Szene ③

74 18 13
                                    


„Also gut, wie findest du folgenden Quote?", fragte Lilia und räusperte sich. „Für mich zählte nie, irgendwann mal Reichtum zu erlangen, nur die Rache trieb mich an. All das Geld, die vielen Städte und Untertanen sind mir egal. Ich interessiere mich nur für diesen einen Tod. Für deinen Tod." Dieses Zitat stammte aus Lilias neuem Fantasy-Roman. Kurz vor dem Ende von Band Eins standen sich die Protagonistin und der Antagonist das erste Mal persönlich gegenüber und redeten miteinander, bevor gleich der epische Kampf folgen würde.

Lilia senkte ihr Blatt und sah auffordernd in den Raum. Als Antwort bekam sie nur ein Piepen von einem Instrument, an welches Malea angeschlossen war. Das Mädchen lag noch immer still in ihrem Krankenbett.

Lilia seufzte. „Ich weiß. Ausbaufähig. Das dachte ich mir."

Für sie war es besonders schwer, die Abwesenheit von Maleas fröhlicher Stimme zu verarbeiten. Normalerweise hätte sie nun gelacht und Lilia aufmunternd gestanden, dass ihre Worte alles andere als ausbaufähig waren. Malea war ein absoluter Fan von Lilias Geschichten gewesen, und die einzige Person, die sie je hatte lesen dürfen.

Lilia saß ein paar weitere Minuten still auf ihrem Sessel, bevor sie aufstand, und Maleas Hand drückte. Sie war wie immer eiskalt.

Es war nun schon zwei Monate her, seit Malea ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Ein paar Wanderer hatten sie mitten im Wald bewusstlos vorgefunden.

Diagnose: Koma, welches von einem Schlag auf den Hinterkopf und dem anschließenden Rollen über den schrägen Waldboden ausgelöst wurde.

Malea hatte keinem ihrer Freunde erzählt, was sie an diesem Tag im Wald zu suchen hatte. Spät abends hatte Dorothea, Maleas Mutter, bei Lilia angerufen, und gefragt, ob sie wüsste, wo ihre Tochter war. Doch bis zum Morgen blieb sie verschwunden. Erst, als sie am nächsten Tag von den Wanderern gefunden wurde, ermittelte die Polizei, dass sie die ganze Nacht im Wald gelegen hatte. Zum Glück war das Ganze im Sommer passiert, sonst hätte Lilias Freundin die Nacht wohl nicht überlebt.

Maleas Fundort befand sich in einem Teil der träumenden Wälder, den die Freunde selten besuchten. Sie waren vielleicht mal hindurchgewandert, doch sie kannten sich dort nicht aus.

Ihr Spazier- und früheres Spielgebiet befand sich in dem Teil, in dem ihr Baumhaus stand. Dort konnten sie mit verbundenen Augen durch den Wald gehen und würden gegen keinen einzigen Baum laufen.

Und doch war Malea an diesem Sommertag ins unbekannte Gebiet gegangen, in Begleitung einer Person, die ihr etwas auf den Hinterkopf geschlagen hatte und dann geflüchtet war.

Lilia wusste, dass Malea viel zu gutgläubig war. Man konnte die Liste der verdächtigen Personen nicht eindämmen, da sie mit jedem mitgegangen wäre. Auch mit völlig Fremden.

Normalerweise hatte Lilia Malea immer darum beneidet, dass sie immerzu freundlich und hilfsbereit war. Lilia hatte oft versucht, wie ihre Freundin zu werden, da sie selbst zu schüchtern und verschlossen war, um neue Leute kennenzulernen. Doch dass Malea dies nun vielleicht zum Verhängnis geworden war, hinterließ einen schlechten Beigeschmack.

„Die Besuchszeit ist gleich vorbei." Eine Krankenschwester kam in den kleinen Raum, um etwas an der Maschine zu verstellen, an welche Malea angeschlossen war. Sie lächelte Lilia fast schon wissend an, die noch immer die Hand ihrer Freundin umklammert hielt, und ging dann wieder hinaus.

Lilia seufzte. Sie wollte eigentlich nicht gehen. Auch wenn Malea nicht antworten konnte, stärkte sie ihre Anwesenheit trotzdem sehr.

„Ich vermisse dich", hauchte Lilia. Ihr war plötzlich zum Weinen zumute. Noch konnte ihr kein Arzt sagen, wann Malea aufwachte, oder ob sie es überhaupt je tun würde.

Doch sie durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Das war sie Malea schuldig. Immerhin hatte sich ihre Freundin schon so oft für sie eingesetzt und war immer für sie da gewesen, wenn es ihr schlecht ging. Malea war die Stärkere der beiden gewesen und nun musste Lilia für sie stark sein.

„Ich komme bald wieder!", versprach sie und drehte sich langsam um. Sie ging nach Hause und versuchte dort, zur Ruhe zu kommen. Doch noch immer verfolgte sie das Piepsen der vielen Geräte im Krankenhaus.

Malea war sie so auf eine gewisse verdrehte Art und Weise näher, aber die schrecklichen Geräusche erinnerten Lilia nicht an die guten Zeiten, in denen Malea lachend herumgelaufen war - im Gegenteil. Ihr wurde nur immer wieder der leblose Körper ihrer Freundin ins Gedächtnis gerufen.

So konnte es auf Dauer nicht weitergehen. Früher oder später musste sich die Situation verändern, damit Lilia nicht an der Ungewissheit zugrunde ging. Aber auch die Entscheidung könnte sie in einen Abgrund stürzen lassen und davor hatte sie Angst. Was war, wenn es schlecht ausging?

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt