Cold Hearts | ✔

2. "Du hast ein Herz, benutze es"

„Gwendolyn, steh auf!"

Jemand versuchte mich zu wecken, doch es war noch zu früh dafür. Mein natürlicher Schlaf brauchte noch eine Stunde. Ich zog meine Decke zu meinem Kinn hoch und versuchte wieder einzuschlafen.
„Steh jetzt auf!"
Meine Decke wurde mir weggezogen. Grob wurde ich am Arm gepackt. Eilig drehte ich mich um und blickte in die Augen meines Bruders.

Für einen Moment starrte ich auf seine Hand, die meinen Arm umklammert hielt. Körperkontakt wurde in Vitroum vermieden und war nicht erwünscht. Sie könnten zu einer engeren Bindung zwischen zwei Personen führen, die beiden und anderen Schaden könnte. Das galt auch innerhalb der Familie, ausgenommen bei Babys oder kleineren Kindern. Ehepartner werden bereits bei der Geburt für einen herausgefiltert. Sie sind perfekt auf einen abgestimmt in ihren charakterlichen Merkmalen und Verhalten.

"Du musst mir jetzt zuhören!", sprach Noel eindringlich und zog mich aus dem Bett. Er ließ mich los und eilte auf meinen Schrank zu. Sprachlos betrachtete ich ihn. Was war in ihn gefahren?
Noel drehte sich zu mir und warf mir meine Klamotten zu. Ungeschickt fing ich sie auf, doch ich konnte nur wie eingefroren dastehen.
Normalerweise war er immer beherrscht und diszipliniert. Er war die Ruhe selbst. Doch verhielt er sich seltsam.
Noel war, durcheinander.
„Was ist denn bloß los?", fragte ich und wollte die Sachen beiseitelegen, doch plötzlich kam er auf mich zu und drückte mir die Sachen an die Brust.
„Zieh dich sofort an!".

Seine Stimme duldete keine Widerrede. Niemals hatte ich ihn so erlebt. Kopfschüttelnd schlüpfte ich in meine Klamotten und beobachtete ihn, wie er weiter in meinem Schrank wühlte.
Auf einmal holte er eine Sporttasche aus meinem Schrank.
„Noel, was tust du da?", fragte ich ihn und verschränkte die Arme.
Seine Brust spannte sich an, während er für einen Moment verharrte. Etwas blitzte in seinen Augen auf, was ich nicht deuten konnte. Noel richtete sich auf und kam auf mich zu. Seine leicht abstehenden Ohren und die Spitze Nase fielen mir wie immer zuerst an ihm auf. Dann sein braunes Haar, welches im Kontrast zu meinem blonden Haar stand.
Dann sah ich immer seine großen runden Augen. Sein grau hatte schon immer wärmer gewirkt als das der anderen.
Noel legte seine Hände auf meine Schultern. Ich wollte zurückweichen, doch er hielt mich fest.

"Du musst mir jetzt ganz genau zuhören!".
Stumm nickte ich.
„Wir sind nicht wie die anderen. Wir sind nicht perfekt und das wissen sie."
Wovon redete Noel bloß? Wir sind perfekt, wie alle anderen auch. Ich schob seine Hände von mir und wich zurück.
„Noel, du solltest dir einen Arzt-", doch ließ er mich nicht einmal ausreden.
„Wir fühlen."
Stumm starrte ich ihn an und versuchte seine beiden Worte zu verstehen.
„Gwendolyn, wir fühlen Gefühle und Emotionen. Wir haben Angst, Wut oder gar Hass, aber auch so viel mehr. Doch die Regierung hält uns für eine Gefahr für dieses System. Sie versuchen jeden von uns auszulöschen."
Zwischen seinen Brauen bildete sich eine Falte, während er die Worte sprach. Ich versuchte sie zu begreifen, doch ich konnte es nicht. Die Bedeutung der Worte wollten mir einfach nicht erscheinen. Von welchen Gefühlen und Emotionen redete er?

„Noel, ich verstehe es nicht."
Selbst, wenn ich diese Dinge wie Emotionen besitzen würde, würde ich dem System und der Regierung nie schaden wollen. Ich könnte ihr nicht schaden.
Ich wollte aufsteigen, den Menschen und Leuten helfen oder sie sogar führen. Warum sollte ich Vitroum nun schaden wollen?
„Ich weiß, es ist schwer zu begreifen. Ich habe lange dafür gebraucht."
„Nein, das kann nicht sein. Du irrst dich was mich angeht. Ich könnte Vitroum nicht schaden."
Er nickte, bevor er tief durchatmete.
„Die Regierung hat dich bereits beobachtet, doch lagst du stets auf sicherer Seite, da du einen hohen Rang hast und stets hinter dem System standst. Aber gestern hast du einen Gefangenen aus dem Slum entkommen lassen und sie haben Wind davon bekommen. Du wirst ab sofort als potenzielle Gefahr eingestuft!"