Jess' Herz machte das nicht mehr lange mit. Es war schon zuviel gewesen, Levis nackten Oberkörper zu sehen. Als er nun aber aus dem Wasser auftauchte, musste sie anerkennen, dass sein Kommentar von der Perversen nicht allzu weit hergeholt war. Sie musste sich regelrecht verkneifen, nicht zu sabbern. Aber verflucht, was sollte sie anderes tun?
Okay. Vielleicht musste sie zugeben, dass sie für diesen Typen schwärmte. Vielleicht sogar etwas verknallt war, aber was war schon dabei? Wie oft kam es vor, dass man sich in jemanden verschoss und nur wenige Tage oder Wochen später, alles schon wieder vorüber war? Schließlich hatte sie auch schon oft genug für irgendwelche Stars geschwärmt. Das hier war nichts anderes.
Peinlich berührt, über ihre Selbstoffenbarung - die sie sich zwar lediglich in ihrem Kopf abgespielt hatte, dennoch irgendwie unangenehm war - begann sie die Tasche auszupacken. Hastig verteilte sie das Mitgebrachte auf der Picknickdecke, um sich abzulenken und verbrachte mehr Minuten als nötig, um alles ordentlich anzuordnen. Als sie jedoch fertig war, hatte sich ihr Puls etwas beruhigt und sie konnte sich wieder auf den See vor sich konzentrieren.
Um sie herum war das Stimmengewirr so laut, dass es ihr schwer fiel auch nur einem Gespräch folgen zu können, allerdings musste sie das auch nicht. Sie war mit Levi hier. Und dieser einzige Gesprächspartner befand sich irgendwo im Wasser. Sie hatte ihn aus den Augen verloren.
Nachdenklich zog sie die Beine an ihren Körper und starrte ins Nichts. Morgen musste sie ihn alleine lassen. Dann konnte sie nicht länger mit ihren durchaus einfallslosen Ideen für Ablenkung sorgen. Dabei hatte Levi es mehr als nötig. Oder?
Die Sache mit Eren, war unheimlich. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es in Zukunft noch eine größere Rolle spielen würde. Dass das noch nicht alles war. Und genau das war es, was ihr Kopfzerbrechen bereitete. In Levis Blick hatte sie nun in den letzten Tagen so einiges deuten können und der eindeutigste Fakt war wohl, dass er unglaublich einsam zu sein schien. Alle Menschen die er gekannt und geliebt hatte, waren tot. Er lebte in einer Welt, in der er zwar der Hauptkommandant war, aber nichts als Fremde um sich herum hatte. Obwohl das so auch nicht stimmte. Mit Sicherheit hatte Levi neue Freunde gefunden, aber welchen Wert hatten sie für ihn?
Erschöpft seufzte sie, bevor sie sich ihr Shirt über den Kopf zog und ihre kurze Hose über ihre Beine abwärts gleiten ließ. Sie musste damit aufhören, sich Gedanken zu machen. Zumindest für heute. Heute gehörte der Tag ihnen. Er diente zur Levis Ablenkung. Und auch zu ihrer eigenen.
Voller Tatendrang begann sie zu lächeln und steuerte zwischen die Menschen hindurch, bis nach vorn ans Wasser. Langsam ließ sie ihren Blick über die Körper und Köpfe streifen, um darunter Levi zu entdecken, doch er war wie vom Erdboden verschluckt.
Was hatte sie erwartet? Hier tummelten sich hunderte von Menschen. Natürlich war es super einfach sich in dieser Masse zu verlieren. Trotzdem konnte sie die Unruhe in ihrem Bauch nicht abstellen.
Sie machte ein paar Schritte ins Wasser und zuckte kurz zusammen, als sie bemerkte, wie kalt es war. Warum hatte sie sich eigentlich diesen dämlichen Bikini angezogen, wenn sie eh nicht vorhatte baden zu gehen? Sie fand sich zwar nicht sonderlich hässlich, aber auch nicht unglaublich wunderschön, dass sie damit wie die anderen Mädels hier damit auf der Wiese oder im Wasser gepost hätte.
Reflexartig verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah sich noch einmal um. Wo war Levi? War er vielleicht doch entdeckt worden? Oder hatte ihn seine Wunde in die Knie gezwungen? Panisch riss sie die Augen auf. War er vielleicht ertrunken, weil er sich nicht mehr rühren konnte vor Schmerz?
Sofort löste sie sich aus ihrer Starre und stürzte weiter vor ins Wasser.
"Levi?", rief sie, doch ihre Stimme ging in dem Lachen der Badegäste um sie herum unter. Sie drehte sich einmal im Kreis, als ihr plötzlich der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und sie unter Wasser tauchte.
Was zum!?
Ängstlich ruderte sie mit den Armen, schluckte Wasser und kam hektisch wieder an die Oberfläche, wo sie wie ein Fisch auf dem Trockenen um Luft rang und zu husten begann. Erst nach und nach bemerkte sie, dass jemand vor ihr stand.
Levi. Und er ... lächelte?
Amüsiert stemmte er eine Hand in die Hüfte. Sein dunkles Haar tropfte nass vom tauchen. "Sag mir nicht, dass du nicht schwimmen kannst?"
"Wie bitte?", fragte sie irritiert, bis sie langsam begriff. Levi war es gewesen, der ihr die Füße weggerissen hatte. "Du ... warst das?"
Er sah kurz zur Seite. Sah so aus, als müsste er sich ein Losprusten verkneifen, ehe er sein übliches Gesicht auflegte, dass nur so vor Gleichgültigkeit triefte.
"Du hast doch gesagt, dass wir ein bisschen Spaß haben sollen, also?"
"Das meinte ich nicht unbedingt damit ...", grummelte sie.
"Ach nein? Was ist denn dann für dich Spaß? Sich zwischen diese ganzen Leute zu setzen und Sandwiches zu essen?"
"Trinkst du nicht gerne Tee?" Im Manga und Anime hatte er das schließlich oft getan.
"Natürlich. Aber das mit Spaß gleichzusetzen - soweit würde ich nicht gehen."
Die beiden funkelten sich an. Und noch ehe Levi ein weiteres Wort sagen konnte, grinste sie frech und stürzte sich auf ihn. Ihr Begleiter schien so überrascht zu sein, dass sie es ziemlich einfach fertig brachte ihn umzureißen und ins Wasser zu tauchen. "Hier hast du deinen Spaß!", sagte sie laut und begann zu kreischen, als Levis Hände sofort aus dem Nass zischten und sie an den Armen packten.
Wie kleine Kinder begannen sie sich im Wasser gegenseitig zu kabbeln, schubsten sich, rissen sich um und irgendwann fing Levi damit an sie auf seine Arme zu nehmen und zu werfen. Jess wusste nicht, wie lange sie dieses Spiel trieben, aber irgendwann tat ihr Bauch von vielem Lachen weh. Und wenn sie sich nicht irrte, glaubte sie, dass es Levi ähnlich ging. Zumindest sah sie ihn immer wieder für kurze unaufmerksame Augenblicke lächeln. Etwas, das sie noch nie in der Intensität gesehen hatte.
Sie wollte gerade einen letzten Angriff starrten, als er sie erneut von hinten packte und festhielt. Doch im Gegensatz zu den anderen Malen blieb er plötzlich starr stehen und hielt sie einfach nur fest. Verdutzt versuchte sie sich aus seinem Griff zu reißen, doch als sie seinen Atem an ihrem Nacken spürte, hielt sie abrupt inne - und auch die Luft an.
"Ich wollte dich da noch etwas fragen", murmelte er leise.
Neben ihnen platschte ein Ball ins Wasser, auf den sich zwei kichernde Kinder stürzten. Erst als sie wegwaren, konnte sich Jess wieder auf die Situation konzentrieren.
"Was denn?", fragte sie und legte ihre Hände auf seine Unterarme, die sie immer noch umschlungen hielten. Ob er sich im Klaren darüber war, dass er sich gefährlich nahe an ihrer Oberweite befand?
Atmen, Jess! Atmen!
"Dieser Typ in dem Gebäude ..."
Verwirrt runzelte sie die Stirn, ehe sie verstand. Levi sprach von Robert!
"Was wollte er von dir?", fragte er leise. Noch immer war sein Atem ganz nah an ihrem Ohr.
Jess schluckte. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen? Wenn sie es tat, würde er Robert ganz bestimmt auflauern oder so etwas in der Art. Zumindest hätte sie es ihm zugetraut.
"Nichts bestimmtes. Er ist ein ziemlich arrogantes Arschloch, das ist aber auch schon alles. Er wollte ... mich nur im Team Willkommen heißen", plapperte sie schnell. Hinter ihr entfuhr Levi ein Schnaufen.
"Was laberst du da? Das sah alles andere als nach, Willkommen heißen, aus. Hat er dich sexuell belästigt?"
"Was?", fragte sie schrill und schüttelte sofort energisch den Kopf. "Nein, nein! Um Gottes Willen, natürlich nicht."
"Dann lügst du", grummelte er düster und sofort verstärkte sich seine Umarmung. Jess wusste nur nicht, ob er sie einfach nur fester an sich drücken oder sie erdrücken wollte. "Niemand bedrängt eine junge Frau so, ohne ihr etwas Böses zu wollen."
Jess wusste nicht, was sie sagen sollte. In seiner Stimme lag so viel Ärger. Aber auch so viel Sorge.
Bereits in der nächsten Sekunde ließ er sie los und lief im Wasser um sie herum, um sie ansehen zu können. Sofort bemerkte sie, dass sie fröstelte und schlang die Arme um ihren Körper. Ein wenig vermisste sie seine Körperwärme, aber der Gedanke entging ihr sofort, als sie ihn ansah.
Levi sah angepisst aus. Vermutlich, weil sie nicht ganz ehrlich zu ihm gewesen war. Oder weil er wütend auf Robert war? Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht, als überlege er, ob er noch etwas zu ihr sagen sollte.
Jess hätte sich in den Hintern treten können. Bis vor wenigen Sekunden hatten sie doch noch Spaß gehabt. Warum war die Stimmung so plötzlich im Keller?
Sie schluckte. Wollte die Situation retten. "Okay, vielleicht hat er mich ein bisschen nach dem Video gefragt, in dem wir beide aufgetaucht sind ... Aber das ist nichts, was dich sorgen müsste."
Levi zuckte nicht einmal mit der Wimper. Stattdessen sah er sie weiter einfach nur an. Sein feuchtes Haar glänzte in dem grellen Sonnenlicht. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, ehe er ihn wieder schloss und fluchend zur Seite blickte.
Was denn nun?
Verlegen räusperte sie sich. "Wirklich Levi, ich-"
"Sollte der Typ dir nochmal zu nahe kommen, dann sags mir, okay?", unterbrach er sie.
Erstaunt betrachtete sie ihn, doch er wich ihrem Blick weiterhin aus, als wäre es ihm unangenehm sie dabei anzusehen.
"Du musst mich nicht beschützen, nur wegen diesem Video. Wenn irgendjemand etwas von mir will, dann kann er sich an mich wenden. Ich komme zwar nicht aus eurer Welt, aber ich bin ein erwachsener Mann, ich kann diese Dinge schon für mich alleine klären. Und mich notfalls selbst verteidigen."
"Mhm. Ja, verstehe. Tut mir leid ...", gab sie murmelnd zurück und blickte in das Wasser unter ihr. Aus irgendeinem Grund, war sie verletzt.
"Verstehe mich nicht falsch, es ist nett, dass du dich für mich einsetzt, aber der Typ ist es nicht wert, dass du dich unnötig in Gefahr begibst, um mich vor irgendetwas zu schützen. Wenn er etwas von mir will, dann sag ihm, er soll sich direkt an mich wenden und dich da raus lassen. Versprich es mir."
Sie antwortete nicht. Aber wenn er das wollte, dann würde sie es tun.
Erneut schlich sich eine Gänsehaut vor Kälte über ihren Körper.
Als sie aufah, hatte ihr Levi den Rücken zugedreht. "Lass uns aus dem Wasser gehen, bevor du dich erkältest." Dann ließ er sie stehen und ging in Richtung ihrer Picknickdecke.Written by Kirbylinchen.
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L x J
Hayran Kurgu"Ich habe nur eine Frage?", flüstert er in der Dunkelheit. "Wo bin ich?" Als der dreißigjährige Levi Ackermann mitten auf der Straße von Berlin erwacht ist er orientierungslos. Es ist mitten in der Nacht und er weiß, dass er nicht mehr dort ist, wo...