Evan
Die leise, angenehme Melodie drang in meine Ohren, als die flinken, schlanken Finger meiner kleinen Cousine über die Tasten des Klaviers flogen. Es war ein einziger Rausch. Diese Melodie. Ein betörender Rausch der Gefühle. Ein intensiver, wilder Strudel, geprägt von Sehnsucht und Abschied.
Ich beobachtete scharf ihre Bewegungen. Die Finger flogen von Taste zu Taste. Sie fabrizierten etwas Unglaubliches. Etwas Reines. ,,Ich liebe es dir zuzusehen Cousinchen", flüsterte ich und stellte mein Glas Cola auf dem geschlossenen Flügel ab. ,,Ich weiß. Deswegen spiele ich ja so gerne in deiner Anwesenheit. Durch die Musik wird die Zornesfalte auf deinem Gesicht fast unsichtbar." Ich lachte tonlos auf. Lou signalisierte mit ihrem himmelblauen Augen, dass ich mich neben sie setzen sollte. Was ich dann auch tat.
Wir waren auf einer kleinen Firmenfeier der McBrowne Build Company. ,,Schon was von ihr gehört?", erkundigte sie sich vorsichtig, als ich auf mein Handy sah. ,,Nope." Rose hatte ihre Aussage ernst gemacht. ,,Evan, ich weiß, dass Dad das nicht gerne hört, aber..." Sie machte eine Pause. Sie lehnte sich zu mir und senkte ihre Stimme eine ganze Oktave. ,,Ich glaube dir, dass du der Vater bist. So wie ich sie kennengelernt habe... Sie würde dich niemals betrügen. Rose liebt dich. Ihr seit füreinander geschaffen." Ich stieß einen leisen Seufzer aus. ,,Cousinchen, manchmal reicht die Liebe nicht aus. Es mag sein, dass es so wirkt, als wären wir füreinander geschaffen, aber es ist nicht so." ,,Das stimmt nicht. Ihr liebt euch, warum rauft ihr euch nicht einfach zusammen?" ,,Lou, es ist nicht so einfach, wie es klingt. Es gibt Menschen, die liebt man abgöttisch, doch wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann reicht Liebe allein nicht aus um eine Beziehung von langfristiger Dauer aufzubauen. Ich konzentriere mich derzeit lieber auf das Sorgerecht für mein Kind, anstatt einer Frau hinterherzurennen, die mich mit Füßen tritt." ,,Klagst du gegen sie?" Lou war neugierig. ,,Nein. Nur im schlimmsten Fall. Ich möchte eigentlich nicht gegen Rose klagen. Ich möchte es lieber außergerichtlich klären."
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,,Wie geht es dir?" Cassy kraulte meinen Kater hinter den Ohren, weswegen Kai zufrieden schnurrte. ,,Ganz okay." ,,Sicher?" Sie hob skeptisch eine Augenbraue. Seufzend nahm ich einen Schluck aus meiner Red Bull Dose. ,,Sicher. In zwei Wochen beginnt meine Therapie. Ab da geht es nur noch bergauf." Meine Ex Freundin nickte abwesend. ,,Schön für dich." Sie wirkte nicht nur abwesend. Sondern auch etwas niedergeschlagen. ,,Und ist bei dir alles okay?", fragte ich frei raus.
Cassidy fuhr sich durch die blonden, voluminösen Haare. ,,Es..." Sie räusperte sich, leckte sich nervös über die Unterlippe, ehe sie fort fuhr. ,,Es ist einfach eine komische Vorstellung. Wir zwei sind getrennt, du wirst Vater,... Ich weiß auch nicht..." Sie hob den Kopf. Ein nostalgischer Blick lag in ihren blauen Augen. ,,Warum muss sich alles ändern? Warum können wir nicht einfach dort weitermachen, wo wir aufgehört haben?"
Mein Kopf drehte sich. Mein Sichtfeld verschwamm leicht. Pure Euphorie machte sich in mir breit. Sie kam aus meinen inneren Organen. Alles lachte, kicherte, gaggerte. Die Leber, die den vielen Alkohol verzweifelt versuchte zu verarbeiten, meine Lungen, die bei jedem Zug der Zigarette, leise kicherten. Hörbar für jeden. Und mein Herz, das vor Glückshormonen überquoll.
,,Sex, Money, Feelings, Dieeeee."
Ihre Stimme drang über mein Ohr ins Gehirn. Es blitzten Bilder in mein Gehirn. An frühere, einfachere Zeiten. Nächte, an denen wir so zugedröhnt waren, sodass wir rückwärts mit Bobbycars in den McDrive fuhren, eine verkackte Coke kauften, nur um dann wild, öffentlich auf dem Parkplatz rumzumachen. Mir ihr habe ich nie solche Erinnerungen geschmiedet. Die Gefühle zu ihr gingen tiefer. Unter die Haut. Sie brachten die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Breakdance Tanzen. Erinnerungen schmiedeten wir nur in Form von unvergesslichen Sex in einem unnötig großen Bett, Netflix & Chill Abenden auf ihrer Couch und in aufbrausenden, wortgewandten, hasserfüllten Streits, mit zerberstenden Gefühlen, die sich für immer in mein Gehirn eingebrannt haben. Das Gefühl, wenn du und alles, was du je für wahrhaftig gehalten hast, wie ein Spiegel aus Glas in tausend Stücke zerspringt. Stücke, die du nie wieder so zusammensetzen kannst, wie sie einst waren. Selbst mit dem besten Kleber.
Ich blickte Cassidy in die Augen. Ihre Pupillen waren geweitet. Ihre Augen gerötet. ,,Du bist so abgefuckt", grinste sie high und kletterte stürmisch auf meinen Schoß. Sie rieb sich an mir. ,,Du bist abgefuckter." Sie gaggerte wie ein Huhn. ,,Baby, du und ich, gegen den Rest der Welt. Keine Regeln, keine Gebote, nur..." ,,...nur tiefe Gefühle und geile Körper", beendete ich grinsend den Satz. Warum soll ich jemanden hinterher trauern, der sich am anderen Ende des Planeten befindet und einen Scheiß auf mich gibt? Ich brauche mir nichts vormachen, ich werde nie wieder mit Rose Peterson schlafen. Warum sollte ich dann meine Beziehung zu Cassidy kaputt machen?
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,,Baby mach langsamer." Ich strich durch ihre verschwitzten Haare. ,,Lass sie Bruder. Lass sie. Yeeaaah!" Die anderen klatschten freudig, als Cassy ihre zweite Line innerhalb von wenigen Stunden zog. ,,Endlich ist unser Traumpaar wieder zusammen! Ohne euch als Paar existiert diese Freundesgruppe nicht!", grollte Lukas betrunken. ,,Da sprichst du ein wahres Wort!" Cassy lehnte sich über meinen Schoß. Zog eine Vodka Flasche zu sich und nahm einen großen Schluck. Der Beat wummerte durch den Raum. Er drang durch die Wände und beeinflusste Aiden und seine neuste Flamme im Nebenzimmer bestimmt bei ihren Bewegungen. Und ja, wir gehen, was Sex angeht, sehr offen um. Allen anderen auf der Party war offensichtlich, dass ich mich noch vor einer Viertelstunde zwischen Cassys Beinen befunden hatte. ,,Ich geh eine rauchen. Komm gleich wieder!" Ich schnappte meine Kippen und Feuer. Ich brauchte dringend frische Luft, bevor ich mir noch mehr Koks gönne.
Und das sah ich ihn. Wie er mit einer Erstsemesterin redete. Ausgelassen, die Augen die ganze Zeit auf ihre Titten gerichtet. Wenn er es bei meiner Rose auch so getan hat, dann... Dann soll er zu Gott flehen, dass dieser ihn so schnell wie möglich zu sich holt!
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,,Man darf hier nicht rauchen", brummte der Polizist zwei Stunden später gereizt. ,,Hatte ich auch nicht vor. Ich wollte die Schachtel nur in meine Jacke stecken", nuschelte ich. Gähnend ließ ich die Marlboro Schachtel in meine Lederjackentasche gleiten. Bei noch so jeder kleinsten Bewegungen schmerzten meine Fingerknöchel. Blut klebte in meinen Händen. Meins und Jay's. ,,Wollen Sie die Tat bestreiten?" Der dicke Mann sah mich an. Stumm schüttelte ich den Kopf. ,,Wenigstens etwas...", flüsterte der Mann zu sich selbst. ,,Mr. Turner hat bereits Anzeige wegen schwerer Körperverletzung gegen Sie erhoben, Mr. McBrowne. Sagen Sie mir kurz, Ihr Alter?" ,,Ich bin doch bereits aktenkundig, da steht, wann ich geboren bin", murrte ich angepisst. Verschränkte die Arme vor der Brust. Warum nimmt selbst die Polizei einen Vergewaltiger wie Jay in Schutz? Eigentlich sollten sie mir danken, dass er die nächsten Wochen erstmal im Krankenhaus verbingen muss und keine Frau mehr anfassen kann. Stattdessen werde ich wie ein Schwerverbrecher behandelt und Jay ist das ach so arme Opfer. Dabei hat er es verdient eine gebrochene Nase, einen gebrochenen Arm und zwei verstauchte Rippen zu haben!
,,Beantworten Sie doch einfach bitte meine Frage." ,,Ich bin am 25. Dezember 1998 geboren. In drei Monaten werde ich 22, so lange bis dahin bin ich also 21." Die Polizist gab nur ein anwesenden Brummen von sich, während er die Infos auf einen Zettel schrieb. Pff. ,,Warum haben Sie das getan?" ,,Weil dieser Typ meine Ex Freundin vergewaltigt hat." Plötzlich sah er auf. Seine Augen verengten sich ein wenig. ,,Mr. Turner soll Ihrer Meinung nach ein Vergewaltiger sein?" ,,Ja. Meine Ex Freundin kann Ihnen das gerne bestätigen. Oder nehmen Sie einfach seine DNA und vergleichen Sie mit den Spuren, die am Körper meiner Ex gefunden wurden. Sie werden sehen, dass ist genau diesselbe DNA." ,,Wie heißt Ihre Ex Freundin?" ,,Rose Elizabeth Peterson. Derzeit lebt sie in London." Der fülligere Mann musterte mich scharf, eindringlich. Er schien zu überlegen , ob ich die Wahrheit sagte oder nicht.
Tja, er muss nur Rose anrufen, dann weiß er es. Ich bin mal gespannt, wie sie reagieren wird, wenn sie mitbekommt, dass Jay nun im Krankenhaus liegt. Er ihr wenigstens für die nächste Zeit nicht wehtun kann. Auch wenn wir getrennt sind, es tut mir jeden Tag weh, wenn ich darüber nachdenke, wie sie zu etwas gezwungen wurde, was sie nicht tun wollte. Nein, sie wurde nicht gezwungen. Sie wurde überwältigt. Sie konnte sich gar nicht mehr wehren. Sie konnte nichts dagegen unternehmen. Sich nicht bewegen, nicht um Hilfe schreien. Nichts. Sie musste es stumm über sich ergehen lassen. Ich kann und will mir das nicht vorstellen, gegen meinen Willen angefasst werden. Ich weiß, es ist nicht zu vergleichen, doch mir hat schon alleine der aufgedrängte Kuss von Cassidy auf der Party gereicht, auf der ich zugesoffen war und mich nicht wehren konnte. Außerdem will ich mir auch nicht vorstellen, was Rose für Schmerzen gehabt haben muss. Wie sehr sie auch psychisch gelitten hat. Naja, sie leidet noch heute darunter und ich denke, dass wird sie nie in Ruhe lassen. Sie wird immer daran denken müssen. Ob sie will oder nicht.
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Faithful secrets
Teen FictionBand 3 Rose flüchtete nach London. Nachdem, was Evan ihr angetan hatte, musste sie weg von Amerika. Weg von ihm. Für sie stand fest, dass sie das Baby in ihrem Bauch, alleine großziehen würde. Denn sie wollte nie wieder etwas von Evan McBrowne hören...