Szene ①

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Jasper schaffte es noch am selben Abend, sich dazu durchzuringen, den Freunden von der Geschichte der Waffe zu erzählen. Also hatten sie sich kurzfristig über Discord verabredet. Jasper lag in seinem Bett, eingekuschelt und mit ordentlich Verpflegung ausgestattet. Er erzählte erst von dem Fund der Pistolenkugel und der Verdächtigung seines Vaters und dann von der Vorgeschichte mit Hans Verhaag.

Fria gab immer wieder geschockte Rufe von sich und hörte auch nach Jaspers Erzählung nicht damit auf, Fragen zu stellen. Ihr schwarzhaariger Kopf hüpfte aufgeregt auf und ab, während sie fragte: „Kann man jetzt endlich beweisen, dass Herr Verhaag Lani getötet hat?" 

„Sobald mein Vater seine Unterlagen findet, ist die Sache eigentlich eindeutig."

„Und Malea? Haben sie dazu schon etwas rausgefunden?" Fria sah gedankenverloren auf eine Stelle hinter ihrem Computer. Die Freunde kannten ihr Zimmer und wussten genau, welche Bilder dort hingen. Es waren die Portraits, die Malea vor einiger Zeit für sie geschossen hatte. Sie waren Frias Profilbilder auf jedem ihrer Social Media Accounts.

Fria in einem Feld Sonnenblumen, Fria in einem traumhaften Kleid im Bach und Fria mit all ihren Kameras, die wie ein Rahmen um sie verteilt worden waren.

„Bis jetzt kann man die beiden Fälle leider noch nicht unter einen Hut bringen. Es fehlt der Zusammenhang."
„Den muss es aber geben", schaltete sich Benno ein.

„Es gibt ihn auch." Lilia räusperte sich, damit sie die Aufmerksamkeit aller ihrer Freunde erhielt. Wie eine echte Detektivin zählte sie die Fakten auf. „An welchem Ort sind sowohl Lani als auch Malea verschwunden? Richtig, im Krankenhaus. Und von wem darf man im Krankenhaus besucht werden? In Maleas Fall hat sich Dorothea dafür eingesetzt, dass keiner rein kommt außer uns, ihr und ..."

„Anderen Familienmitgliedern", antwortete Benno perplex. „Du hast Recht! Hans konnte sich als ihr Vater ausweisen und wurde deshalb reingelassen."

Fria quietschte begeistert. „Und da ihr Zimmer im Erdgeschoss lag, konnte er sie schnell durch den Park entführen."

„Ja." Lilia nickte. „Das habe ich mir auch gedacht. Und deshalb werde ich morgen ins Krankenhaus gehen und nachfragen wer gerade Schicht an der Rezeption hatte. Die Person wird mir hoffentlich weiterhelfen."

Jasper räusperte sich schüchtern. „Ehm Leute, tut mir echt leid, wenn ich euch hier unterbreche, aber das hat die Polizei bereits versucht. Die sind ja auch nicht blöd. Merkwürdigerweise steht im Dienstplan genau in dem Zeitfenster der Entführung kein Name."  

„Was?" Frias Gesicht verzog sich zu einer merkwürdigen Fratze. 

„Das ist nicht dein Ernst."

„Doch, leider. Mein Vater hat es mir vor ein paar Tagen erzählt."
„Warum hast du es uns nicht gesagt?"

„Ich dachte, ihr wollt nur Informationen, die uns weiterhelfen können." Fria und Jasper funkelten sich durch die Kamera an.

Bevor ein Streit ausbrechen konnte, fragte Lilia schnell: „Seid ihr einverstanden, dass ich ja doch noch nochmal im Krankenhaus vorbeischaue? Vielleicht finde ich trotzdem etwas heraus."

Benno freute sich über den schnellen Themenwechsel, er hatte auch schon eine Auseinandersetzung befürchtet. Fria und Jasper konnten echt stur sein, wenn es darum ging, seine Meinung zu verteidigen. Erleichtert antwortete er: „Das wäre toll Lil."

Jasper zuckte mit den Schultern. „Auch wenn ich denke, dass die Polizei gründlich bei ihren Untersuchungen vorgegangen ist, werde ich dich nicht daran hindern." Fria rümpfte die Nase.

„Also gut. Lilia geht ins Krankenhaus und Jasper kümmert sich darum, uns das nächste Mal ALLE Informationen durchzugeben", stichelte die junge Filmemacherin. „Sonst noch was?"

„Wenn du das so sagst, muss ich euch noch was beichten." Jasper knetete nervös an seinen Händen herum. Die folgende Information hatte er gekonnt für mehrere Wochen verschwiegen, da er nicht gewusst hatte, wie er mit ihr umgehen sollte. Doch nun, da er die Zusammenhänge kannte, verstand er ihren Sinn."

„Ja?"

„Fria, du erinnerst dich sicher an deinen Spaziergang zum Baumhaus vor ein paar Wochen, bei dem du mich in der Nähe des Bienenstocks gefunden hast."

Fria lachte. „Aha! Wusste ich's doch, dass da etwas faul war."

„Du willst uns jetzt hoffentlich nicht erzählen, dass du absichtlich kleine Insekten ärgerst, oder Jasper?" Benno war sich nicht sicher, in welche Richtung Jaspers Erzählung gehen würde. Er könnte alles Mögliche beim Bienenstock gemacht haben.

„Ich war nicht zufällig dort. Der Ort war mein Treffpunkt."

„Mit wem?", flüsterte Lilia kaum hörbar. Sie war zu aufgeregt, um laut zu sprechen.

„Mit Lani."

„Was?" Die Freunde wollten nicht glauben, was sie da gehört hatten. „Du hattest Kontakt zu Lani?"

„Nicht richtig. Sie hat mir am Vortag eine Botschaft zukommen lassen in der stand, dass wir uns morgen um 19 Uhr am Bienenstock im Wald treffen. Doch sie ist nicht aufgetaucht."

„Wahrscheinlich wurde sie aufgehalten. Ein paar Stunden später hat ihr Vater sie ermordet. Sicher hat er sie vorher gefangen gehalten."

„Wahrscheinlich." Jasper überlegte kurz. „Ich war mir lange unsicher, warum sie nur mit mir sprechen wollte und nicht mit euch allen. Vielleicht, weil ich auf sie aufgepasst habe, nachdem wir sie im Wald gefunden hatten." 

„Doch jetzt denkst du sie wollte dir von der Bekanntschaft eurer Väter erzählen?", kombinierte Lilia.

Jasper nickte. „Ja."

„Das ergibt Sinn. Oh Mann Jasper! Ich hatte wirklich Angst, nachdem ich dich gefunden hatte. Ich dachte, du wärst verrückt geworden." Fria ließ sich erleichtert in ihren Stuhl zurückfallen. 

„Dabei hast du versucht, das Richtige zu tun." Sie überlegte kurz und sagte dann: „Wobei du uns von dem Brief hättest erzählen können."

„Ich wollte Lanis Vertrauen nicht missbrauchen", gestand er. „Sie hatte mir vertraulich geschrieben. Da konnte ich nicht einfach zu euch rennen und sie verpetzen."

„Aber Lani kennt uns doch. Sie hätte es sicher verstanden."

„Dann hätte sie euch auch geschrieben. Lani wollte mich allein sehen. Fria, guck nicht so. Du hättest auch so gehandelt wie ich."

Die junge Frau formte mit ihrem Mund schon eine Antwort, doch Lilia reagierte sofort, damit Fria nicht dazu kam, etwas Falsches zu sagen. „Verständlich."

Sie atmete beim Sprechen erleichtert aus. Jetzt war die Situation gerettet.

Doch irgendwann würde ein Streit zwischen Fria und Jasper mal eskalieren...

Die beiden waren in der letzten Zeit so angespannt, dass sie es nicht verstanden, wenn man ihre Meinung nicht teilte. Vielleicht sollten sie da mal gemeinsam drüber reden. Wenn sie früher zu fünft klärende Gespräche geführt hatten, war danach auch alles besser gewesen.

Oder sie sollten den Vulkan einmal ausbrechen lassen.

Fria und Jasper alle Wut aneinander auslassen lassen, damit sie danach hoffentlich für lange Zeit erloschen war.

Fria war jetzt sichtlich genervt davon, dass ihr der Wind aus den Segeln genommen worden war. Ihr immer noch stechender Blick sprach Bände.

„Können wir morgen weiter darüber reden? Ich werde morgen Nachmittag erst einmal ins Krankenhaus gehen", sagte Lilia deshalb. „Vielleicht habt ihr euch bis dahin beruhigt."

Benno war ebenfalls erleichtert, dem Streit aus dem Weg gegangen zu sein. „Gute Idee Lilia. Ich wünsche dir viel Glück." 

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt