Schon nach wenigen Minuten erreichten sie die Stelle, an der er erwacht war. Auf den ersten Blick gab es jedoch nichts, das darauf hinwies, dass er hier zurück in seine eigene Welt gelangen würde. Was hatte er auch erwartet? Dass direkt vor ihren Augen ein Weg aufreißen würde, durch den er einfach schreiten könnte?
Er blieb gegenüber von der Baustelle stehen, stand genau an dem Punkt, wo er vor noch nicht einmal einer Woche gelegen hatte. Die Sonne über ihnen wärmte seinen Kopf. Sein Blick glitt auf den dunklen Asphalt unter seinen Füßen.
"Sieht nicht so aus, als gäbe es hier etwas", meinte Jess und er sah zu ihr herüber. Nachdenklich ließ sie ihren Blick durch die Gegend schweifen, bis sie an ihm hängenblieb.
Nur ganz kurz musste er an den Moment vor wenigen Minuten denken. Als er den Kerl zu Boden geworfen hatte. Als Jess so ängstlich ausgesehen hatte. Und wie sie ihn angesehen hatte, als Levi sie berührt hatte. Reflexartig schob er seine Hand, mit der er über ihre Haut geglitten war, in die Hosentasche und wandte das Gesicht von ihr ab. Nicht darüber nachdenken!
Eigentlich hatte er sie fragen wollen, was genau der Kerl von ihr gewollt hatte, doch er beschloss das zu vertagen. Sie machte nicht den Eindruck, als wolle sie diesen unangenehmen Moment erneut aufleben lassen. Und fürs Erste mussten sie sich auf das hier konzentrieren.
"Sieht so aus", erwiderte Levi verzögert.
Vielleicht gab es gar kein Tor zurück in seine Welt. Vielleicht hatte alles einen rein wissenschaftlichen Grund. Eine zufällige Anomalie. Nichts weiter, als eine einmalige Sache.
Er hatte sich noch keine Gedanken darum gemacht, was er tun würde, wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass er nicht mehr zurückkam. Dafür war er noch nicht allzu lange hier. Doch allein die Tatsache, wie Jess ihn dazu brachte sich um sie zu sorgen und sie beschützen zu wollen, sprach dafür, dass es bereits zu lange war. Es wurde mit jedem weiteren Tag hier nur komplizierter.
Jess trat jetzt genau neben ihn und ging in die Hocke. "Vielleicht hätten wir eher herkommen sollen. Mittlerweile könnte auch jemand irgendwelche Hinweise beseitigt haben, auch wenn hier aktuell scheinbar eh kaum eine Menschenseele entlang zu kommen scheint."
Er sah an ihr vorbei und wieder zur Baustelle. Etwas blendete ihn von dort.
Langsam näherte er sich dem Gerät, das seine Aufmerksamkeit erregte. Es sah aus wie eine große Trommel, in der man verschiedene Materialien zusammenmischen konnte. Sie stand hinter einem Zaun, den man links jedoch umgehen konnte. Darin wurde etwas von der Sonne angeleuchtet, welches eine Reflektion erzeugt hatte, die ihn blendete. Er schlängelte sich hinter das Gitter und sah in die Trommel.
"Was ist das?", fragte er und griff nach einem silbernen Teil. Es war ein sehr schmales Gerät - zumindest sah es aus wie irgendetwas Technisches. Es lag klein und leicht in seiner Hand, als würde es kaum mehr als wenige Gramm wiegen. Röhrenförmig. So etwas hatte er noch nie gesehen.
Jess kam zu ihm und nahm ihm das Ding aus der Hand, um es dann selbst ein paar Mal zu drehen und zu begutachten. "Was ist das denn? Sieht aus wie ein Pin."
"Ein Pin?"
"So ein Teil mit dem man sich ein Medikament spritzen kann", erklärte Jess.
Levi hatte nicht verstanden, nickte aber trotzdem. "Und was macht das Ding hier?" Er deutete auf die Trommel.
Jess verzog irritiert das Gesicht. "Keine Ahnung. Das ist kein gewöhnlicher Aufenthaltsort für so etwas." Sie betrachtete den Pin erneut. "Aber ich glaube auch nicht, dass das ein Pin ist, so wie ich ihn meine. Er sieht irgendwie ... moderner aus."
"Vielleicht sollten wir ihn mitnehmen und deinem Freund Maik zeigen", meinte Levi und schob die Hände zurück in seine Hosentaschen.
Ein leichtes Schmunzeln huschte über ihr Gesicht. "Maik ist nicht gerade der Ober-Experte für alles Unbekannte, aber ja. Wir nehmen das Teil mit."
Während Jess den Pin in ihrer Tasche verstaute, sah Levi sich nochmals um. Die Gegend hier wirkte wirklich wie ausgestorben, was ihm äußerst grotesk vorkam, wenn man bedachte, wie der Rest der Stadt aussah. Er war zwar noch nicht lang hier, doch auch er hatte bemerkt, dass diese Stadt geradezu aus allen Nähten platzte, vor lauter Menschen.
Plötzlich sah er eine Bewegung hinter einer Häuserwand. Levi zögerte nicht lange und sprintete sofort los.
"Hey! Levi! Warte!", rief Jess ihm hinterher, doch er war bereits über die Straße gerannt und bog gerade um die nächste Ecke, hinter der er jemanden gesehen hatte.
Und tatsächlich! Vor ihm stand ein Kerl in dunkler Kleidung und Cap auf dem Kopf. Seine Augen weiteten sich vor Schock, als Levi direkt vor ihm stand. In seiner Hand hielt er einen quadratischen Kasten mit Linse.
Levi zögerte nicht und stieß den Typen unsanft gegen die Hauswand. Obwohl er selbst fast einen ganzen Kopf kleiner als der Kerl war, schien dieser sich vor Furcht beinahe in die Hose zu machen.
"Scheiß dich nicht ein! Wer bist du? Beobachtest du uns?", fauchte Levi und der Mann begann sofort zu wimmern. Gott, hatte dieser Kerl keine Eier?
"Ich äh, ... ich habe ...", stotterte der Typ und sah panisch nach einem Ausweg.
"Vergiss es, du bleibst hier! Wer bist du!?" Levis Ton wurde noch drohender.
Nur aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Jess zu ihnen gestoßen war.
"Levi! Lass den armen Kerl los!", murrte sie und wollte ihn zur Seite ziehen, als sie das Gerät in den Händen des Mannes erblickte und in ihrer Bewegung erstarrte. "Moment Mal! Bist du ein Fan oder sowas?"
Der Typ nickte heftig. "Es tut mir leid ... ich wollte nicht ..." Sein Blick glitt in Levis Gesicht. "Du siehst aus wie Levi Ackermann! Heilige Scheiße! Das Video ist also echt! Kann ich ein Foto machen?"
Sofort ließ Levi ihn los und trat drei Schritte zurück. Er schien keine Bedrohung zu sein. Auch wenn das laut Jess' Gesichtsausdruck ganz anders aussah.
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Meinetwegen." Doch Jess stellte sich zwischen die beiden Männer.
"Vergiss es! Es gibt keine Fotos! Verzieh dich!", fauchte sie nun und der Typ sah verunsichert zwischen ihr und Levi hin und her. Als sie noch einen stampfenden Schritt auf ihn zumachte, flüchtete der Kerl sofort.
Er stolperte bis zur nächsten Ecke, ehe er sich noch einmal umdrehte und dann verschwand.
Überrascht wandte sich Levi mit hochgezogener Augenbraue zu Jess um. "Wow, ich wusste gar nicht, dass du so furchteinflößend sein kannst."
Doch die Wut in ihrem Blick verschwand sogleich. Scheinbar war ihr die Situation unangenehm. "Sorry, ich wollte nicht so aus der Haut fahren. Ich-"
"Du wolltest mich nur beschützen, richtig?", fragte er leise.
Ertappt nickte Jess und strich sich langsam über ihren Unterarm.
Ihn packte das Bedürfnis ihr über den Kopf zu streicheln, aber er ließ es. Er verschloss jegliches Bedürfnis sie berühren zu wollen hinter einer Mauer in seinem Herzen. Und er hoffte, dass sie dort eine ganze Weile bleiben würden, ohne den Versuch zu wagen an die Oberfläche zu treten.
Written by Kirbylinchen.
DU LIEST GERADE
L x J
Fanfiction"Ich habe nur eine Frage?", flüstert er in der Dunkelheit. "Wo bin ich?" Als der dreißigjährige Levi Ackermann mitten auf der Straße von Berlin erwacht ist er orientierungslos. Es ist mitten in der Nacht und er weiß, dass er nicht mehr dort ist, wo...