Szene ①

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Es hatte keine 24 Stunden gedauert, bis Fria mit Kristina auf dem Kriegsfuß stand. Nachdem sie gestern nach ihrem Besuch im Stall nach Hause gekommen war, hatte sie sich sofort die Aufnahmen der Pferde angeschaut. Mala sah natürlich umwerfend aus, wie sie elegant die Koppel entlangritt, doch bei fast jedem Video wurde die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund gelenkt. Dort galoppierte ein weißes Pferd mit einem Mädchen auf dem Rücken. 

„Ich könnte kotzen!", motzte Fria an diesem Morgen. Die Schule war wieder gestartet und sie hatte sich mit ihren Freunden für die erste Pause in einem Klassenraum verschanzt.

„Jetzt erzähl nochmal langsam, was genau vorgefallen ist", verlangte Benno. Er saß auf einem der Tische und sah seiner Freundin dabei zu, wie sie wütend hin und her lief. Dabei aß er einen roten Apfel, den Lilia ihm mitgebracht hatte. Endlich waren die Bäume in ihrem Garten erntebereit.

Fria seufzte. „Also schön. Dann nochmal von vorne. Ich wollte gestern ein paar Szenen mit Tilo und Mala drehen, da kam dieses Mädchen, und jetzt ist sie im Hintergrund in jeder Einstellung zu sehen."

„Kannst du sie nicht rausschneiden?", schlug Lilia vor.

Jasper ergänzte: „Oder ich verpixle sie."

„Nett von euch, aber das habe ich schon versucht. Dann sieht man, dass die Aufnahmen bearbeitet wurden. Und ich will meinen Zuschauern keine Second-Hand-Schnipsel liefern. Dann gehe ich lieber nochmal zu Tilo."

„Der freut sich sicher", säuselte Benno vielsagend. Frias Wut war in der Sekunde verflogen, in welcher sie den Namen des jungen Reiters hörte. Nun sah sie Benno irritiert an.

„Was soll das denn heißen?", fragte Fria spitz.

„Nichts." Benno lächelte verschwörerisch. „Ich glaube nur, dass du ein wenig eifersüchtig auf diese Kristina bist. Sie ist erst ganz kurz auf dem Hof und schon super gut mit Tilo befreundet."

„Das stimmt nicht!", protestierte Fria sofort. Benno hatte ja keine Ahnung! Ihr wiederholter Besuch würde bloß hobbytechnische Gründe haben. Das hatte rein gar nichts mit Tilo zu tun.

Lilia lachte. „Du kannst es nicht abstreiten. Wir wissen alle Bescheid. Denkst du, wenn du dir einen Shippingnamen für Benno ausdenkst, gibt es keinen für dich?"

„Jetzt bin ich aber gespannt." Fria verschränkte die Hände vor der Brust. 

„#Frilo", verkündete Benno stolz.

„Bevor du antwortest, ich finde es genauso peinlich wie du", schnitt Jasper Fria das Wort ab, bevor sie etwas erwidern konnte. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und sah relativ gelangweilt aus. Ihn schien das Thema nicht sonderlich zu interessieren. Hoffentlich kam nicht gleich wieder jemand auf die Idee, ihn zu fragen, ob es in seinem Leben nicht jemanden gab.

Denn dann müsste er verneinen und sich in seinem Kopf wieder mit der Frage auseinandersetzten, ob er überhaupt mit jemandem zusammenkommen wollte.

Fria grinste. „Danke Jasper. Es ist schön, dass wenigstens einer meiner Freunde eine erwachsene Einstellung zu dem Thema hat."
„Du bist doch selbst nicht besser", verteidigte sich Benno. „Darf ich dich an #Sunno erinnern?"

Fria schnaubte. „Nein. Das ist vorbei. Fortan finde ich die Namen auch peinlich."

„Ach? Jetzt plötzlich?"

„Stopp! Bevor ihr gleich beide dem jeweils anderen beweisen wollt, wie erwachsen ihr seid, und dabei völlig eskaliert, solltet ihr lieber das mit euren Beziehungen in den Griff bekommen. Wir sollten uns vielleicht besser über einfachere Dinge unterhalten", schlug Lilia vor. „Wie wäre es mit Serien?"

Oder ..." sagte Fria und ließ eine kleine Kunstpause. „Ich berichte euch von etwas, was ich gestern rausgefunden habe."

„Und das wäre?"

„Ihr erinnert euch sicher noch daran, als ich vor ein paar Tagen auf dem Reiterhof war und euch von der miesen Laune der Pferde berichtet habe."

Jasper grinste. „Ja. Da warst du genauso schlecht drauf wie jetzt."

„Schön, dass dich das erfreut Jasper." Fria verdrehte die Augen. „Wie auch immer: Tilo hat herausgefunden, was los war."
„Und?", fragte Lilia gespannt.

„Sie haben einen Laptop mit Lautsprechern im Wald gefunden, die auf eine so hohe Frequenz eingestellt waren, dass wir sie nicht mehr hören konnten. Doch die Pferde erschreckte der hohe Ton und sie versuchten zu flüchten."

Lilia setzte sich ein Stück gerader auf. „Wirklich? Das ist merkwürdig."

Fria nickte. „Ich habe die ganze Nacht nach einer Lösung gesucht, aber ich habe keine gefunden. Warum sollte man die Tiere zum Spaß verschrecken? Und warum lässt man danach die Beweisstücke zurück? Die Tat ergibt für mich einfach keinen Sinn."

„Ich verstehe es auch nicht", sagte Benno grübelnd. „Denkt ihr, es steht im Zusammenhang zu ... zu Lani?"

Jasper schüttelte den Kopf. „Das würde ich nicht gleich annehmen. Die Geschehnisse wirken zu unabhängig voneinander. Warum sollte jemand, der ein Mädchen tötet, auch Pferde quälen."
„Vielleicht, weil man eine sehr schlechte Person ist, und es mag, alles und jeden zu schikanieren?", schlug Fria vor.

Jasper lachte. „Denkst du immer noch, ein Massenmörder kommt dich bald heimsuchen?"

„Hey, das ist nicht witzig!" 

„Stimmt, tut mir leid. Aber Fria, du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Die Alarmanlage, die ich bei dir zu Hause installiert habe, ist top", beruhigte sie Jasper.

„Und dafür bin ich dir auch sehr dankbar. Trotzdem sollten wir die Fälle nicht gleich voneinander trennen. Ich bin mir sicher. Kennen wir ein Geheimnis, kennen wir alle."

„Schön gesagt", stimmte Benno zu. „Aber jetzt sollten wir vielleicht wirklich lieber das Thema wechseln. Gleich geht Deutsch los und ich bin noch nicht in der richtigen Stimmung für Faust."

„Was ist denn bitte die richtige Stimmung für Faust? Soll ich reimend reden, wie die Leute aus dem Buch?" Jasper streckte seine Hände aus und gestikulierte. „Wertester Benno, heute fällt die Schule nicht aus, Menno! Der Unterricht wird dich erleuchten, wie Regen deine Haare tut anfeuchten." Einige Sekunden sahen alle Jasper stumm an. Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.

Jasper räusperte sich erneut: „Der Regen ist übrigens eine Metapher für meine Traurigkeit, die ich jetzt empfinde, da ich in den Deutschunterricht muss." 

„Super", kicherte Fria. „Da Benno nun in Faust-Stimmung ist, werde ich mich auf den Weg in meinen Raum begeben."
Jasper erhob sich ebenfalls. „Ich komme mit."

„Super. Dann bis nachher Leute!"

Die Geheimnisse der träumenden Wälder (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt