Szene ④

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An diesem Abend saß Benno bei sich zu Hause, im Erdgeschoss des Hotels seiner Eltern. Er hatte sich einen kleinen Tisch zu sich an das Klavier gezogen, auf dem sowohl ein Teil seiner Kompositionen lagen als auch sein Laptop stand. Über einen Videoanruf unterhielt er sich mit Fria. Diese hatte es sich mit einer Tüte Chips und einem Notizheft auf ihrem Bett gemütlich gemacht.

Gemeinsam arbeiteten sie gerade eigentlich an Frias neuem Film. Benno hatte sich als Komponist für die Musik angeboten, so wie er es meistens tat. Er wollte einen ruhigen Track schreiben, für die Szene, in denen die Aufnahmen der Pferde zu sehen waren.

Doch obwohl Fria fand, dass Bennos Lied echt toll klang, wirkte sie nachdenklich. „Kannst du es nochmal von vorne spielen? Ich kümmere mich so lange weiter um das Storyboard." Fria seufzte.

Auch Benno merkte, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los? Hast du Probleme bei deinem Film, oder ist es etwas Anderes?"

„Mir fehlt noch irgendeine große Auflösung am Ende. Ich hätte gerne einen Cliffhanger, oder einen Plot-Twist, der die Leute aufschreien lässt", versuchte es Fria mit einer Erklärung für ihr Film-Problem, um von der anderen Frage abzulenken. 

„Hast du schon mit Lilia darüber geredet? Vielleicht kann sie dir helfen. Immerhin liebt sie gut durchdachte Plot-Twists."

„Nein, aber das ist eine gute Idee. Ich wollte sie vorhin nicht nerven, weil sie doch zu Malea ins Krankenhaus fahren wollte."

Benno seufzte. „Stimmt. Da müsste ich auch mal wieder hin. Ich habe so ein schlechtes Gewissen, weil ich mich davor drücke, aber ich habe zu viel Angst davor, Malea da liegen zu sehen. Die letzten zwei Mal haben mir schon das Herz gebrochen."

„Mir auch", stimmte Fria zu. „Ich bin auch nicht gerne dort, aber wir sollten sie trotzdem mal wieder besuchen. Ich wollte ihr auch noch von meiner Begegnung mit Paula vorgestern erzählen."

„Aha, was ist denn da passiert?" Benno wirkte interessiert.

Fria lachte nur. „Nichts Schlimmes. Aber du weißt doch, das Malea und ich keine großen Fans von Paula sind. Ich stand an der Bushaltestelle gegenüber vom Friseursalon und konnte beobachten, wie sie dort ihrer Frisöse die Hölle heiß gemacht hat. Anscheinend hat sie die Farbmischung eine Nuance zu dunkel gemischt."

Benno lachte laut auf. „Oh nein, wie entsetzlich."

„Ja." Ein Chips-Krümel flog aus Frias Mund, als sie beide in schallendes Gelächter verfielen.

Schnell verstummte sie wieder und hoffte, dass Benno es nicht bemerkt hatte, doch als sich ihre Blicke durch den Bildschirm trafen, mussten sie beide nur noch mehr lachen. Er hatte es genau gesehen!

„Ach Scheiße!", ärgerte sich Fria. Ihr war es zwar nicht peinlich, dass vor einem ihrer Freunde so etwas passiert war, denn dafür hatten sie schon zu viel miteinander durchgestanden, doch nun war ihr schönes T-Shirt vollgesaut.

Gerade Benno würde die Chips-Krümel-Aktion nicht petzen, immerhin war er derjenige, der, als sie klein waren, mal vor ihnen allen in die Hose gemacht hatte.

Jasper jedoch hätte sie mit Sicherheit verraten, aber nur weil er es lustig finden würde, nicht, um sie doof dastehen zu lassen. Jasper war noch nie etwas Peinliches vor den Freunden passiert und er liebte es, die anderen damit aufzuziehen.

Diese konnten sich nur damit bei ihm rächen, ihn „Mr. Perfect" zu nennen.

Fria musste zugeben, dass Jaspers äußerliches Erscheinungsbild für die meisten Leute einschüchternd wirken könnte. Immerhin sah er gut aus, er hatte super Noten und viele Freunde. Aber nur wenn man ihn wirklich kannte, und dass taten nur die wenigsten, wusste man wirklich, was hinter seiner Fassade steckte. Fria wusste, dass er oft traurig war und an manchen Tagen gar nicht das Haus verließ. Das lag aber nicht an irgendwelchen persönlichen Problemen von ihm. In seinem Umfeld fühlte er sich wohl. Was Jasper leider sehr mitnahm, war die Situation der Welt.

Er interessierte sich sehr für die Wissenschaft und entwarf und baute Maschinen, doch das alles half nichts, wenn die Politik nicht bald etwas gegen den Klimawandel unternahm. Unsere Erde hatte keine Zukunft und Jasper wusste das. Er versuchte sie mit seinen Erfindungen zu retten und in Momenten, in denen er realisierte, dass er dies nicht allein schaffen konnte, trauerte er um sie. Dabei konnte auch Fria ihm nicht helfen.

„Ist es für dich in Ordnung, wenn ich jetzt auflege? Ich muss noch ein bisschen was für die Schule erledigen, das habe ich den ganzen Tag versucht zu verdrängen, doch ich glaube, ohne es mir einmal angesehen zu haben, bestehe ich Bio morgen nicht." Benno riss Fria aus ihren Gedanken. Sie hatte schon fast vergessen, dass sie mit den jungen Pianisten telefonierte. Dieser saß mit dem Block auf dem Schoß ungemütlich dreinblickend vor seinem Klavier.

„Ja klar, kein Problem. Solange mein Lied bis Freitag fertig ist."

„Ich schicke dir die Aufnahme. Versprochen", sagte Benno und gähnte.

Fria lächelte. „Danke. Dann bis morgen."

„Bis morgen."

Sobald Bennos Abschiedsgruß verklungen und sein Bild von Frias Laptop verschwunden war, wurde es still in ihrem Zimmer. Sie hätte sich gewünscht, dass dadurch auch Stille in ihrem Kopf einkehrte, doch das Gegenteil war der Fall.

All die Dinge, die sie während des Gesprächs mit ihrem Freund verdrängt hatte, sprudelten in ihr hoch.

Auch sie hatte noch immer nichts für die Lernkontrolle getan, doch das war gerade ihr kleinstes Problem. Der heutige Tag hatte ihr Erkenntnisse über ihr Filmprojekt gebracht: Es funktionierte nicht. Sie war ideenlos und eine Versagerin. 

Sie hatte all den Menschen, die ihr auf YouTube folgten etwas Großes versprochen und nun stand sie hier mit nichts.

Gut, durch Benno hatte sie einen fantastischen Soundtrack, doch das war nicht ihr Verdienst.

Fria seufzte. Sie war schon etliche Male mit diesem Gedankenkarussell gefahren und obwohl sie nach ein paar Minuten immer den Ausgang fand, tat es weh.

Selbstzweifel waren wie Wespen an einem heißen Sommertag. Sie kehrten immer wieder zurück, egal wie hartnäckig man versuchte, sie abzuschütteln.

Um sich abzulenken, sah Fria auf ihr Handy. Sie sollte wirklich mal mit Lilia reden, vielleicht hatte sie ja eine Idee, wie man Frias Film retten konnte.

Doch bevor sie Lilias Kontakt finden konnte, trudelte eine neue WhatsApp-Nachricht ein. Es war Jasper.

Jasper Wittig:
Wir haben ein Problem! 

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt