- Levi -

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Fröstelnd schlang er das Handtuch um seine Schultern, das ihm Jess hingeworfen hatte. Der Tauchgang in diesem See hatte gutgetan und tatsächlich musste er zugeben, dass auch das Rumgealbere mit Jess ganz lustig gewesen war. Es hatte ihn zumindest für einige Minuten von seinen dunklen Erinnerungen abgelenkt, die sich wie ein Schatten an ihn hefteten - ein Teil von ihm waren. Ganz und gar.
Allerdings war er sich nicht sicher, ob er am Ende übertrieben hatte. Er war einem inneren unbekannten Impuls gefolgt, als er Jess von hinten in seine Arme geschlossen hatte. Eigentlich hatte er damit keine romantische Intention verfolgt, aber er konnte nicht leugnen, dass sein dämliches Herz etwas schneller in seiner Brust gepoltert hatte, als sie beide so im Wasser gestanden hatten. Und mit seinen letzten Worten, hatte er ihr nur klar machen wollen, dass sie ihn nicht zu verteidigen brauchte - sich nicht unnötig für ihn in Gefahr begeben sollte. Denn das wollte er nicht. Auch vermutlich aus dem Grund, weil es ihn dummerweise mehr Sorgen bereitete, als es sollte. An ihrem Blick, mit dem sie ihn jetzt jedoch ansah, wusste er, dass sie es falsch aufgefasst hatte.
"Was ist?", fragte er und blickte zu ihr empor.
Nur in knappen Badesachen bekleidet und nassem Haar, stand sie vor ihm und betrachtete ihn, als habe er sie geohrfeigt. Von ihren Haarspitzen tropfte das Wasser des Sees. Eigentlich sah sie ganz hübsch aus, wäre ihr Gesichtsausdruck nicht so ernst gewesen.
Als sie nicht antwortete, zog er genervt eine Augenbraue hoch. "Willst du dich nicht langsam abtrocknen?"
Wortlos schnappte sie sich aus der Tasche ein weiteres Handtuch und ließ sich neben ihn fallen.
Stumm beobachteten die beiden eine Weile die anderen Badegäste um sie herum. Noch immer hatte niemand Notiz von ihm genommen. Levi wunderte es nicht im Geringsten. Hier wimmelte es von hunderten Menschen, die alle viel zu sehr mit sich selbst und dem Wetter beschäftigt waren, um ihn zu bemerken - selbst wenn hier jemand ein Attack on Titan Fan war.
"Wegen morgen ... du wirst ab sofort viel Zeit alleine verbringen müssen", sagte Jess so plötzlich, dass Levi überrascht zu ihr sah.
Mit dem Handtuch trocknete sie sich ihr Haar. "Morgen fängt mein neuer Job an, deshalb wirst du tagsüber alleine sein."
Gelassen zuckte er mit den Schultern. "Ich werde mich schon nicht langweilen", meinte er locker, doch Jess sah alles andere als glücklich aus. Hatte sie diese Arbeit nicht unbedingt gewollt? Oder hatte es mit diesem Typen zu tun, der dort tätig war?
Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Lippen. "Ich habe mir schon gedacht, das du so etwas sagen würdest. Allerdings ... Du möchtest, dass ich dein Versprechen halte. Das werde ich. Im Gegenzug, musst du mir aber etwas versprechen."
"Ich bitte dich ... wir befinden uns nicht in einem scheiß Liebesroman ... Und ich bin auch kein kleines Kind, dass... ", begann er, doch als sie ihn böse anfunkelte, hielt er sofort den Mund. Sie meint es nur gut. Sie meint es nur gut. "Na gut ... sag schon."
Jess sah ihm lange in die Augen, bevor sie weitersprach. "Ich möchte, dass du keine Dummheiten machst, während ich weg bin. Du hältst dich in der Nähe meiner Wohnung auf und machst keine Alleingänge."
Levi seufzte genervt. Vielleicht, aber nur vielleicht, hätte er genau das getan, doch er sagte nichts.
Frustriert starrte er auf das grüne Stück Wiese vor ihnen. Wenn er sich lediglich auf diese kleine Fläche konzentrierte, und die Geräusche ringsherum ausblendete, war es fast so, als wäre er in seiner eigenen Welt.
"Versprichst du es?", fragte Jess eindringlich.
Levi stöhnte erneut und fuhr sich durch sein immer noch feuchtes Haar. "Was anderes bleibt mir vermutlich nicht übrig, oder?"
Er sah sie zwar nicht an, doch er wusste genau, dass sie gerade grinste.

Als sie am Abend heimkehrten, wurden sie bereits von Jess's Mitbewohner erwartet. Seitdem sie ihm erzählt hatte, dass Levi ihr Cousin sei und hier für eine Weile leben müsse, lauerte er ihm auf. Er hatte keine Ahnung, ob er es sich nur einbildete, aber zufälligerweise stand er immer im Flur, wenn Levi dort gerade entlang lief. Und er sah nie sonderlich begeistert aus, ihn zu sehen.
"Da seid ihr ja, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Wieso bist du nicht ans Handy gegangen?", polterte Nicklas los und baute sich vor ihnen auf, als sie gerade die Haustür hinter sich geschlossen hatten.
Levi hatte keinerlei Bock auf ein Gespräch mit dem Typen. Seine Haut brannte von der Sonne und er fühlte sich ausgelaugt und müde. Genervt schob er sich an ihm vorbei, ohne dass ihm dabei entging, wie Nicklas ihn unsachte anrempelte. Doch er sagte nichts. Der Kerl war es nicht wert. Und Levi zu erschöpft.
Vollidiot ...
Genervt zog sich Levi ins Badezimmer zurück und duschte sich, während sich Jess mit ihrem Mitbewohner eine hitzige Diskussion im Flur lieferte. Ohne, dass Levi hörte, worüber sie sprachen, wusste er, dass es um ihn ging. Dass Nicklas ihn nicht leiden konnte, auch wenn Levi der Grund vollkommen unklar war. Er tat ihm schließlich nichts.
Vermutlich gehörte Nicklas zu der Kategorie Männer, die sich allein durch die Anwesenheit eines anderen männlichen Wesens bedroht fühlten. Und Levi war nicht entgangen, dass der Kerl auf Jess stand. Aber eigentlich konnte ihm das auch egal sein. Er war schließlich keine Gefahr. Jess interessierte ihn nicht, außer dass er dankbar für ihre Herzlichkeit war.
Levi beobachtete eine Weile, wie die Wasserstrahlen Tropfen an der Duschkabine herunterfließen ließen, während er für einen winzigen Moment an Petra denken musste. Die Beziehung mit ihr, war stets etwas, dass sie nahezu geheim gehalten hatten. Eigentlich hatte nur ihr Team und Erwin von ihnen gewusst, was einvernehmlich entschieden worden war. Levi wollte kein Aufsehen. Petra wollte keinen Stress. Obwohl das nicht ganz stimmte. Manchmal hatte sie ihm diesen Blick zugeworfen, der offenbart hatte, dass sie gern der ganzen Welt ins Gesicht geschrien hätte, wie sehr sie ihn liebte. Und auch, wenn Levi nicht der gefühlsduselige Typ war, war es ihm hin und wieder ähnlich gegangen. Nicht umsonst, hatte er sie schließlich vor einer ihrer wichtigsten Missionen gefragt, ob sie bereit dazu wäre ihn zu heiraten. Er wollte sie. Mit jeder Faser ihrer Seele und ihres Körpers. Das dumme war nur, dass er sie immernoch wollte. Doch Petra war nicht mehr da. Sie war gestorben. Er hatte ihre Leiche gesehen. Er hatte...
Es klopfte ein paar Mal an der Badezimmertür. "Du duscht schon über zehn Minuten", gröllte Nicklas zu ihm herein.
"Fick dich, du Bastard", murmelte Levi und stellte sogleich die Dusche aus, damit der ekelhafte Kerl nicht noch das Badezimmer stürmte, um ihn aus der Kabine zu zerren. Darauf konnte Levi verzichten.
Mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt, blickte er in den Spiegel, der vom Wasserdampf beschlagen war. Er wischte mit der Hand über die Fläche, um sich darin zu betrachten und verzog sofort angewidert das Gesicht.
Trotz der Hitze im Raum wirkte er blass. Traurig. Und ein bisschen verloren.
Seufzend stützte er sich an dem Waschbecken ab und sah auf die saubere Keramikfläche. "Es tut mir leid, Petra, dass ich so einen jämmerlichen Anblick abgebe. Ich weiß, dass ich vor ein paar Wochen gesagt habe, ich würde bald zu dir kommen, aber du musst noch ein bisschen warten...", flüsterte er und lächelte so schwach, dass es für Außenstehende kaum wie ein Lächeln gewirkt hätte.
Er durfte noch nicht sterben. Denn zuerst musste er nach Hause. Und solange er weiterhin in dieser Welt ausharren musste, würde er das Mädchen beschützen, welches ihn gefunden hatte. Welches kurz in seinem Kopf aufgeblitzt war - als er in den Erinnerungen an Petra gehangen hatte.
Es hatte nichts zu bedeuten. Da war er sich sicher. Ganz sicher.

Written by Kirbylinchen.

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