37. „Glücklich allein ist die Seele, die liebt." ~Johann Wolfgang von Goethe

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Als Manisha und mein Bruder zurückgeblieben sind, wollte ich genau das tun, was Brian mir befohlen hatte. Meinen Fehler wieder gut machen.
Nun war auch Paul gestorben und mit ihm so viele andere.
Wir wollten so wenige Opfer wie möglich, doch wir waren gescheitert. Es würde nur noch mehr geben.
Es gab nur noch einen Weg alles zu beenden.
Diesen würde ich nachgehen. Allein.

 
Es war allein eine Sache zwischen Miss Wright und mir.
Niemand von meinen Freunden, niemand von den Rebellen, noch ein Seelenloser, außer Miss Wright müsse sterben.

Ich konnte nicht leugnen, dass ich Angst hatte. Sie schien mich beinahe zu überwältigen.
Ich wusste, dass ich sterben könnte und dieses Mal nicht wieder auferstehen werde, aber es war an der Zeit, dafür einzutreten, wofür alle bitterlich gekämpft haben.
Einzutreten für das Zeichen, welches auf meiner Brust prangte.
Ein Kampf zu beenden der seit Jahrzehnten geführt wurde und unzählige Opfer forderte.

Ich hatte ihn nicht angefangen, aber ich würde ihn beenden.

Eilig hastete ich die letzten Meter zum Zentralgebäude hin. Überall lagen Menschen, überall lagen Scherben, die sich mit Blut vermischten.
Es würden wieder bessere Zeiten folgen.

Es waren keine Soldaten zu sehen, als ich das Zentralgebäude betrat. Stattdessen begrüßte mich Totenstille.
Doch sie war hier.
Sie würde sich niemals im Krieg ihre Hände mit Blut beschmieren.
Es gab nur eine Möglichkeit wo sie sein könnte.

Vor den großen Türen hielt ich einen Moment inne.
Die Angst schnürte mir beinahe die Kehle zu. Aber es war keine Angst, vor dem was passieren würde, weder noch Angst vor Miss Wright. Es war die Angst, die Zukunft meiner Familie in den Händen zu halten. Nein, die Zukunft der Menschheit.

Trotz, dass die Angst mir die Luft zum Atmen nahm, verschloss ich sie nicht. Sie gehörte zum menschlich sein dazu und würde mich stärken.

Tief atmete ich durch und stieß die Türen auf. Doch kein Soldat stellte sich mir in den Weg. Ganz allein stand Miss Wright vor einem der vielen Fenster der Glaskuppel.
Ihr Blick glitt auf die Stadt hinaus, die einem Trümmerhaufen glich.
"Keine Soldaten?", fragte ich sie und schloss die Tür.
"Ihr wisst gar nicht was ihr hier zerstört habt!"

Ein Lachen verließ meinen Mund.
"Doch, genau das wissen wir und wir bereuen nichts. Gar nichts!"
Ihre Schultern hoben sich, bevor sie wieder sanken.

"Ihr habt etwas Einzigartiges zerstört und wofür?"
Miss Wright drehte sich zu mir um ihre grauen, kalten Augen trafen die meinen. Sie schien heute noch kälter als damals.

"Für die Freiheit."

"Du hast dich so geändert, Gwendolyn, aber immer noch manipulativ und naiv wie früher."
Julina lief einige Schritte zu und blieb kurz vor mir stehen.

"Du bist ein Niemand, Gwen."
Nun war ich diejenige, die Lachen musste.
"Vielleicht. Dennoch habe ich die Dinge erreicht, wozu sie nie imstande waren", schoss es aus mir heraus. "Zu lieben."
Sie seufzte.

"Und was hat sie dir gebracht? Nichts, denn nun stehst du hier, bereit für den Tod, genau wie die Menschen da draußen."
Sie zeigte mir ihren Fingern zum Fenster.
"Ihr habt den Kampf verloren."
Ich lief einige Schritte auf sie zu. Erhobenen Hauptes betrachtete ich sie.

"Wissen Sie Julina!", sprach ich selbstsicher mit einem Lächeln auf dem Gesicht. "Diesen Kampf haben wir nicht verloren, sondern nur sie allein. Sie wollten etwas Neues schaffen. Eine neue, vielleicht sogar bessere Menschheit. Sie wollten die Menschen vor sich selbst retten. Doch, kann man Menschen wirklich retten, indem man ihnen das nimmt, was sie menschlich macht? Nein, das durfte ich selbst erfahren."

Ihre Augenbrauen hoben sich an, doch schwieg sie.
"Sie dachten sie können bis zum Tode regieren, genau wie ihre Eltern. Aber sie haben den Kampfgeist der Menschen unterschätzt. Immer mehr schlossen sich dem Widerstand an und es werden mehr. Unter ihnen sind sogar Seelenlose. Sie wollen wissen, warum sie sich uns anschließen? Weil sie gemerkt haben, dass Fehler, Gefühle und vor allem die Liebe uns vollständig machen. Sie machen unser Leben lebenswert."

Ihr Blick wurde finsterer. Ich hatte keine Angst mehr. Nicht vor einem Menschen wie Miss Wright. Sie war kleiner und schwächer, als wir immer geglaubt hatten. Ohne ihr System war sie nichts. Ohne Vitroum war sie ein nichts.

"Es ist Zeit, dass diese Zeit, des manipulieren, ein Ende nimmt. Wir sind zu mehr, als dieses Leben, was sie führen wollen, bestimmt."

Auf einmal fing sie an zu lachen. Fragend wollte ich zurückweichen, doch plötzlich packte sie mich am Arm. Mit ihrem linken Arm stieß sie einen Dolch in meinen Bauch.
Keuchend presste ich meine Hände um das Messer.

"Ihr seid alle gleich. Überheblich, schwach und verblendet."
Die Schmerzen schienen mich für einen Moment zu überwältigen, doch musste ich stark bleiben und kämpfen.
Wenn ich mein Bewusstsein verlieren würde, wäre alles verloren.

Julina drehte sich zum Fenster.
"Die Menschen haben sich fast selbst zerstört. Sie konnten es nicht lassen sich zu hassen und zu bekriegen. Wir gaben ihn eine Stadt, die viel besser ist. Wir schätzen das Miteinander und den Frieden."

"Sie zerstörten den Menschen", stieß ich stöhnend aus und sank auf meine Knie. "Gefühle gehören zu uns und sie werden sie nie unterbinden können."

Sie lachte. Es war ein hässliches Lachen. Sie dachte sie gewann, doch es war noch nichts vorbei.
Ich zog das Messer aus meinem Bauch. Blut befleckte den reinen Boden.
"Es ist vorbei!"

Miss Wright drehte sie sich zu mir. Ihre Augen weiteten sich.
Langsam rollte die Bombe zu ihr hin.
Mit einem letzten Blick bedachte ich sie.

Auf einmal gab es einen markerschütternden Knall. Von der Explosion wurde ich weggestoßen. Hart prallte ich gegen die Wand. Ein Piepen durchfuhr meine Ohren.
Qualm stieg in meine Augen.

Ein Knacken ertönte.
Mein Blick wanderte zu der großen Glaskuppel. Immer mehr Risse zeichneten sich auf ihr ab. Plötzlich brach sie.
Überstürzt zog ich mich unter einen der Tische. Glassplitter sausten zu Boden. Klirrend zerbrachen sie erneut. Wie funkelnde Diamanten verteilten sie sich.

Erschöpft lehnte ich meinen Kopf gegen das Tischbein.
Es war vorbei.

Keuchend kehrte ich die Splitter beiseite und zog mich aus dem Versteck. Miss Wright war von Glasscherben übersät. Ihr Körper lag reglos da.

Kraftlos sank ich zu Boden.
Sonnenstrahlen benetzten mein Gesicht. Sie waren angenehm warm und schienen golden. Sie erinnerten mich an Brians Augen.
An sein ganzes Wesen.
Er war ein unglaublicher Anführer, aber vor allem ein wundervoller Mensch. Ich hatte sein Versprechen gebrochen, aber ich tat es für ihn.
Er verdiente es zu leben, aber vor allem ein Leben gefüllt mit seiner Familie.

Wie Paul sagte, es war ein dankbarer Tod. Wir hatten eine Familie, Freunde und vor allem hatten wir geliebt. Denn Liebe ist das, was uns am Leben erhält.
Ohne sie wären wir nichts.
Ich bin unfassbar dankbar, sie erleben zu dürfen. Brian war das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.

"Gwen!"
Seine volle Stimme, welche mich noch immer erzittern lässt, tauchte in meinem Ohr auf. Seine Hände, die perfekt für mein Gesicht geformt waren, umschlossen dieses.
Seine goldbraunen Augen blickten auf mich nieder. Sie waren atemberaubend.
"Gwen!"

Er war hier.
Meine Hand umschloss seine.
"Du bist hier", wisperte ich.
Brian ist es wirklich. Es war keine Einbildung.
"Ich bin immer bei dir."
Sein Daumen fuhr über meine Wange.
"Brian", wisperte ich.
Er ließ seine Hand, gemeinsam mit meiner sinken.
"Du wirst nicht sterben. Du hast noch ein Versprechen zu erfüllen, Gwen! Daran hältst du dich gefälligst auch!"
Schwach lächelte ich.
"Ich brauch dich. Die Liebe funktioniert nun mal nur zu zweit."
Eine Träne floss seine Wange hinunter.
"Dann-", wisperte ich. "Sollte ich mein Versprechen halten."
Erleichtert lächelte er. Seine Arme schlangen sich um meine Hüfte. Behutsam hob er mich auf seine Arme, die mein Zuhause waren.

Intensiv presste er seine Lippen auf meine. Glück durchströmte meinen ganzen Körper. Wir waren endlich frei.
"Ich will nur noch dich, Gwendolyn Thompson", wisperte er in den Kuss hinein. Unser Kuss lebte von Leidenschaft. Er war der Beginn einer neuen Zeit.
"Zeit nach Hause zu gehen."

Cold Hearts | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt