Szene ②

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Jaspers Biologie-HÜ bekam ein paar Minuten später gar nicht mehr die Chance, der Schülerschaft schlechte Laune zu bereiten. Die Lehrerin war gerade dabei gewesen, die, doch sehr umfassend aussehenden, Aufgabenblätter auszuteilen, als sie vom Durchsageton der Schule unterbrochen wurde.

Durch die Lautsprecher hallte die Stimme des Schulleiters.

„Hallo liebe Schülerschaft. Ich muss euch leider darüber informieren, dass der Unterricht für heute ausfällt."

Die Schüler um Jasper herum begannen sofort zu jubeln, doch er blieb still. Jasper wollte noch hören, was der Grund für die Entscheidung des Schulleiters war. Leider kam keine Erklärung. Der Nachrichtenton ertönte erneut durch die Lautsprecher, dann verstummten sie.

Jaspers Lehrerin sah zu gleichen Teilen irritiert und ungläubig aus. Während alle um sie herum bereits aufstanden, bat sie um Ruhe. Erst, als sich auch die letzte Person wieder gesetzt hatte, erklärte sie: „Wir müssen gerade davon ausgehen, dass es sich um einen Scherz handelt. Ich werde kurz rüber in das Lehrerzimmer gehen und mich dort erkundigen. Herr Wesp kann doch nicht einfach ohne Begründung die Schule schließen." Mit einem sorgenvollen Ausdruck im Gesicht verließ die Lehrerin schlussendlich das Klassenzimmer.

Jasper blieb auf seinem Platz sitzen und lauschte den Gesprächen, die um ihn herum stattfanden. Viele Schüler waren sich unsicher, ob sie nun sofort gehen, oder doch auf die Rückkehr der Lehrerin warten sollten. Immerhin hatte der Schulleiter eine Ansage gemacht und die Chancen standen gut, dass diese endgültig war.

Gerade hatte sich die erste Schülerin dazu entschlossen zu gehen, da flog die Tür wieder auf. Es war Paula, das Mädchen, über das Jasper und Fria am Vortag gesprochen hatten. Sie hatte ihren Rucksack geschultert und war zur Tür gegangen, wo sie jetzt, wie zu einer Salzsäule erstarrt, stand. Jasper hatte keine Zeit, sich zu fragen, warum sie sich nicht mehr bewegte.

Paula trat einen Schritt zur Seite und ein Mann trat ein. Jasper erkannte ihn sofort, immerhin teilten sie das gleiche Gesicht. Jim hatte ihm sowohl die blonden Haare als auch die blauen Augen vererbt.

„Hallo Schülerschaft", begrüßte auch der Polizist die Klasse. Dabei hatte er einen Tonfall aufgelegt, der keine Widerworte dulden ließ. Jasper kannte diesen nur von Situationen, in welchen er sauer auf seinen Sohn gewesen war. „Wie ihr richtig gehört habt, wird der Unterricht für heute nach Hause verlegt. Die Lehrer:innen werden euch über eure E-Mail-Adresse mit Aufgaben versorgen. Vielen Dank und einen schönen Tag."

Als sich nun endgültig jeder erhob, ging auch Jasper nach vorne. Nur folgte er nicht seinen Mitschülern aus der Tür. Er blieb vor seinem Vater stehen.

„Was machst du hier Papa?" Die Polizeiuniform schüchterte ihn schon seit Jahren nicht mehr ein. Auch wenn sein Vater im Dienst war, hatte er immer ein offenes Ohr für seinen Sohn.

„Wir suchen das Mädchen", flüsterte er nun so leise, dass es nur Jasper hören konnte.

Dieser schaltete sofort. „Lani? Aber sie gilt doch noch nicht seit 24 Stunden als vermisst. Dürft ihr dann schon nach ihr suchen?"
„Bei Minderjährigen gelten andere Regeln. Außerdem erreichte uns heute eine anonyme Mail mit der Bitte, die Schule unter die Lupe zu nehmen. Deshalb müsst ihr alle nach Hause gehen." Jim sah seinem Sohn tief in die Augen. „Du hast ja einen Schlüssel Jasper. Mach dir einfach was zu Essen und genieß den freien Tag. Ich weiß noch nicht, wann ich nach Hause kommen werde. Es könnte spät werden." 

„Kein Problem." Jasper lächelte seinen Vater an. Er wollte ihm weißmachen, dass es ihm gut ging. Wobei das nicht wirklich der Fall war. Zu viele Probleme waren in den letzten Tagen entstanden. „Wir sehen uns heute Abend", versprach er seinem Vater.

Dann verließ Jasper den Klassenraum. Auf dem Weg aus der Schule traf er auf Benno. Diesem berichtete er, was sein Vater gesagt hatte. Er nahm nicht an, dass die Informationen privat waren, immerhin lag der Grund für die Schulschließung auf der Hand. Die Polizei war vor Ort und vor einem Tag war ein Kind verschwunden. Da brauchte es keinen Sherlock, um den Fall zu lösen.

„Krass! Ich hätte nicht gedacht, dass die Polizei so schnell ermittelt. Aber dein Vater hat recht. Lani wird nicht einfach so auftauchen. Sie ist verschwunden und da hilft es auch nicht, wenn sie noch einen Tag abwarten", stimmte Benno zu.

„Korrekt. Na, dann sehen wir uns wohl morgen wieder." Jasper hob die Hand zum Abschied. Benno schlug ein. „Stimmt. Jetzt müssen wir wohl erst einmal unsere E-Mails checken und hoffen, dass die Lehrer uns vergessen haben."

Jasper lachte. „Wenn das passiert, wird sicher irgendein Streber nachfragen, wo die Aufgaben bleiben." 

Benno seufzte. „Wie wahr. Also wird das wohl nichts aus meinem freien Tag. Oh Mann. Bitte versprich mir, dass nicht du dieser Streber sein wirst."

Jasper prustete los. „Bitte was? Nur, weil ich freiwillig lerne, heißt das nicht, dass ich die ganze Klasse da mit reinziehen werde. Wenn mir die Lehrer nichts schicken, kann ich selbst in den Büchern lesen und Aufgaben machen. Keine Sorge, ich werde niemanden anschreiben und fragen, ob er Benno Relotius auch ein paar Übungen schicken könnte."

Benno tat so, als würde er sich Schweiß von der Stirn wischen. „Puh, da bin ich aber beruhigt."

„Schön. Und ich werde mir zuhause erst einmal ein ausgewogenes Frühstück gönnen. Das hätte ich in der Schule nicht bekommen. Vielleicht haben wir sogar noch Paprika da." Jasper leckte sich über die Lippen. Es gab für ihn nichts Besseres als frisches, knackiges Gemüse.

„Viel Spaß. Ich glaube, wenn meine Eltern sehen, dass ich zuhause bin, werde ich dem Putzpersonal beim Beziehen der Betten helfen müssen. Also keine Zeit für Frühstück."

Das Hotel von Bennos Eltern war das schönste in der Gegend und ziemlich oft ausgebucht. Eigentlich herrschte immer Personalmangel, weswegen Benno zu allen möglichen Jobs verdonnert wurde.

„Kannst du mir davon bitte ein Video schicken? Benno der Putzmann. Das würde mir echt den Tag versüßen."
„Das kannst du knicken." Benno versuchte, beleidigt zu wirken, doch er schaffte es nicht, und so breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

Das verblasste aber genauso schnell wieder, als er den Arm hob und auf die Uhr sah.

„Oh je! Ich muss jetzt wirklich gehen. Bis morgen!"
Jasper sah seinem Freund nach, der nach seiner Verabschiedung sofort losgerannt war. Warum musste er denn jetzt so schnell nach Hause? Eigentlich wäre er doch bis um vier in der Schule gewesen. „Bis morgen", sagte Jasper lachend und ein wenig verwirrt.  

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt