Szene ④

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Wenige Minuten später betraten die Freunde das Büro des Schulleiters. Ganz das Klischee bedienend mussten sie sich vorher bei der sehr unfreundlichen Sekretärin anmelden und dort ein paar Augenblicke warten, bevor der viel beschäftigte Mann Zeit für sie fand.

Anscheinend hatten Erik und Yasmin den Auftrag bekommen, sie hierherzubringen. Natürlich war es ihnen eine große Freude gewesen, ihre Machtposition auszunutzen und die Freunde einige Zeit in Unwissenheit zu lassen. Sie hatten Lilia, Fria, Benno und Jasper im Klassenraum versammelt und so lange um den heißen Brei herumgeredet, bis Jasper die Fassung verloren hatte.

Nun hatte er sich zum Glück wieder beruhigt.

Als die Freunde mit nicht deutbaren Gesichtsausdrücken in das Büro des Schulleiters eintrafen, saß Theodor Wesp in seine Arbeit vertieft am überladenen Schreibtisch.

Er war noch nicht allzu alt, vielleicht Mitte fünfzig und seine offene Art kam gut bei seinen Kollegen und Kolleginnen an. Er hatte als Teenager bestimmt nicht schlecht ausgesehen, dem Alter geschuldet bildeten sich nun jedoch ein paar Fältchen.

Theodor Wesp schenkte den Freunden ein ehrliches Lächeln und stand auf, um ihnen die Hände zu schütteln. Dabei sprach er nochmal seinen Trost aus und ließ damit ihre Gedanken verrückt spielen. Bei jedem Mal „Es tut mir leid", oder „Malea war ein guter Mensch", was sich Fria zu hundertfach von wildfremden Personen anhören musste, erschienen die Bilder in ihrem Kopf, die sie versuchte, zu verdrängen. Malea, wie sie vor einigen Wochen in ihrem blutroten Kleid auf dem Baumstamm lag. Wie ihr fehlender Puls für Herzrasen gesorgt hatte und die darauffolgende Hilflosigkeit wie ein Donnerschlag im Kopf eingeschlagen war.

Fria schüttelte sich. Das musste aufhören.

„Warum haben sie denn nach uns rufen lassen?", fragte Benno unverblümt und riss Fria damit aus ihrem schmerzhaften Gedanken.

„Ich wollte euch weitere Informationen im Fall Malea Verhaag mitteilen, da ich mir sicher bin, dass sie euch interessieren. Jaspers Vater hat mich informiert, nachdem die Polizei das Video gesichtet hat, was ich euch gleich zeigen werde." Der Schulleiter setzte sich zurück in seinen alten Ledersessel und klickte ein paar Mal mit der Computermaus, bis auf seinem Bildschirm etwas erschien, was ihn nicken ließ. Langsam drehte er den Computer zu den Freunden.

In klaren Worten berichtete er, was sie auf dem Bildschirm gleich sehen würden. „Wir wissen, wer die kryptische Botschaft an die Schul-Wand geschrieben hat. Eine Überwachungskamera hat den Übeltäter aufgeschnappt. Es geschah während der ersten Unterrichtsstunde."

„Wer ist es?", fragte Fria aufgeregt.

„Seht selbst." Mit einem Klick auf die Leertaste startete der Schulleiter das Video.

Im von Neonstrahlern nur spärlich beleuchteten Schulflur war die besagte Wand zu erkennen. Eine schwarz gekleidete Gestalt kam auf sie zu und zog eine Sprühdose hervor.

Die Freunde sahen dabei zu, wie sie ihre Botschaft auf der Wand verewigte.

Lanis Blut ist euer Blut.

Fast hätte Fria angenommen, dass der Täter nun einfach wieder verschwand, doch in den letzten Sekunden konnte man ihn doch noch identifizieren.

Das Bild fing leicht an zu krispeln, als die Gestalt sich die schwarze Kapuze vom Kopf zog und sich zur Kamera umdrehte.

Fria konnte den Gesichtsausdruck nicht gut genug erkennen, um eindeutig bestimmen zu können, ob dem Blick zur Kamera ein Ausdruck von Schock folgte, doch sie erkannte die groben Züge des Gesichts und konnte die Person so identifizieren.

Jasper flüsterte zeitgleich die Antwort, wie sie in Frias Gedanken erschien. „Das ist Maleas Vater. Hans Verhaag."

Der Schulleiter schob den Bildschirm zurück an seinen Platz und nickte zufrieden. „Das haben die Polizeibeamten mir heute Morgen auch erklärt."

„Dann haben wir jetzt endlich die Bestätigung." Benno stieß geräuschvoll einen Schwall Luft aus, als hätte er sich gerade sehr angestrengt. „Maleas Vater lebt."

„Scheiße", war Jaspers Kommentar.

Fria lachte hysterisch. „Ja, scheiße. Er lebt und er tötet."

„Das wissen wir nicht mit Sicherheit", sagten sowohl Benno als auch Herr Wesp sofort.

Lilia spielte nervös an ihren Fingern herum. „Aber mit großer Wahrscheinlichkeit."

„Macht euch keine Gedanken. Die Polizei wird diesen Mann finden und verhaften. Ich habe euch das Video nicht gezeigt, damit ihr in Panik verfallt. Ich hatte gehofft, euch damit zu helfen", versuchte der Schulleiter die Stimmung rumzureißen.

Fria lächelte dankbar. „Das war sehr freundlich Herr Wesp."
„Ja", bestätigte Jasper und stand auf, um dem Mann erneut die Hand zu geben. „Wir danken Ihnen."

„Keine Ursache, aber bitte haltet die Information erst einmal geheim. Ich möchte nicht, dass es sich wie ein Gerücht in der ganzen Schule verbreitet. Früher oder später wird die Polizei es verkünden, aber vorher soll es ein Geheimnis bleiben. Ich habe euch nur eingeweiht, weil es Jaspers Vater für sinnvoll empfunden hat."
„Natürlich sagen wir es keinem. Vielen Dank."

Herr Wesp lächelte, als er der Reihe nach seinen Besuchern die Hände schüttelte und dann die Tür öffnete. „Dann seid ihr entlassen. Noch einen schönen Tag."

Die Tür fiel zu und die Freunde standen allein im Vorzimmer. Die Sekretärin schien gerade wohl jemand anderen zu belästigen.

Lilia hatte trotzdem Angst davor, gehört zu werden und flüsterte ihre Frage deshalb. „Denkt ihr wirklich, dass Maleas Vater seine beiden Kinder ermordet hat?"
„Er ist auf jeden Fall nicht mehr die Person, die uns beim Spielen Butterkekse gebracht hat. Irgendetwas hat ihn verändert, deshalb traue ich ihm den doppelten Mord auch zu." Jasper hielt seinen Freunden die Tür zum Schulflur auf. „Jetzt müssen wir nur herausfinden, was es war."

„Aber warum sollte er dann diese Botschaft anpinseln? Lanis Blut ist euer Blut? Es wirkt eher so, als sollten wir für Lanis Tod büßen."
„Ich verstehe es auch nicht", antwortete Fria. „Aber was Jasper sagt ist richtig. Wir müssen herausfinden, warum sich Hans Verhaag in einen Killer verwandelt hat."

„Und wir sollten nochmal über das Video nachdenken", gab Jasper zu bedenken. „Warum hat sich Hans am Ende zur Kamera gedreht und dabei noch die Kapuze abgenommen? Sowas macht man doch nicht, wenn man unentdeckt bleiben will."
„Stimmt." Lilia seufzte, „Ein weiteres Rätsel, was wir auf unsere unendlich lange Liste schreiben können." 

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt