- Jess -

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"Hier, das ist für dich."
Levi saß vor ihr auf dem Sofa und sah sie fragend an. "Was?"
"Du sollst es nehmen", sagte Jess mit Nachdruck und hielt ihm weiterhin das kleine Smartphone vor die Nase, das sie vorhin laut fluchend in ihrem Schreibtisch gesucht hatte. Es war nicht das neueste Model, hatte aber einen Messenger drauf, mit dem Levi Jess schreiben konnte.
Levi machte allerdings keine Anstalten ihr das Gerät abzunehmen. "Was soll ich damit?"
"Mir schreiben!"
"Warum sollte ich das tun?", fragte er verwirrt. Ernsthaft irritiert.
Jess entfuhr ein genervtes Seufzen. "Wieso kannst du es nicht einfach nehmen, ohne Fragen zu stellen? Das ist ein Smartphone. Ich schenke es dir, damit wir in Kontakt bleiben können."
Ihr Mitbewohner aus der anderen Welt sah sie immernoch einfach nur an. Also tat Jess, daß einzige Vernünftige: Sie drückte ihm das Handy an die Brust. "Nimm es verdammt! Damit kann ich dich erreichen, wenn etwas sein sollte!"
Widerwillig betrachtete er das Smartphone und ließ es schließlich von einer in die andere Hand gleiten.
"Warum solltest du mich erreichen wollen? Willst du mich kontrollieren, um sicherzugehen, dass ich brav hier sitzen bleibe?" In seiner Stimme lag ein Hauch von Spott, doch Jess ignorierte diese Tatsache und legte sich stattdessen ins Bett.
Es war bereits zu spät, um mit Levi zu diskutieren. Und um überhaupt länger wach zu bleiben. Sie musste morgen früh raus.
"Denk was du willst, aber ich hielt es für eine gute Idee, wenn wir irgendwie in Verbindung bleiben, während ich auf Arbeit bin."
Levi antwortete nicht. Sie meinte es wirklich nicht böse und definitiv sollte das Handy nicht zur Kontrolle dienen. Jess war einfach nur besorgt und hielt es für sicherer.
Nachdem Nicklas ihr vorhin eine hässliche Szene im Flur gemacht hatte, wusste sie, dass er im Bezug auf Levi stetig mehr auf Konfrontation gehen würde. Er war ihm ein Dorn im Auge und Jess bezweifelte mittlerweile, dass er ihnen die Geschichte mit dem Verwandtschaftsgrad noch abkaufte. Er wollte Levi loswerden. Und Jess wohnte lang genug mit Nicklas zusammen, um eine Ahnung davon zu haben, wie er ihn Stück für Stück rausekeln wollte. Vielleicht auch deshalb, hatte sie ihm das Smartphone gegeben.
"Kannst du mir vielleicht auch zeigen, wie das funktioniert? Sonst ist es irgendwie sinnlos", sagte Levi leise im Dunkeln ihres Zimmers und sofort setzte sie sich auf.
Seufzend robbte sie sich zum Ende ihres Bettes und huschte zu Levi auf die Couch der ihr Platz machte. Sie beschloss nicht zu tiefgründig zu werden, das hätte zu weit geführt. Außerdem machte er nicht den Eindruck, als wolle er sich in Zukunft eingehend mit dem Gerät auseinandersetzen. Brauchte er vermutlich ja auch nicht.
"Und hiermit schreibst du", schloss sie ihre Erklärung ab, nachdem sie die winzige Tastatur auf dem Smartphone aufgerufen hatte. Obwohl Levi nicht aus ihrer Welt kam, schickte er ihr sofort eine Nachricht, als hätte er schon immer ein eigenes Handy besessen.
"So?", fragte er und Jess glaubte ein winziges, aber überhebliches Grinsen auf seinen Lippen zu sehen.
Lobend klopfte sie auf seine Schulter. "Sehr gut, mein Schüler. Du schnell lernen!"
Verdutzt über ihren kurzen Yoda-Slang, runzelte er die Stirn, während sie bereits zurück zu ihrem Bett krabbelte.
"Du kannst mir übrigens nur schreiben, wenn du WLAN hast. Du bist also sozusagen auf meine Wohnung angewiesen. Da steckt keine SIM-Karte mehr drin", sagte sie, als sie gerade die Decke bis zum Kinn zog.
Levi entfuhr ein genervtes Stöhnen. "Was zum Teufel ist jetzt schon wieder dieses WLAN? Kannst du bitte in meiner Sprache mit mir sprechen?"
Doch Jess reagierte nicht mehr. Auch das hätte zu weit geführt. Sie war müde. Und führs Erste reichte es, dass er wusste, dass er das Handy nur hier benutzen konnte.

Am nächsten Morgen legte Jess einen beachtlichen Sprint hin. Von Dusche, zum Frühstück, zur S-Bahn zur Arbeit. Levi hatte währenddessen seelenruhig auf dem Sofa geschlafen, sodass sie ihn nicht mehr hatte sprechen können. Aber das war okay. Sie vertraute darauf, dass er das Smartphone nutzen würde, wenn es etwas gab.
Sie befolgte die Anweisungen von Miriam, holte ihren Ausweis, bezog ihr eigenes Büro und staunte schließlich nicht schlecht, als sie vor ihrem riesigen Schreibtisch saß, auf dem zwei große Monitore standen, die angeschlossen waren, an die neueste Technik an Rechnern, die es gab.
Jess schluckte. Alles war brandneu. Die Tastatur war so flach wie ein Blatt Papier und zusätzlich hatte man ihr ein hochwertiges Tablet zur Verfügung gestellt.
Am besten war jedoch die Aussicht. Drehte sich Jess auf ihrem Stuhl einmal herum, blickte sie aus hohen Fenstern direkt in die City von Berlin. Es war ein Sechser im Lotto, den sie hier gezogen hatte. Andere Menschen träumten von so einem Arbeitsplatz. Und Jess hatte ihn. Durch einen unglaublichen Zufall.
Erschöpft von den Eindrücken ließ sie sich in ihrem Schreibtischstuhl tiefer sinken und schüttelte fassungslos den Kopf. Das war ein absoluter Traum. Was hatte das Schicksal sich dabei gedacht, ihre innigsten Gebete zu er hören? Nicht, dass sie sich beschweren wollte, aber sie war irritiert, über so viel Glück.
Als hinter ihr die Tür geöffnet wurde, fuhr sie hastig zusammen und rutschte sofort an ihren Schreibtisch heran.
Zum Glück war es lediglich Miriam, mit einem der Kollegen, den Jess auch schon während des Vorstellungsgesprächs gesehen hatte. Einer der Nerds. Er lächelte. Jess lächelte zurück.
"Guten Morgen! Na, gefällt es dir?", fragte Miriam und deutete auf alles in ihrem Büro. Ihr Grinsen war so breit, dass Jess unwillkürlich mitgrinsen musste.
"Es ist wirklich atemberaubend toll! Ich kann es kaum erwarten loszulegen", sagte Jess begeistert. "Ich kann es ehrlich gesagt gar nicht richtig glauben, dass ich wirklich hier bin. Hier sein darf."
Miriam winkte ab. "Sei nicht so bescheiden! Du hast was drauf, das habe ich an deinen Zeichnungen gesehen." Sie zwinkerte ihr zu. Dann nickte sie neben sich, zu dem Mann der immer noch ganz geduldig neben ihr stand. "Das ist Tim. Er wird dir heute erklären, was wir genau von dir erwarten und wird dir die einzelnen Programme zeigen, die dir zur Verfügung stehen. Eine kleine Einweisung sozusagen."
"Freut mich, Jess!" Tim war ein kleiner, aber etwas rundlicher Mann mit einer großen Brille auf die Nase. Alles in allem sah er so freundlich aus, dass Jess am liebsten geweint hätte. Nach Robert hatte sie sich etwas vor den anderen Kollegen gefürchtet. Vielleicht auch deshalb wagte sie es nicht, Miriam nach ihm zu fragen.
"Wenn du etwas brauchst, wähle einfach die vier-eins-sechs, das ist meine Durchwahl hier im Gebäude. Und schau gerne mal über den Story Plot, den wir für das Game ausgearbeitet haben. Zwar bist du lediglich für die Grafiken verantwortlich, aber es schadet nichts, wenn du weißt, worum es geht." Miriam lehnte sich etwas vor. "Außerdem möchte ich deine Meinung dazu hören, also ob du es interessant findest oder nicht. Ich weiß, Robert hat so etwas erwähnt, wie, dass es dir egal sein solle, aber ehrlich gesagt möchte ich trotzdem, dass alle im Team mit der Geschichte mitgehen können."
Jess nickte. "Klar, mach ich! Kein Problem!"
Miriam lächelte sie ein letztes Mal an, bevor sie auch schon wieder verschwand.
Hibbelig rutschte Jess auf ihrem Stuhl hin und her. Sie konnte es kaum erwarten, dass Tim endlich loslegte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 06, 2021 ⏰

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