Szene ③

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Ein paar Minuten später klingelte Frias Handy. Auch sie hatte bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts mit ihrem Tag anfangen können. Emil und Kai hatten sie dazu gezwungen, ein paar Spiele mit ihnen zu spielen, aber durch Frias Unkonzentriertheit hatte sie immer verloren.

Jetzt nahm sie den Anruf an. Das Handy zeigte ihr an, dass es sich um einen Gruppenanruf aus der WhatsApp-Gruppe mit ihren Freunden handelte. „Hallo?"

„Hey Fria. Wie war dein Tag?", fragte sie Benno.

Auch die Hallos von Jasper und Lilia hörte sie ihm Hintergrund.

Sie schaltete das Handy auf laut, damit sie während des Telefonats im Zimmer herumwerkeln konnte. Dann antwortete sie Benno: „Mein Tag war bisher sehr unspektakulär und emotional geht es mir wahrscheinlich ähnlich mies wie euch."

Jasper seufzte zustimmend. „Hat jemand Informationen oder hast du diesen Anruf nur gestartet, damit wir uns gegenseitig bedauern können, Benno?"

„Ehrlich gesagt war mir einfach nur langweilig. Und ich wollte euch auf andere Gedanken bringen."

„Wie denn?" Man hörte Lilia deutlich an, wie sehr sie die Sache mitnahm.

„Suzanne hat sich bei mir gemeldet und möchte sich nachher mit mir treffen. Soll ich zusagen? Ich bin nicht wirklich in der Stimmung mich mit jemandem zu unterhalten, aber ich würde mich schon freuen."

Fria piepste kaum hörbar auf einer viel zu hohen Frequenz. „Oh wie schön. Natürlich musst du zusagen. Sag ihr liebe Grüße von mir."
„Du kennst sie doch gar nicht."
„Aber sobald sie bei uns in die Schule geht, werde ich sie dort sehr gerne willkommen heißen und herumführen."

„Also gut", lachte Benno. „Ich sage ihr, dass sie in Jesingen schon eine Freundin gefunden hat."

„Schön." Fria lächelte. Sie konnte es sich vorstellen, wie schwer es war, das neue Mädchen zu sein. In einer Großstadt konnte man fürs Erste in der Anonymität untertauchen, doch in einem kleinen Ort kannte dich jeder sofort. Fria wollte Suzanne dabei helfen, in Jesingen Fuß zu fassen.

„Wo ich euch gerade spreche, ich habe doch noch etwas zu berichten", unterbrach Jasper die Stille.

„Ja?"

„Erinnert ihr euch noch daran, als Fria meinte, wir müssen jeden des Mordes verdächtigen, der sich komisch verhält und ich meinte, dann kann ich auch Erik und Yasmin anklagen, nur weil sie seit ein paar Tagen schlecht drauf sind?"

Lilia antwortete, mit einem gewissen Misstrauen in der Stimme. „Jaaa ..."

„Der Computerclub hatte heute ein Meeting und die beiden haben sich ganz komisch benommen. Sie haben auf die Frage, ob Lani eine Familie hat, viel zu schnell geantwortet. Laut ihnen ist das auf jeden Fall der Fall. Dabei können sie das doch gar nicht wissen."

Fria ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. „Ich würde dir ja jetzt zustimmen, dass es seltsam klingt, aber da du mir geraten hast, nicht alles in Frage zu stellen, sage ich jetzt: Jasper, die beiden haben nichts zu verbergen. Sie sind sich nur sicher, dass Lani, ein zwölfjähriges Mädchen nicht allein überlebt hätte."

„Ich muss Jasper zustimmen", erwiderte Lilia. „Bis heute haben sich keine Eltern bei der Polizei gemeldet und Großeltern oder ein Kinderheim haben auch nicht angerufen. Irgendwas ist da faul und wenn Erik und Yasmin das runterspielen wollen und so tun, als wäre der Fall klar, sind sie verdächtig." 

Fria schnaubte: „Aber für was? Sollen sie Lani umgebracht haben? Willst du mir das weißmachen? Zwei Schüler laufen mit einer Waffe durch den Wald und ermorden ein Mädchen? Warum? Und das würde weder erklären, warum sie von Lanis möglicher Familie wissen, noch was sie mit ihr zu tun haben."

Benno bemerkte, wie die Stimmung kippte. Nach gestern waren sie alle angespannt, deshalb konnte er es seinen Freunden nicht verübeln, dass sie das Rätsel schnellstmöglich lösen wollten. Doch mit dieser Diskussion kamen sie nicht weiter.

„Bevor das gleich zu einem Streit ausartet: Vielleicht sollten wir es erst einmal vergessen und nur, wenn uns nochmal was an Erik und Yasmin auffällt, wieder ansprechen. Ihr habt doch alle Punkte genannt, die für eure Seiten sprechen. Wer sich verdächtig benimmt ist verdächtig, aber solange man kein Motiv hat, brauchen wir uns keine Gedanken machen", schlug der junge Pianist vor.

Kurz herrschte Stille, dann begann Lilia zu lachen. „Benno, dein Ernst? Du willst doch jetzt nur schnell Frieden stiften, damit du pünktlich zu deinem Date kommst. Suzanne hat dir nämlich bestimmt gerade geschrieben, dass sie Zeit hat", schlussfolgerte die junge Frau.

Kurz herrschte Stille in der Leitung. Dann seufzte Benno: „Och Mann bist du gut." Die Freunde lachten und gratulierten Lilia zu ihrer gelungenen Überführung. Dann verabschiedete sich Benno, der es plötzlich sehr eilig hatte, ins Bad zu gehen.

Die Freunde scherzten noch einige Minuten lang über ihn, bevor sie sich auch verabschiedeten.

„Danke Leute, mir geht es jetzt schon viel besser", sagte Fria ehrlich. Sie hatte sich den ganzen Tag bedrückt gefühlt, doch nun war eine Spur Leichtigkeit zurückgekehrt. Und das nur durch ihre Freunde.

„Mir geht es auch schon etwas besser", gab Lilia zu. „Ich gehe gleich zu Malea, soll ich etwas ausrichten?" Niemand fand es komisch, dass Lilia mit einem Mädchen im Koma sprach. Erstens war das eines dieser Dinge, die Lilia ausmachten. Da sie nie viel sprach, war es umso schöner, dass sie es tun konnte, wenn keiner zuhörte. Zweitens hatten sie alle manchmal das Bedürfnis mit Malea zu reden.

„Sag ihr, ich habe vorhin versucht zu malen und bin kläglich gescheitert", sagte Fria lachend.

„Sag ihr, der Computerclub hat überlegt, in welcher Farbe wir das Windrad streichen und ich hätte fast grün gesagt, weil das Malea gut gefallen hätte", sagte Jasper.

„Sag ihr, Kai und Emil vermissen sie. Wir haben vorhin Mensch ärger dich nicht gespielt und die beiden sahen mich nicht als eine Bedrohung an. Malea ist ihre Königin."

„Sag ihr, mein Vater wünscht sich ein neues Passbild und sie muss wachwerden, um ihn zu fotografieren."

Auch wenn Fria Lilia nicht sah, konnte man anhand ihres Tonfalls erkennen, wie glücklich sie die Aussagen machten. „Ich werde es ihr ausrichten."

Fria lächelte ebenfalls. „Und sag ihr, dass wir sie brauchen und uns darauf freuen, sie bald wieder in die Arme nehmen zu können." 

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt