jacke eng umschlungen stand ich auf den Bergen. Es war einer meiner Lieblingsorte, seit ich bei den Rebellen war.

Ich hatte mir die Zeit anders vorgestellt. Einfacher.
Miss Wright hatte einen Namen gefordert. Nur eine Aufgabe hatte sie mir gegeben.
Doch jetzt zerbrach diese. Alles zerbrach. Denn es waren nur lügen gewesen.
Ich würde ihr niemals einen Namen geben. Nicht mehr. Nicht nach allem, was passiert ist. Ich würde meinem Bruder und meiner Familie helfen, aber nicht, indem ich noch mehr Menschen opferte.
Es wird einen Ausweg geben.
Aber Brian konnte ich nicht verraten. Er war ein guter Mensch. Er hatte eine gute Seele und ein reines Herz. Ich zerstöre nicht, was ihm noch geblieben ist.

Wir hatten uns seit dem Tag, an dem er mir überraschenderweise alles erzählt hatte, nicht mehr unterhalten.
Es verunsicherte mich. Auf jeden Fall. Dennoch würde ich ihn nicht drängen mit mir zu reden. Wenn er nicht wollte, dann musste er nicht.
Ich wollte mir nicht Ansatzweise vorstellen, wie schwer es war, über den Verlust von Alec hinwegzukommen.
Stets hatte ich in Alec stets das böse gesehen. Ich sah in ihm das was die Seelenlosen uns immer erzählt hatten. Doch nach allem, was Brian mir berichtet hatte, war Alec ein guter Mensch.
Nun konnte ich mir sicher sein, dass er wirklich mit reinem Herzen gestorben ist, trotz allem, was passiert war.

Kleine Schneeflocken fielen herab.
Ich streckte meine Hand aus. Lautlos fielen sie auf die Handoberfläche und schmolzen dahin. Der Winter war schon immer faszinierend gewesen. Auch wenn er eisig kalt war.
Fröstelnd zog ich meine Jacke enger um mich und machte mich auf den Weg zurück. Als ich durch die Gänge zur Trainingshalle lief, beobachtete ich, wie die Rebellen eilig durch die Gänge liefen. Die meisten trugen Rucksäcke bei sich, andere kleine Taschen.
Wie Ashton mir erzählt hatte, bereiteten wir uns auf einen Umzug vor.

Ich wusste nicht, wohin wir umzogen, doch wusste ich, dass wir nicht hierbleiben können. In den Höhlen war es fast genauso kalt wie draußen.

Ich öffnete die Tür zur Trainingshalle. Eilig zog ich mich um und schlüpfte in die Handschuhe.
Mit meinen Augen fokussierte ich die Puppe vor mir.
Langsam tauchten blonde Haare auf. Graue Augen, kalt. Weiße Klamotten, schimmernd. Ein Grinsen breiter als alle anderen.
Mit voller Wucht traf meine Faust die Puppe. Immer wieder langte ich auf sie.
Sie war das wahre Übel der Menschheit. Lügen über Lügen.
Wie konnte sie nach der Macht streben, ihren Urvätern nacheifern, obwohl sie wusste, was diese getan haben?
Wie habe ich nur all die Zeit an die Sache geglaubt, obwohl mich so viele Leute gewarnt hatten. Darian, Tiara, sogar mein eigener Bruder.
Selbst mein kleiner Bruder hatte es vor mir durchschaut. Er sein Leben für mich auf das Spiel gesetzt und doch habe ich ihm nicht geglaubt.
Erschöpft ließ ich meine Hände sinken und kniete mich nieder.
Ich will sie rächen. Alle Menschen, die Gefallen sind durch unsere Hand.

„Gwen?"
Tiaras Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Der Lippenstift saß makellos.
Abrupt richtete ich mich auf.
„Da musste aber jemand gewaltig Dampf ablassen!", scherzte sie. Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, was aber schnell wieder verschwand.
„Kann ich dich um ein Gefallen bitten, wenn der machbar ist?"
Sie nickte.
„Ich möchte das Symbol des Widerstandes tätowiert haben!"

Für einen Moment dachte ich, sie hätte mich nicht verstanden. Stumm stand sie da und schaute mich aus den grünen Augen an.
Dann lachte sie. Laut.
Es dauerte lange, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
„Gwen, ernsthaft!"
Sie schiebt mich an den Schultern zu einer der Bänke und drückt mich auf diese. Laut ließ sie sich auf die andere fallen.
„Ich weiß, dass die ganzen Gefühle  krass sind. Vor allem kannst du die Wut nur schwer kontrollieren, aber lass sie nicht die Oberhand gewinnen."
Sie seufzte.
„Ich bin auch ein emotionaler Mensch und es ist schwer sich immer im Griff zu haben, aber denk genau darüber nach, ob du es wirklich willst."
Ich wollte aufstehen, doch drückte sie mich wieder runter.
„Du verstehst das nicht!", stieß ich laut aus.
„Vielleicht kann ich nicht dasselbe fühlen wie du, aber ich kann es verstehen!"

Cold Hearts | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt