16. Kapitel

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Leises Vogelgezwitscher, kaum wahrnehmbar, aber auch schwer zu überhören dringt durch den sonst stillen Wald. Nur das plätschern des Baches gibt einen Kontrast zu der lieblichen Melodie der Vögel. Der Wind weht leicht und leise durch die Bäume und bewegt die Blätter an den Bäumen und das Laub auf dem Boden. Ein kleiner weißer Hase traut sich aus seinem Versteck, um sich dem kleinen Flüsschen zu nähern und seinen Durst zu stillen. Vorsichtig schaut er sich um und versucht seine Umgebung genau zu erkunden. Er merkt das keine Gefahr in Verzug ist und so hoppelt er zu einer kleinen seichten Stelle an der er gut an das Wasser heran kommt. Die kleine Stupsnase berührt das kühle Wasser und schon nimmt er die klare Flüssigkeit auf. Währenddessen bemerkt er nicht was sich in der Zeit unter der Wasseroberfläche abspielt. Das Wasser ist zwar sehr klar, aber der Bach ist tief und durch unzählige Löcher am Flussgrund kann man nicht genau sagen, wie tief. Und genau durch so einen unterirdischen Tunnel bahnt sich die Gefahr an. Unbeirrt trinkt das Häschen weiter, nichts ahnend was auf ihn zu kommt.

Langsam, bloß nicht zu schnell um die Beute zu verjagen, schwimmt ein dünnes fischartiges Wesen aus den Tiefen der Höhle. Noch ist es versteckt und nicht gut erkennbar, da das Sonnenlicht durch diese Dunkelheit nicht dringen kann, doch dies ändert sich schnell. Mit dem Verlassen des Tunnels wird es sichtbar und so verdoppelt es auch die Geschwindigkeit. Wie ein leiser Tod schwimmt das Wesen auf das Häschen zu und braucht nicht mehr viel um es zu erreichen. Mit einem letzten Flossenschlag verlässt das Wesen mit dem Oberkörper das Wasser und versucht es mit den Armen zu erreichen, dabei starrt es den Hasen mit den Dunklen Augen an. Vor Schreck erstarrt das Häschen, doch schafft es sich rechtzeitig zu lösen und springt schnell genug vom Ufer weg und bringt sich danach in Sicherheit in den Tiefen des Waldes. Der Angreifer dagegen gleitet frustriert ins Wasser zurück und atmet genervt aus. „Das sollten wir wohl noch üben", erklingt eine liebliche Stimme hinter dem Angreifer. Er dreht sich um und schaut in das Gesicht seiner Mutter. „Es ist so viel schwieriger ein Lebewesen vom Land zu jagen, als eines aus dem Wasser", stöhnt Jyndira. „Das ist doch auch der Reiz daran." Sie schwimmt auf ihre Tochter zu und ergreift ihre Hand. „Und nur so können wir die Anderen davon überzeugen, dass wir unseren Speiseplan vergrößern können." Sachte streicht sie Jyndira über den Oberarm. Ihre Mutter vertritt dieselbe Überzeugung wie Jyndira, das Menschen deutlich mehr sind als nur Bestien die niemals zur See fahren dürften. Früh machte sich das Bemerkbar und so sind die Beiden damit beschäftigt ihre Artgenossen vom Gegenteil zu überzeugen. „Ich glaube langsam, das wir das gar nicht können. Das Ganze ist nur Wunschdenken. Seit Jahrhunderten stehen wir im Krieg mit ihnen. Wir zerstören ihre Schiffe, zerstückeln die Besatzung und ziehen den Rest in die Tiefe. Wie...", sie kommt gar nicht dazu ihre Bedenken weiter auszuführen, denn ihre Mutter hat eine Hand auf ihren Mund gelegt. „Sei ruhig. Wir sind nicht allein." Langsam entfernt sich die Hand von ihrem Mund und krampfhaft versucht sie die Gefahr zwischen den Bäumen auszumachen. Doch das Einzige das sie sieht sind die Bäume die sich leicht im Wind bewegen. „Was hast du?", fragend schaut sie zu ihrer Mutter. Sie tut jedoch nur einen Finger auf ihre Lippen und signalisiert ihr dadurch leise zu sein. Und jetzt versteht sie was ihre Mutter versucht zu sagen. Es ist Mucksmäuschen still. Es weht kein Wind und kein Vogel singt, nur das leise Rauschen des Wassers ist zu hören. Mit dem Finger zeigt nun Jyndira's Begleiterin an ihr Ohr und danach in die Ferne. Durch diese Geste versteht sie worauf sie achten muss und hört von sehr weit entfernt Gestampfe und Getrampel, welches nicht von Tieren stammt. „Menschen?", flüstert Jyndira und fragend schaut sie in die Richtung aus der die Geräusche stammen. „Ja. Wir müssen hier weg. Vertrau mir, man darf einem Menschen niemals sein Wahres ich zeigen." Irritiert schaut Jyndira sie an, denn was sie sagt wiederspricht eigentlich ihren Grundprinzipien. „Was meinst du damit?", doch bekommt sie keine Antwort, denn sie wird einfach von ihr in die Tiefe gezogen.

Vor Schreck schreckt sie hoch und schmeißt den kleinen Mono von ihrer Brust. Fiepend beschwert er sich, da sie ihn auch aus dem Schlaf gerissen hat. „Entschuldige", entschuldigt sie sich ernsthaft bei ihm. Über die Jahre hat sie sich mit dem Pelzknäul doch tatsächlich angefreundet, genauso wie mit seinem Halter. Sie steht auf und krallt sich das kleine Äffchen, um es in die Hängematte zu setzen damit es wenigsten noch etwas schlafen kann. Sie dagegen ist jetzt endgültig wach. Es liegt an diesem verfluchten Traum, seit Jahren hat sie nicht mehr von ihrer Mutter geträumt. Sie hatten ein sehr enges Verhältnis, bis zu dem einen verhängnisvollen Tag.

Leise schleicht sie auf das Oberdeck und atmet sofort die kalte Seeluft ein. Es ist eine klare Nacht und dadurch kann sie die tausende Sterne am Himmelszelt sehen. Da alle Unterdeck schlafen wirkt das Schiff verlassen, eine sehr Riskante Angelegenheit, da man nie weiß wann die nächste Gefahr auf das Schiff wartet. Nur Clows steht am Steuer und Cyklops sitzt im Krähennest, ansonsten ruht sich jeder aus. Sie nickt kurz Clows zu und geht langsam zum vorderen Teil des Schiffes. Sechs Jahre befindet sie sich nun auf der Riptide und ist mittlerweile zu einem unersetzbaren Mitglied der Crew geworden, doch hat sie sich mehr erhofft. Das Leben als Pirat ist offenbar nicht halb so spannend wie sie es sich vorgestellt hatte. Die monotonen Abläufe an Bord und die immer gleiche Aussicht sind auf die Dauer doch sehr ermüdend, ihr fehlt die Abwechslung. Ohne einen Punkt anzuvisieren starrt sie hinaus auf die ruhige See. Den Gedanken an die Isla de Muerta und den Schatz der sich dort verbirgt hat Kenway schon längst verworfen. Sein Informant war eine Pleite und so sind sie Kurs los auf dem Meer herum geirrt. Das neue Ziel von Captain Kenway kennt sie noch nicht, aber sie ist sicher, dass sie das auch bald erfahren wird. Leise bahnt sich das Schiff seinen Weg durch das Wasser und leicht in Trance begutachtet sie die den Bug, wie er das Wasser durchschneidet. Da sie wieder von ihrer Vergangenheit geträumt hat fällt ihr wieder das alte Lied ein, welches ihre Mutter immer gesungen hatte. Sie fängt an leise die Melodie zu summen und beginnt zaghaft die erste Zeile zu singen: „Ich bin ein Mädchen aus den Tiefen", sie dreht sich um und vergewissert sich, das auch niemand in ihrer Nähe ist und fährt fort. „Und liebe den Hafen, die Schiffe und das Meer. Ich lieb' das Lachen der Matrosen, ich lieb' jeden Kuss der nach Salz schmeckt und nach Teer", flüstert sie leise und ihr Blick verdüstert sich. „Wie kein andres Mädchen der Tiefe befind ich mich Abend für Abend unterm Kai und warte auf die fremden Schiffe...1" „Ein schönes Lied mit einer sehr einprägsamen Melodie", ertönt auf einmal eine Stimme hinter ihr. Sie zuckt leicht zusammen, mit der Zeit ist sie das Anschleichen von Edward gewöhnt und erschreckt sich nicht mehr so stark wie am Anfang. „Ich dachte ich wäre allein", antwortet sie ohne den Blick vom Wasser abzuwenden. „Auf diesem Schiff befinden sich zwanzig Männer. Du bist hier alles, aber nicht allein." Ohne sich zu ihm zu wenden weiß sie, dass Edward ein schelmisches Grinsen auf den Lippen hat. „Du weißt genau was ich meine." Es wird still zwischen den Beiden und Kenway stellt sich neben Jyndira.

„Wo segeln wir eigentlich hin?", fragt sie nach einer Weile. „Nach Tortuga. Ich schulde Teague noch etwas und dies möchte er nun einfordern. Was genau uns erwartet weiß ich selber nicht." Gedankenverloren schaut Jyndira auf ihre Hände, welche die Reling umgreifen. Kenway steht ziemlich nah bei ihr und obwohl sie die Nähe der Menschen mittlerweile gewohnt ist, ist ihr das doch etwas zu nah. Edward merkt ihr Unbehagen und entfernt sich etwas von ihr. „Nun denn", sagt Kenway und schlägt mit der Hand auf die Reling, um ihr zu signalisieren das er gehen möchte, „ich bin mir sicher das du nicht mehr schlafen kannst, aber ich brauche meinen Schönheitsschlaf." Über diese Aussage muss sie grinsen und schaut ihm hinterher. Dank Edward hat sie die schlechte Erinnerung an ihre Mutter zeitweilig vergessen, doch wird sie ihre Vergangenheit früher oder später doch noch einholen, da ist sie sich sicher.

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1 veränderte Fassung von der Übersetzung des Liedes „Ein Schiff wird kommen" von Manos Hadjidakis aus dem Jahre 1960

In the sea is more than water (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt