Leise, aber dennoch kaum überhörbar, erklingen die gequälten Stimmen der Männer. Jeder der auch nur ein Fünkchen Menschlichkeit besitzt, würde ihnen die Qualen ersparen und sie einfach töten, doch nicht sie. Seelenruhig, fast tiefenentspannt, steigt sie über die Leichen und verletzten Männer. Das Rauschen des Meeres und das Brechen der Wellen am Bug des Schiffes geben ihre Sicherheit und Zuversicht. Nie im Leben hätte sie damit gerechnet, jemals auf einem Schiff zu stehen. Doch jetzt, da sie den ersten Schritt getan hat, gab es kein Zurück mehr. Schritt für Schritt nähert sie sicher der Kapitänskajüte, welche nur durch eine kleine Treppe zu erreichen ist. Sie ist so sehr darauf fixiert diese Tür zu erreichen, dass sie beinahe ihre Umgebung außer Acht gelassen hätte. Ein Mann, wohl ein sehr treues Crewmitglied, versucht, mit der letzten Kraft, die er aufbringen kann, seine Pistole zu heben und auf den Feind zu schießen. Doch hat er nicht mit der Flexibilität der Fremden gerechnet und wurde in nur binnen von Sekunden entwaffnet. Sie beugt sich über ihn und mustert ihn. Für einen Piraten oder Freibeuter war er zu gepflegt, ein Offizier war er aber auch nicht, da die Uniform fehlte. Sie muss wohl oder übel über ein Handelsschiff gestolpert sein. Sie wird es leid in die Hass und gleichzeitig Angst erfüllten Augen zu schauen und steht auf. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, setzt sie ihren Weg fort. Der Weg zu dem Kapitän dauert länger, als ihr lieb war, denn in der Zeit schaltet sich ihr schlechtes Gewissen ein. Für sie ist es jedes Mal eine Bürde jemanden zu töten, im Gegensatz zu ihren Schwestern, sie reißen sich förmlich um das Fleisch eines Menschen. Doch ließen ihr die Männer keine andere Wahl. Das Blut ist das Schlimmste. Der Geruch, dieser verfluchte Geruch lässt ihre Sinne verrücktspielen. Dieser leichte Hauch von Metall, den dieses Gemisch in sich trägt, ist unerträglich, doch nicht auf die negative Art. Bei dieser Masse an Blut, ist es für sie wirklich schwierig dem Verlangen nicht nachzugehen. Vielleicht haben ihre Schwestern recht, vielleicht ist es wirklich ein fataler Gedanke zu den Menschen zu gehen und zu schauen, ob sie doch mehr als nur triebgesteuerte Tiere sind, welche glauben genau das nicht zu sein. Diese negativen Gedanken strömen auf sie ein und ihre einst vorhandene Seelenruhe verfliegt mit einem Mal. Unruhe, Sorgen und Angst macht sich nun in ihr breit und lässt sie an ihrem Vorhaben zweifeln. Wirklich viel mehr Zeit zum Nachdenken hat sie aber nicht mehr, denn sie hat die Tür zu den Räumlichkeiten des Kapitäns erreicht. Mit einem Schwung öffnet sie die Tür, das überrascht sie, denn sie hat mit Gegenwehr gerechnet und nicht gedacht, dass sie ohne Mühe in diesen Teil des Schiffes kommen würde. „Was wollt Ihr?", vernimmt man eine zutiefst verängstigte Stimme aus dem hinteren Teil des Zimmers. Überraschenderweise ist dieser Raum nur spärlich mit Mobiliar versehen und erinnert mehr an ein Kerker Zimmer als an eine ersehbare Kajüte. Der muffige Geruch dieses Raums fliegt ihr entgegen und sie hat das Gefühl von diesem wieder aus dem Raum gedrängt zu werden. „Euer Schiff", ist die schlichte, aber nicht unwahre Antwort von der Störenfriedin. „Eine Frau?", fragt der Kapitän unglaubwürdig und verliert nun langsam die Ehrfurcht. Hinten, aus der dunkelsten und am wenigsten überschaubaren Ecke, steht ein Mann auf und gibt seine Silhouette preis. Doch sie interessiert das gar nicht, mit Begeisterung schaut sie sich die Maserung des Holzes an und streicht vorsichtig mit dem Finger darüber. Holz, eine wahrliche Seltenheit im Meer. „Wie schafft es ein Weibsbild, wie Ihr es seid, solch ein Chaos zu veranstalten?", stellt der Kapitän eine weitere Frage, ohne erst darauf zu warten, dass sie die Erste beantwortet. „An einem Ort, an dem keine Ordnung herrscht, kann man keine Unordnung fabrizieren", antwortet sie Geistes abwesend. „Was seid Ihr?", fragt der Kapitän, ohne auf das Gesagte einzugehen. „Nicht was, sondern wer", sagt sie und wendet sich zu dem offensichtlich verwirrten Mann. Er kann nicht begreifen, wie eine Frau dieses ganze Elend verbreiten kann, nur eine Möglichkeit kommt ihm in den Sinn. „Hexe...", sagt er leise, wiederholt dieses Wort daraufhin aber erneut und deutlich lauter: „Hexe. Ihr seid eine Hexe." Amüsiert über diese Fehlannahme grinst sie. „Selbst wenn, was nicht der Fall ist, was würdet Ihr tun?", stellt sie die hypothetische Frage, die sie sehr interessiert. „Das, was mit jeder Hexe geschieht, sie wird gehängt", antwortet er mit fester Stimme. Der Kapitän geht langsam auf sie zu, um ihr Respekt beizubringen. Doch allein diese Tatsache, dass der Kapitän denkt, er wäre in der Position jemanden einzuschüchtern, belustigt sie nur noch mehr. "Ihr habt wahrlich Glück, dass ich ein Gentleman bin und Euch nicht sofort umbringe. Wer seid Ihr überhaupt?", stellt der Kapitän die eigentlich relevante Frage. Der Kapitän steht nun direkt vor ihr und wäre die junge Unruhestifterin nicht ungefähr 0,4 Fuß (ca. 12 cm) kleiner als der Mann würden sie sich direkt auf Augenhöhe anstarren. Diese Ruhe, die jetzt von dem Kapitän ausgeht, macht sie wütend. Sie kann seine Überheblichkeit aus seinem Blick ablesen und das beruhigt, ihre sonst so ausgeglichenes Gemüt, nicht im Ansatz. Mit einer Handbewegung ergreift sie den Degen, welchen sie kurz zuvor einem Bootsjungen entwendet hatte, hinter ihrem Rücken, den sie an ihrem Gürtel spartanisch befestigt hat und mit einem Schwung durchtrennt sie den Hals des Mannes. Der Kopf, der Minuten zuvor noch am Körper befestigt war, rutscht nun vom Hals und schlägt mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf. „Der Menschheit letzte Rettung", und mit diesen Worten schubst sie den leblosen Körper des Mannes um.
Im Nachhinein hätte sie diesen Satz wohl noch sagen sollen, als der Mann noch seinen Kopf hatte, das hätte mehr Eindruck geschunden. Doch lange kann sie über die gerade passierten Geschehnisse nicht nachdenken, denn draußen regt sich etwas. Die Crew wollte sie eigentlich zum Großteil am Leben lassen und in den Beibooten vom Schiff schmeißen, doch diesen Plan kann sie jetzt nicht mehr umsetzten. Denn das würde ihren, noch nicht vorhandenen, guten Ruf schaden. „Los schnell ... beeil Dich", das leise Geflüster und Gepolter wird nun deutlich lauter und erreicht auch die Ohren der jungen Meeresbewohnerin. Den Degen, beschmiert mit dem Blut des frischen Kopflosen, hält sie schützend vor sich und bewegt sich Richtung Tür. Sie hat zwei Möglichkeiten, die überlebenden Männer verschwinden zulassen oder jeden einzelnen umzubringen. Beide Optionen haben einen bitteren Beigeschmack und zeigen ihr, dass sie in eine äußert misslichen Lage geraten ist. Die Wahl wird ihr jedoch vorweggenommen, denn die Stimmen und auch das Gepolter werden leiser und machen den Anschein sich zu entfernen. Zögerlich und mit dem Degen bewaffnet öffnet sie die Tür und wird augenblicklich von der Tagessonne begrüßt. Durch die Dunkelheit im Raum ist das grelle Licht nicht sonderlich förderlich, um ihr die nötige Übersicht zu verschaffen. Nach Sekunden der Eingewöhnung stellt sie fest, dass das Deck geleert ist, nur noch eine Handvoll Männer liegen auf dem Boden und auch die Beiboote sind nicht mehr aufzufinden. Von weiten, kaum noch vernehmbar, hört sie das enthusiastische Zählen von eins bis zehn. Etwas übereilt rennt sie zu der Reling, nur um zu sehen, dass zwei Boote bis zum Rand, gefüllt mit Männern, im gleichen Rhythmus wie der Zähler die Paddel ins Wasser schlagen. „Mist", ist die einfache Antwort von ihr auf die nicht gerade erfolgreiche Kaperung. Wobei das nicht ganz stimmt, sie besitzt nun ein Schiff, dass Männer überleben, war auch ihr ursprünglicher Plan, somit war es nicht nicht erfolgreich. Sie dreht sich von der Reling weg und starrt auf die dutzend toten Männer. Ohne große Umschweife lehnt sie den Degen an die Reling und widmet sich der ersten Leiche, um sie über Bord zu werfen. Dass dies körperlich anstrengend ist, ist wohl offensichtlich, jedoch rechnet sie nicht damit, dass diese Männer so wohlgenährt sind. Die übrigen Elf schafft sie auch vom Schiff, wobei der Letzte eine wahrliche Herausforderung darstellt. Anscheinend ist er noch nicht ganz Tod und versucht sich mit der letzten Kraft, die er noch aufbringen kann, zu wehren. Durch den starken Blutverlust und den Bruch im Oberschenkel kann er ihr nicht lange standhalten und sackt in sich zusammen. Doch kurz bevor er ganz ins Jenseits verschwindet, stellt er die Frage, die zuvor sein Kapitän gestellt hat: „Wer seid Ihr?". Mit einem müden Lächeln antwortet sie: "Jyndira Andvari", und schmeißt den leblosen Körper über Bord. Ihr nächstes Ziel, die Pirateninsel: Tortuga.
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In the sea is more than water (Fluch der Karibik FF)
FanficPiraten sind wohl die gefürchtetsten Dinge auf hoher See. Sie plündern, brandschatzten und stehlen und keiner ist vor ihnen sicher. Kein Wunder, das sie auch als Dämonen des Wassers bezeichnet werden, doch wird unterschätzt das die wahre Gefahr aus...