Die nächsten zwei Tage, versuchte sich Jess so gut es geht abzulenken. Sie besorgte Levi ein paar Klamotten, damit er nicht immer nur herum rannte, wie ihr Mitbewohner und trotzdem, dass sie ihn gefragt hatte, ob er weiter auf ihrer Couch nächtigen und nicht lieber ein Hotel beziehen wolle, bestand er darauf hierzubleiben. Vielleicht war das aber auch besser so.
Bereits einen Abend später sprudelte ihr Mailfach, das mit ihrer Künstlerhomepage verknüpft war, über. Man hatte sie erkannt. Und die Leute, die sie nicht kannten, wurden über ihrer Person aufgeklärt. Im Netz ging der Hashtag #leviisreal nahezu viral, sodass sie sich fürchtete ihren Instagram Account zu öffnen. Wenigstens wussten nur ihre engsten Freunde und Familie wo sie wohnte.
Von wegen, alles würde sich beruhigen. Umso mehr Zeit verging, desto aufgeregter wurden die Fans im Internet. So aufgeregt, dass Jess einen ihrer Streams vorzeitig beenden musste, weil über zehntausend Leute anwesend waren und den Chat mit Fragen, über den Typen, der wie Levi aussah, fluteten. Normalerweise hätte sie sich über soviele Zuschauer gefreut, doch nicht unter diesem Aspekt.
Genervt stampfte sie aus dem Arbeitszimmer, schmiss ihre Kopfhörer beiseite und lief Nicklas direkt in die Arme, der gerade um die Ecke kam.
"Jess, kann ich mal kurz mit dir reden?" Er sah zwischen ihr und ihrer Zimmertür hin und her.
Mittlerweile wusste Nicklas, dass Levi bei ihr war. Natürlich hatte sie ihm aufgetischt, er sei ein Cousin auf der Durchreise namens Lukas. Er hatte den Köder geschluckt, allerdings bemerkte er selbst, daß etwas nicht in Ordnung war.
"Eigentlich ist mir gerade nicht nach reden. Der Stream gerade war.... Anstrengend." Sie fasste sich benommen an die Stirn.
"Okay, dann später, aber... Meinst du nicht, Lukas sollte vielleicht woanders bleiben?"
Die Frage irritierte Jess. "Warum?"
Nicklas trat unruhig von einem Bein auf das andere. "Nun ja, ich habe eben deinen Stream gesehen und kriege auch sonst mit, was im Internet los ist. Dein Cousin verursacht ganz schön Wirbel. Meinst du, es ist gut ihn hier zu haben?"
Jess seufzte. "Lass das mal meine Sorge sein." Sie schob sich an ihm vorbei, doch Nicklas packte sie am Arm.
Ruckartig drehte sie sich zu ihm um und sah auf seine Hand.
"Jess, ich meine es ernst. Seit dein Cousin hier ist, wirkst du ziemlich gestresst", meinte Nicklas besorgt. Wütend entzog sie sich seinem Griff.
"Wie ich schon sagte, das ist meine Angelegenheit, nicht deine. Und um es gleich mal klarzustellen: Ich bin gestresst, weil ich immernoch keinen Job habe. Mir wird diese ganze Suche gerade nur zu viel", erklärte sie ruppig und ließ ihn im Flur stehen. Sie konnte jetzt keine seiner Predigten gebrauchen. Nicht jetzt und auch nicht später.
Zurück in ihrem Zimmer, schmiss sie die Tür zu und ließ sich mit dem Gesicht vorne weg auf das Bett fallen.
"Meintest du nicht, dass du erst in zwei Stunden wieder herkommst?", fragte Levi von der Seite.
"Halt den Mund...", nuschelte sie in ihr Kissen.
"Wie bitte?"
Jess stützte sich auf die Hände und drehte sich auf den Rücken. "Halt den Mund!"
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da bereute sie sie schon. Aus dem Anime und Manga wusste sie, dass man Levi lieber nicht so anging.
Sofort setzte sie sich auf und sah Levi direkt ins Gesicht, der sie von der Couch aus fixierte. "Entschuldige!"
Lustlos zuckte er mit den Schultern. "Schon gut. Du bist angespannt."
Sie schluckte. Ihr Hals fühlte sich wie ein Reibeisen an. "Ja, das bin ich wohl." Jess sah auf seine Brust. Unter seinem Shirt verbarg sich noch immer der Verband, den sie ihm regelmäßig wechselte. Mittlerweile war sie besser darin geworden. Keine Krankenschwester, aber auch keine Amateurin mehr. "Geht's dir besser?"
"Ja, geht schon", murmelte er abwesend als Antwort.
Irgendetwas hatte sich in den letzten Tagen zwischen ihnen verändert. Das spürte Jess deutlich. Sie konnte nur nicht genau sagen, was es war.
Als sie ihn getroffen hatte, war er ihr gegenüber ausgesprochen ruppig aufgetreten. Seit dem Abend, an dem er sie angelächelt hatte, war er eher still und zurückhaltend, so, als wäre sie eine einzige Last für ihn.
Das Lächeln. Jess hatte der Moment so unglaublich nervös gemacht, dass sie noch jetzt das aufgeregte Kribbeln in ihrem Bauch spürte, wenn sie daran zurückdachte. Obwohl sie jetzt schon einige Tage zusammen verbracht hatten, hatte sie erwartet, dass sie freundschaftlicher miteinander umgehen würden, aber danach fühlte es sich nicht an. Eher so, als würde etwas zwischen ihnen stehen. Und aus irgendeinem Grund verunsicherte sie diese Tatsache mehr, als alles andere. Sie wollte nicht, dass er ihrem Blick auswich oder kaum mit ihr sprach. Sie wollte, dass er sie beide als Team betrachtete. Doch auch heute, so wie er stur Bert streichelte und nebenher auf die DVD Hüllen ihrer Attack on Titans Sammlung starrte, wirkte es so, als seien sie meilenweit davon entfernt. Mehr dennje.Die folgende Nacht war unruhig. Jess wälzte sich in ihrem Bett hin und her, hatte wirre Träume und erwachte mehrmals keuchend, als habe sie jemand unter Wasser gedrückt. Wenn sie zu ihrem Sofa hinüberschielte, lag Levi immer ruhig atmend dort. Der Schein des Mondes ließ sein schwarzes Haar glänzen. Sie wollte ihm so gern helfen und mehr für ihn tun, doch das einzige, wozu sie aktuell gut war, war Levis Verband zu wechseln. Und das konnte sie noch nicht einmal richtig gut. Genervt zog sie die Decke über ihren Kopf und fiel daraufhin erneut in einen unruhigen Schlaf. Solange, bis sie einige Stunden später durch ein Rütteln geweckt wurde.
Ruckartig zog sie die Decke von sich und blickte erschrocken direkt in Levis graue Augen, der über ihr hing. Sanfte Sonnenstrahlen fielen in ihr Zimmer und ließen sein Gesicht leuchten.
Nur wenige Zentimeter lagen zwischen ihnen und reflexartig hielt Jess die Luft an.
Warum hatte er sich so weit zu ihr runtergebeugt? Und warum zum Teufel war er hier an ihrem Bett?
Sie erwartete, dass er sogleich einen abfälligen Kommentar von sich geben würde, doch er tat nichts dergleichen. Er sah sie einfach nur an. Jess schien es sogar so, als beuge er sich noch etwas mehr zu ihr herunter.
Ihr Herz schlug fast schon schmerzhaft vor Anspannung in ihrer Brust. Oder war es eher Aufregung? Seine Augen fuhren über ihr Gesicht und allein ihn dabei zu beobachten, bereitete ihr eine Gänsehaut.
Kurz hob er die Hand, als wolle er sie an ihr Gesicht legen, doch dann zog er sie panisch zurück, als ein lautes Vibrieren ihn unterbrach.
In der anderen Hand hielt er Jess' Smartphone, dass im drängenden Takt nach ihrer Aufmerksamkeit verlangte.
Levi musste sich räuspern, bevor er sprach. Seine Stimme klang rau. "Das Ding vibriert seit einer Weile." Dann legte er es ihr in die Hände, ehe er sich fast schon fluchtartig auf die Couch zurückzog.
Jess musste ein paar Sekunden verstreichen lassen, damit sich ihr Herz beruhigte. Was war das gerade gewesen?
Ohne darüber nachzudenken sah sie auf ihr Handy und nahm den Anruf an. "Jess Hofmann?"
"Jess? Hier ist Miriam! Miriam von Wohlberg Entertainment."
Sofort setzte sich Jess kerzengerade im Bett auf. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Levi sie beobachtete.
"Miriam? Ja, äh... Oh!"
Auf der anderen Seite lachte Miriam. Es war unverkennbar ihre Stimme. Wie spät war es? Egal.
"Entschuldige, dass ich dich so früh anrufe, aber ich konnte es kaum erwarten dich zu kontaktieren. Ich habe gute Neuigkeiten." Sie machte eine wohlwollende Pause.
"Ja?", fragte Jess. Vor lauter Aufregung kam ihr nicht in den Sinn, was die Frau von ihr wollen könnte.
"Es freut mich dir mitteilen zu können, dass wir dich gerne in unserem Team hätten. Wir haben einstimmig entschieden, dass wir dich als Designerin bei uns haben wollen."
Jess schnappte nach Luft. "Einstimmig?" Sie musste sich verhört haben.
Wieder lachte Miriam. Es klang aufrichtig. "Ja! Einstimmig! Sag, wann kannst du hier bei uns sein?"
In Berlin? Jess' Augen fielen nun auf Levi. Ihre Blicke trafen sich.Written by Kirbylinchen.
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L x J
Fanfiction"Ich habe nur eine Frage?", flüstert er in der Dunkelheit. "Wo bin ich?" Als der dreißigjährige Levi Ackermann mitten auf der Straße von Berlin erwacht ist er orientierungslos. Es ist mitten in der Nacht und er weiß, dass er nicht mehr dort ist, wo...