Abschiedsbrief & Tränen

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Rose

Ich betrat die leere Wohnung. Nicht nur er war fort. Sondern auch das Leben mit ihm in dieser großen Wohnung. Selbst sein treuer, pelziger Begleiter Kai war fort. Ich schlurfte in die Küche. Kramte eine Flasche Wein aus dem untersten Fach der Küche. Alles war leer. Nicht nur diese Wohnung, mein Leben, nein, auch mein Herz. Es war leer, kalt, das Feuer, die Leidenschaft darin war erloschen. Ich kann mir kein Leben ohne Evan McBrowne vorstellen. Ich kann nicht glauben, es geht einfach nicht in meinen Kopf rein, er ist wirklich gegangen. Warum? Ich weiß es nicht. Er ist einfach Hals über Kopf abgehauen. Hat mich wie ein Trottel hoffungsvoll vor dem Altar in einer Kirche voller Menschen sitzen gelassen. Mit nichts als einem Haufen an Problemen und einem gebrochenen Herzen. Er hat schon viel Scheiße gebaut und mich verletzt, doch das her? Es war der Höhepunkt. Und dennoch auch das Letzte. Mit dieser schmerzenden Tat, mit seiner gut überlegten Handlung, da hat er einen deutlichen, sichtbaren Schlussstrich unter uns gezogen. Das Kapitel Evan und Rose ist vorüber. Eigentlich könnte ich dieses Buch nun schließen, doch genau dann sah etwas. Kurz bevor ich meinen Frust in Alkohol, Nutella, brennenden Tränen und schnulzigen Liebesfilmen ertränken konnte. Denn mir fiel ein Umschlag auf. Direkt unter dem schlafenden Cookie.

Ich hob ihn auf. Mit gerader, gut leserlicher Schrift war mein Name geschrieben. Evans Schrift. Mit zitternden Fingern öffnete ich diesen. Faltete den langen Brief auf, setzte mich wieder auf's Sofa und begann zu lesen.

,,Meine geliebte Rose,

ich weiß. Kitschiger Anfang für einen Abschiedbrief. Passt nicht zu mir. Nicht zum aggressiven, alkoholabhängigen Evan. Nein, es passt nur zum Poeten Evan, den du so sehr bewunderst. Du willst sicherlich lesen, warum ich verschwunden bin, was mein Plan hinter all dem ist, nicht wahr?
Tja, dann muss ich dich enttäuschen. Zu einfach mache ich es dir nicht, du kennst mich mein Engelchen. Statt dir zu verraten, warum ich dich verlassen musste, werde ich über Physik sprechen.
In der 10. Klasse lernte ich in Physik, dass es verschieden große Unendlichkeiten gibt.
Ich verstand damals noch nicht, was das bedeutet. Ich wusste nicht, wie sich etwas unendlich anfühlt.
Doch durch dich?
Oh Rose, durch dich habe ich herausgefunden, wie sich anfühlt. Jemanden unendlich zu lieben. Jede Sekunde, die ich mich dir verbringen durfte, war unendlich. Ich verlor mich in deiner hellen, weichen Stimme, in deinen moosgrünen Augen mit den hellbraunen Sprenkeln und deinen betäubenden Berührungen auf meiner tätowierten Haut. Denn das ist, was du mir angetan hast. Du hast mich betäubt. Du hast meine Probleme betäubt. Du hast für eine kleine Unendlichkeit lang meine Probleme weniger schwerwiegend gemacht. Für eine kleine Unendlichkeit lang hast du mich zu einem besseren Menschen gemacht. Du hast mir beigebracht, wie man sich einem anderen Menschen anvertraut. Egal, wie schwer es vielleicht ist. Du Rose, du bist die erste Frau in meinem Leben, die ich wirklich geliebt habe. Als sie bei dir Krebs diagnostiziert haben, habe ich still im Klo geweint Rose. Ich wollte stark für dich sein. Ich wollte einmal im Leben deine Stütze sein. Und nicht du meine.
Nun sitze ich hier? In meinem kalten leeren Auto, in dem wir das erste Mal miteinander geschlafen haben und schreibe diesen Brief. Während du da draußen so hoffungsvoll auf mich wartest. Doch bald, bald wirst du herausfinden, dass ich nie wieder zurückkommen werde.
Ich kann es einfach nicht. Ich sagte dir einst, ich gehe jeden Schritt mit dir, so weit es mir möglich ist. Ich weiß, ich bin ein Schisser... Es tut mir leid, aber ich kann es nicht mehr. Ich kann nicht weiter zusehen, wie du Tag für Tag in meinen Armen schwächer wirst Rose. Ich kann nicht mitansehen, wie du stirbst. Denn das ist, was du tust. Ich will nicht in wenigen Monaten an deinem Grab, neben dem unserer Tochter stehen und einen Rosenkranz niederlegen. Ich kann das nicht. Es geht einfach nicht. Denn Rose, wenn du in meinen Armen stirbst, dann sterbe auch ich.
Und ich will noch nicht sterben. Zumindest nicht auf eine solch qualvolle Art und Weise, dass das Schicksal sich für uns zwei ausgesucht hat.
Doch weißt du was? Ich werde unsere gemeinsame Zeit nie vergessen. Ich werde deine schöne Lache nie vergessen, die sich entfernt wie das Schnauben eines Ponys anhört. Ich werde nie deinen lieblichen Duft in meiner Nase vergessen. Und auch nie die vielen gemeinsamen Stunden in denen wir einfach nur gekuschelt und uns geküsst haben. Ich will dich nicht vergessen Rose. Und auch nie die gemeinsame Vergangenheit streichen. Denn du bist ein Teil von mir. Und ich von dir. Irgendwo, tief drinnen. Doch ich kann das alles nicht mehr. Es ist zuviel. Es erdrückt mich. Ich fühle mich, als würde ich ertrinken. Und deswegen bin ich fortgegangen. Ich werde alles hinter mir lassen. Und ja, es tut mir leid, dass ich dich da mit rein gezogen habe. In mein verschissenes, verkapptes, verdrehtes Leben. Es hätte nie so weit kommen müssen. Die Wunden hätten nie so tief sein müssen, wie sie gerade sind und dennoch bin ich froh und stolz, auf das, was wir zwei erlebt haben. Denn ich bin froh, dass ich sagen kann, dass ich einst geliebt habe. Eine wunderbare, wunderschöne, unabhängige, starke, selbstbewusste, umwerfende, sexy, kluge Frau. Ich werde auch mein Leben als Influencer aufgeben. Wie auch meinen Job. Ich weiß nicht, wohin es mich genau verschlägt, aber eins ist sicher.
Ich verschenke dir meine Firmenanteile.
Mir egal, was du damit tust. Verkaufe sie, verschenke sie weiter oder führe meine Firma, es ist mir egal. Denn ab sofort entscheidest du nur noch für dich. Ich werde kein Teil mehr deines Lebens sein. Egal, was du versuchst, ich werde fortbleiben. Denn ich kann es einfach nicht mitansehen.
Ich liebe dich Rose Elizabeth Peterson. Ich hoffe, dass du wieder gesund wirst und eines Tages das Leben lebst, dass du dir schon immer gewünscht hast. Und egal, wie es aussehen wird, du wirst Erfolg damit haben.
Ich liebe dich und es tut mir leid, wirklich.
Ich liebe dich so sehr....
So, so sehr...

Dein gerade heulender Evan.

Wow. Ich sterbe und er kann es nicht mitansehen... Wow. Wow. Vielleicht war es tatsächlich gut, dass wir nicht geheiratet haben... Fuck, heißt das, ich bin jetzt Milliardärin?!

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