- Levi -

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Warum hatte er nur bei dieser hirnrissigen Idee zugesagt? Er stand weder auf baden im See, noch darauf sich irgendwo die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Dafür war er eigentlich nicht der Typ. Er war eher die Art Kerl, die es liebte Titanen die Kehle aufzuschlitzen... Oder Menschen, wenn es nötig wurde.
Letzte Nacht hatte er an seine Zeit im Untergrund denken müssen, auch wenn er nicht wusste, woher dieser Gedanke gekommen war. Seine Vergangenheit war nicht gerade rosig und sein Onkel, Kenny, hatte zwar gut für ihn gesorgt, war aber auch dafür verantwortlich, dass Levi der war, der er heute war: eine kleine Tötungsmaschine, ohne Skrupel jemanden umbringen zu müssen. Oder lag es vielleicht doch auch an seinen Genen? Er wusste es nicht. Doch es ärgerte ihn, dass er sich nach all den Jahren wieder den Kopf darüber zerbrach.
Neben ihm saß Jess, die zufrieden vor sich hin summte und eine Tasche auf ihrem Schoß hatte. Darin waren eine Decke, ein paar Snacks, Getränke und was wusste er noch alles, verstaut.
Als er ihrem Blick begegnete, grinste sie. "Komm schon, das wird lustig", sagte sie aufmunternd.
"Dafür dass du mich vor der Öffentlichkeit fernhalten willst, ist es nicht ausgesprochen clever, mich in so einem Ding reisen zu lassen." Er machte eine vielsagende Kopfbewegung im Kreis. Das Teil, in dem sie dieses Mal fuhren, hatte Jess einen Bus genannt. Diese Menschen hatten echt viele interessante Fortbewegungsmittel.
Der Bus war zudem gut gefüllt. Obwohl Levi wie immer zwar eine Kapuze über seinem Kopf trug, war er sich sicher, dass man ihn erkennen können würde, wenn man ihn kannte.
"Wenn du das noch lauter herumbrüllst, dann wird auch noch jemand auf dich aufmerksam", zischte sie. "Niemand wird etwas merken. Potsdam ist etwas beschaulicher als Berlin und ich gehe mal davon aus, dass wir nicht zufällig eine Meute Levi-Fans über den Weg laufen werden."
"Ist klar. Mit meinem dicken Pullover und dieser Kapuze, falle ich bei diesen Temperaturen auch gar nicht auf", grummelte er, weil er genervt von der Hitze war, die stetig unter seiner Kleidung zunahm. Warum hatte er sich nur überreden lassen? Immerhin hatte er eine kurze Hose anziehen dürfen, die zumindest unten rum für etwas Abkühlung sorgte.
Als hätte Jess seine Gedanken gehört, wurde ihr Blick plötzlich weich. "Hör zu... Wir können auch umdrehen. Ich dachte nur, dass dir ein bisschen Ablenkung guttun könnte..."
Er wusste, worauf sie hinaus wollte. Ihre Augen wanderten verlegen aus dem Fenster. Sie meinte, die Sache mit Eren.
Levi musste einmal tief Luft holen. Noch immer saß der Schock tief, weil er nicht verstand, wie das möglich sein konnte. Eren war tot. Er hatte seine Leiche mit eigenen Augen gesehen! Trotzdem sagte etwas in seinem Kopf, dass etwas an dieser Geschichte dran war.
Zugegebenermaßen wusste er nicht, ob er sich über diesen Fakt freuen sollte. Wenn Eren wirklich lebte, was würde das bedeuten? Für ihn. Für ihre Welt.
"Wenn du möchtest, dann ...", begann Jess erneut, doch Levi winkte ab.
"Schon okay. Lass uns zu diesem See fahren und diese ganze Sache vergessen. Für den Moment zumindest."
Jess' Gesicht hellte sich etwas auf und bedauerlicherweise freute er sich irgendwie darüber. Vielleicht war es nicht verkehrt, auf andere Gedanken zu kommen.
Als sie den Bus verließen, brannte die Sonne auf sie herunter und hinterließ bereits nach wenigen Minuten ein juckendes Gefühl auf seiner Haut. Jess musste es ähnlich gehen, denn Levi entging nicht, wie sie sich immer wieder die Arme mit ihrer Jacke verdeckte.
Für einen kurzen Moment fragte er sich, wann er sich zuletzt eine Auszeit genommen hatte, doch er wusste es nicht. Er kam einfach nicht darauf. In den letzten Jahren hatte es nur den Kampf gegeben. Gegen die Titanen. Gegen die Feinde außerhalb der Mauern und auf der anderen Seite des Meeres.
Noch immer spukten ihm die Bilder der Serie im Kopf herum. Die Jess mit ihm angesehen hatte. Von dem Glauben ihrer Welt, wie die Dinge in seiner Welt standen. Noch immer war er sich unschlüssig, ob er sein anderes Ich auf dem Bildschirm beneidete oder froh war, dass er in seiner eigenen Realität lebte.
"Hey, schau mal!" Jess rempelte ihn an der Schulter an und erst jetzt schaffte es Levi zurück ins Hier und Jetzt zu finden.
Die beiden standen vor einer grünen Fläche, auf der sich gefühlt hunderte halbnackte Menschen tummelten. Dahinter tat sich ein glitzernder blauer See auf. Überall erklang Stimmengewirr und Gelächter, dass Levi zuletzt vollkommen ausgeblendet hatte.
Als er zu Jess sah, bemerkte er ihren besorgten Blick. Gott, wann würde sie endlich aufhören ihn ständig zu anzusehen?!
"Das ist also deine Art von Erholung, ja? So stellst du dir das vor?", fragte er und zeigte auf die Menschen vor ihnen.
Jess lachte verlegen. "Ach komm schon, das kann ganz nett sein. Ich suche uns einen schönen Platz. Vielleicht ist ja noch irgendwo was im Schatten frei." Damit packte sie ihn am Arm und zog ihn zwischen den Menschen hindurch.
Am liebsten hätte er abfällig über ihren Plan gelacht, doch er wollte kein Spielverderber sein. Dennoch: Als wenn sie hier einen Schattenplatz finden würden.
Unter seinem Pullover spürte Levi bereits nach fünf Minuten, wie sehr er schwitzte. Er musste unbedingt aus diesem Ding raus, sonst würde er an einem Hitzeschlag sterben. Und wie erbärmlich wäre dieser Tod gewesen, im Vergleich zu den vielen Kämpfen gegen die Titanen?
Nachdem zehn weitere Minuten vergangen waren und Levis Blick allmählich vor seinen Augen verschwamm, entschied Jess, dass sie sich doch einen Platz in der Sonne suchten.
Erschöpft ließ er sich schließlich zwischen mehreren Paaren fallen, nachdem Jess dort eine Decke ausgebreitet hatte. Direkt vor ihnen lag das kühle Nass, das Levi nun plötzlich viel zu verlockend erschien.
"Ich glaube, ich muss hier raus", murmelte er und noch ehe Jess protestieren konnte, hatte er sich das Kleidungsstück vom Körper gerissen. Darunter klebte sein Shirt feucht an seinem Oberkörper.
Grimmig sah er seine Begleitung an, die für seinen Geschmack eindeutig zu lange auf seine Bauchmuskeln starrte.
"Was ist mit dir? Bist du irgendeine Perverse oder warum guckst du mich immer so gierig an, als wolltest du mich aufessen?"
Ertappt tat Jess so, als würde sie ihre Tasche auspacken. "Hä?! Ich mache doch gar nichts ... Äh ... hast du Durst?"
Levis Blick glitt zu den Menschen um sie herum. Niemand beachtete ihn. Wie wahrscheinlich war es, dass man ihn hier erkennen würde? Die Leute hier waren doch eh zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Jess plapperte gerade noch von irgendwelchen Getränken, als Levi entschied, dass er es so nicht mehr aushielt. Ohne zu zögern, zog er sein Shirt aus, ignorierte das Pochen der Wunde an seinem Bauch und rannte ins Wasser. Hinter ihm verschluckten die Stimmen der anderen Menschen Jess' Rufe. Und als er im Wasser war und untertauchte, waren auch alle anderen Geräusche für einen Moment ausgeblendet.

Written by Kirbylinchen.

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