- Jess -

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"So ein verfluchter Mist!" Wütend ließ Jess ihre Zeichenmappe gegen die Wand knallen und trat dann gegen den Heizkörper rechts von ihr. Tränen rannen ihr über das Gesicht und sie wusste, dass sie nicht erst seit kurzem dort waren. Sie hatte bereits angefangen zu weinen, nachdem ihr der Typ mit der Nerdbrille gesagt hatte, dass ihre Bilder keinen Charme besäßen. Am liebsten hätte sie schon in eben jenem Moment den Raum verlassen. Oder dem Kerl seinen dämlichen Swarovski Kugelschreiber in den Allerwertesten gerammt.
Schniefend hob sie ihre Mappe von der Erde und wischte sich über die Augen. Sie musste hier weg, bevor einer der anderen Bewerber sie so sah.
Mit schnellen Schritten huschte sie die Treppen herunter, bis in die erste Etage. Die mächtigen hohen Fenster zu allen Seiten sorgten nicht gerade dafür, dass sie sich vor den Blicken der anderen schützen konnte, aber spätestens, als ihr der fünfte Mensch mit nervösem Blick und ebenfalls großer klobiger Zeichenmappe entgegenkam, wusste sie, dass es eh egal war. Es hatten sie bereits zu viele Menschen gesehen.
Vor dem Ausgang machte sie Halt und huschte zügig in die Damentoilette. Behutsam stellte sie ihre Mappe zur Seite, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete es anschließend mit einem rauen Papiertuch ab. Es vermied sich nicht in den überdimensional großen Spiegel zu blicken und kurz hielt sie sogar inne, um sich darin zu betrachten.
Jess seufzte. Ihre Augen waren rot und aufgequollen. Ihr blondes Haar war aus dem Dutt gerutscht und hing in Strähnen an dem Seiten heraus. Ihr Pullover hatte einen Zahnpastafleck, der ihr erst jetzt auffiel. Es war offensichtlich, warum sie dieses Bewerbungsgespräch so verkackt hatte. Einfach alles, hatte nicht gepasst.
"Scheiße..." Sie fuhr sich müde über das Gesicht.
Wie sollte sie das Niklas erklären? Sie war auf diesen Job angewiesen, damit ihr Mitbewohner nicht weiterhin allein die Miete bezahlen musste. Es grenzte bereits an ein Wunder, dass er das immernoch tat, obwohl sie so ein hoffnungsloser Fall war, aber vielleicht hatte ihr kurze Liebesbeziehung vor einem Jahr sein Herz erwärmt. Wer wusste allerdings schon, wie lange das noch so bleiben würde?
Jess zog ihr Handy aus der Tasche. Zwei neue Nachrichten. Eine von ihrer Mutter, die sich nach dem Gespräch erkundigte und eine andere von Maik, ihrem Kommilitonen, der irgendein Gif geschickt hatte. Für so etwas hatte sie jetzt keinen Nerv.
Erneut betrachtete sie sich im Spiegel. Sie war vierundzwanzig und hatte es immernoch nicht auf die Reihe bekommen, sich einen Job zu angeln. Dabei war sie sogar von Potsdam bis nach Berlin gefahren! Und jeder der sie kannte wusste, dass Jess nichts mehr hasste, als Großstädte wie Berlin.
Deprimiert verließ sie das Gebäude und ging in Richtung der nächstgelegenen S-Bahn Station. Eigentlich hatte sie noch etwas Zeit, um nach Hause zu fahren. Zudem konnte sie gerade darauf verzichten Niklas zu erklären, warum sie schon so früh zurück war, denn wenn sie dieses Gespräch erfolgreich absolviert hätte, hätte im Anschluss noch ein Test stattgefunden.
Seufzend stand sie auf dem Gleis und wartete, als ihr plötzlich jemand auf die Schulter tippte.

Written by Kirbylinchen.

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