Szene ②

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Jasper verbrachte seinen Tag ganz anders als Lilia. Natürlich ging im ebenfalls das Bild des toten Mädchens nicht mehr aus dem Kopf, doch trotzdem versuchte er, sich auf andere Dinge zu konzentrieren.

Der Computerclub wollte den freien Tag nutzen, um an ihrem Windrad zu arbeiten und Jasper hatte angeboten, dass sie sich bei ihm trafen. 

Also saß er zusammen mit drei Jungen und zwei Mädchen in seinem Zimmer auf dem Boden. Alle hatten einen Laptop auf dem Schoß und vor ihnen lagen die neusten Skizzen des Schul-Windrades.

„Wir haben uns heute hier versammelt, um über die Kosten der Materialien zu sprechen", begann Erik sehr förmlich die Sitzung. Er war ein kleiner Junge mit einer umso größeren Brille. Sehr, sehr kurzen schwarzen Haaren und sehr, sehr großen runden Ohren.

„Richtig." Yasmin, seine Freundin, trug ebenfalls eine Brille und stimmte allem zu, was Erik von sich gab. Jasper wusste nicht, ob er das eine gesunde Beziehung nennen konnte.

Erik sprach sofort weiter: „Der Tabelle nach, die Jasper für uns erstellt hat, stehen die Gesamtkosten momentan bei etwa 2.000 €, was im Rahmen des für uns bereitgestellten Budgets ist. Der Schulleiter hat bereits dem Bau zugestimmt. Jetzt liegt es an uns. Wir müssen die Teile kaufen."

Jasper schaltete sich hier schnell ein. Er hatte sich am meisten mit der Materialbeschaffung auseinandergesetzt und konnte viel detailgetreuer darüber berichten als Erik. „Das Metall habe ich bereits bei einer Firma angefragt. Ich warte auf ihre Rückmeldung und mein Vater würde das Geld vorlegen, bis es uns die Schule zurückzahlt. Aber die technischen Teile, wie Generator, Kabel und Getriebe müsste jemand anderes besorgen."

Ein sonst eher zurückhaltendes Mädchen meldete sich zu Wort. Sie war die Einzige aus der Gruppe, die keine Brille trug. Es war fast schon seltsam, wie sie nicht dem Klischee einer Streberin entsprach.

Gemeinsam musste der Club wirklich, wie ein großer Haufen Computernerds aussehen.

Jasper trug seine Brille nicht oft, da er eine geringe Sehschwäche hatte, doch gerade bei Clubtreffen half es, dass sie ihn noch schlauer aussehen ließ, als er ohnehin schon war.

Stella, das Mädchen, was sich eben gemeldet hatte, unterhielt sich mit Erik über die Beschaffung der elektrischen Teile. Ihre Mutter leitete eine Firma, die solche Teile herstellte. Vielleicht würde sie das Material sogar umsonst bekommen.

Jasper schaltete sich bis zum Ende der Sitzung aus der Unterhaltung aus. Heute war nicht wirklich viel bei rumgekommen, was wohl an der bedrückenden Stimmung lag, die sich über den Schülern ausgebreitet hatte. 

Auch wenn die anderen nicht dabei gewesen waren, wussten sie von den gestrigen Ereignissen. Sie wussten auch, dass Jasper ein Teil davon gewesen war. Dass sie ihn deshalb mit Samthandschuhen anfassten, nervte ihn sehr.

Als der Großteil seiner Mit-Nerds circa eine Stunde später gegangen war, begann er die Baupläne des Windrads wieder einzuräumen. Er schaltete seinen Laptop aus und hörte währenddessen dem Gespräch der übrigen Schüler zu. Nur noch Erik, Yasmin und Stella waren hier.

Bis eben hatten sie sich über Belangloses unterhalten, doch nun wechselte das Thema auf Lani, was Jasper hellhörig machte.

Stella fragte gerade: „Denkt ihr, das Mädchen hatte eine Familie? Die Informationen, die bis zu mir durchgedrungen sind, stellen das infrage. Niemand scheint sie zu kennen, oder zu wissen, wo sie herkommt."

„Natürlich hat sie eine Familie", antworteten Jasmin und Erik gemeinsam und ein wenig zu schnell.

Jasper räusperte sich. „Warum seid ihr da so sicher? Lani hat nur von einer Großmutter gesprochen." 

Es war allseits bekannt, dass Jasper und seine Freunde näheren Kontakt zu dem Mädchen hatten. In so einem kleinen Ort sprach sich alles schnell herum. Deshalb musste er nicht verstecken, dass er mehr wusste als die anderen.

„Naja, irgendwer muss sie ja geboren haben", erwiderte Erik, wieder ein kleines bisschen zu schnell. Es schien so, als hatte er bereits im Vorhinein geprobt, was er auf eine solche Frage antworten wollte.

„Die Eltern können gestorben sein", schlug Jasper deshalb vor.

„Oder sie leben."

Gut, Jasper würde wohl nicht erfahren, warum sich Erik gerade so komisch benahm. Anscheinend beharrte er darauf, dass er recht hatte, ohne Lani zu kennen. Entweder war er einfach nur ein rechthaberischer Idiot, oder er wusste mehr, als er zugab.

Auch Yasmin schien zu stören, dass Erik sich zu dem Thema äußerte, weshalb sie wenige Minuten später mit ihm verschwand. Stella bedankte sich für den schönen Vormittag und war auch weg.

Jasper blieb allein zurück. Gedankenverloren legte er sich auf sein Bett und starrte an die Zimmerdecke. Er hatte heute nichts mehr zu tun und irgendwie machte ihn das verrückt. Er wollte seinen Tag nicht mit an die Decke gucken verschwenden.

Doch gleichzeitig hielten ihn Erinnerungen an die gestrige Nacht davon ab, mit einem sinnvollen Projekt zu starten. Sollte er sich bei seinen Freunden melden? Ihnen ging es sicher ähnlich mies. Eine Unterhaltung konnte er als sinnvoll investierte Zeit werten. Doch dann müsste er sich wieder von seinem Bett erheben.

Jasper stöhnte. „Och ne."

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt