2. Kapitel

279 16 1
                                    

Die Fahrt nach Tortuga verlief reibungslos, sieht man von den kleineren Regenschauern und dem mangelnden Trinkwasser an Board ab. Doch sie schaffte es das Schiff Richtung Hafen zu steuern, bedenkt man das sie normalerweise unter anstelle auf dem Wasser reist. Der erste Schritt zu einer Antwort ist getan, nun folgen die weiteren. Sie betritt den Steg und wird umgehend von den neuen Eindrücken überrumpelt. Allein die Tatsache, dass sie so viele Zwei-Beiner auf einem Haufen sieht, ist unbeschreiblich für sie. Von links und rechts erklingen die faszinierendsten Geräusche, einordnen kann sie jene jedoch nicht. Doch nicht nur ihre Ohren sind von den vielen neuen Informationen überfordert, sondern auch ihr Geruchssinn. Alkohol, Erbrochenes, Schweiß und Fisch kommen von allen Seiten auf sie zu. Sie wusste zwar, dass Menschen nicht wirklich auf ihr Äußeres achten und eher vor sich hin vegetieren, jedoch hätte sie nie gedacht, dass ihnen das sogar Spaß macht. Sie fühlt sich komplett überfordert und weiß nicht, wie sie sich zu verhalten hat. In ihrem Kopf überschlagen sich die Gedanken und die Überforderung steigt ihr zu Kopf. Es ist etwas komplett anderes Menschen zu beobachten, essen oder zu töten, doch mit ihnen zu kommunizieren und ein richtiges Gespräch zuführen wird wohl eine wahnsinnig schwierige Angelegenheit. Ein weiterer Punkt, der ihr sehr schnell klar wird, ist, dass sie offenbar als ebenbürtig betrachtet wird, was ihr gar nicht gefällt. Die Wirkung, die sie auf die Matrosen hat, scheint offenbar nur im Wasser zu funktionieren, hier an Land ist sie also nur ein Mensch.

Sie setzt sich in Bewegung, ohne wirklich ein Ziel anzusteuern, Hauptsache weg. Auf ihrem Weg laufen ihr haufenweise betrunkene Männer und Frauen über den Weg, ein bedauernswerter Anblick. Immer öfter ertönt Gestöhne, Schläge und Geheule aus den Seitenstraßen und den umgrenzenden Häusern. Der abfallende Putz von den Wänden, das Knarren der Holzdielen und die mit Fäkalien beschmutzen Straßen sind nur ein kleiner Teil von der Fülle an Informationen, welche sie überströmen. Manch einer wird diese Gegend als abscheulich, abstoßend und ekelerregend bezeichnen, was auch teilweise zutreffend ist, doch nicht für jemanden wie Jyndira. Für sie ist diese ganze Situation viel zu kurios. Komplett berauscht geht sie durch die Straßen und versucht, mit jeder Ader ihres Körpers jede einzelne Neuheit aufzunehmen. Die Zwei-Beiner faszinierend sie seit je her und jetzt unter ihnen zu verweilen ist befriedigender als sie sich vorstellen konnte. Für sie ist das Ganze nur ein Spiel, doch für die Zwei-Beiner ein Urteil. Auf ihren Schultern liegt eine große Last, aber aus einem unerklärlichen Grund ist sie viel zugelassen. Ihre Beine tragen sie weiter in die Stadt hinein und zeigen noch mehr die Verwahrlosung von sich selbst vergessenen Menschen. Kopfschüttelnd setzt sie ihren Weg fort, bis sie vor ein Gebäude stößt, aus dem zwei Trunkenbolde, Arm in Arm, singend hinaus stolpern. Interessiert schaut sie hinein und wird sofort von einer stickigen Hitze begrüßt. Mittlerweile beginnt es draußen kühler zu werden und ein leichter Schauer überkommt sie, als die plötzliche Wärme ihren Körper streift. Ohne groß darüber nachzudenken, betritt sie die kleine Spelunke. In diesem ungepflegten Umfeld hat sie das Gefühl, noch stärker herauszustechen. Im Gegensatz zu den meisten Anwesenden besitzt sie noch das Doppelte an Zähne, die dazu auch noch keinen Gelbstich haben, ihr Gesicht ist sauber und auch ihre Kleidung wirkt luxuriöser. Sie hat sie sich von dem Handelsschiff Kleidung vom Kapitän geliehen, doch ist sie sich sicher, dass sie keinesfalls von ihm sind. Denn seine Kleidung würde man eher als Uniform beschreiben, im Vergleich dazu wirkt ihr Outfit wie die eines schlechten Piraten. Ihre zu großen Stiefel, mit der schwarzen Hose, dem zu langen Mantel und dem Hemd würde eher auf einen Obdachlosen schließen, als auf eine ehrwürdige Frau. Aber allein der Fakt, dass sie kein Kleid, sondern eine Hose trägt, ist der Grund, weshalb sie argwöhnisch beäugt wird. Sie schenkt den Anderen keine Beachtung und betritt den Raum und lässt ihren Blick durch die Gegend schweifen.

In der hintersten Ecke des Raumes ist ein unbesetzter Tisch, an dem man das Zimmer gut im Auge behalten kann und auf jede Möglichkeit reagieren kann. Wundern tut sie sich nicht, dass in dieser vollen Bar ein Tisch frei ist, denn es ist von dort aus viel zu umständlich den Tresen zu erreichen oder das Spektakel der Frauen mit anzusehen, welches sich hier gerade bietet. Zielstrebig steuert sie den Tisch an und lässt sich auch sogleich auf einen Holzstuhl nieder. Es dauert nicht lange, da wird sie auch schon von einer Frau mit Schürze und Tablett in der Hand angesprochen: „Was darf ich dir bringen?". Etwas verdutzt über diese informelle Frage, antwortet sie zögerlich: „Ein Wasser, bitte." Die Reaktion der Frau und auch der Männer, die ihre Antwort vernommen haben, ist für sie nicht begreifbar, denn sie brechen in schallendes Gelächter aus. „Also, Schätzchen, wenn du hier ein Wasser findest, gib mir Bescheid, dann kann ich schließen ... Ich bring' dir ein Bier", entgegnet die Frau. Noch immer lachend, wendet sie sich ab und geht wieder in das Getümmel. „Sag mal Mäuschen, du warst noch nie hier, kann das sein?", fragt sie einer der Männer charmant, doch wirkte das nicht so gut durch die verfaulenden Zähne, die sie angrinsen. „Offenbar nicht", antwortet sie kühl und verzieht angewidert das Gesicht. Der Mann wendet sich wieder von ihr ab, da er wohl gemerkt hat, dass sein Gegenüber alles andere als gesprächig ist. Ein wirkliches Problem hat sie damit aber nicht, denn etwas anderes erregt ihre Aufmerksamkeit. Ein Mann sitzt, genauso wie sie, abseits und mustert das Geschehen. Das allein ist nicht ungewöhnlich, doch um ihn herum hüpft ein kleines pelziges Tier mit einem langen Schwanz. Nie zuvor hat sie so etwas Suspektes gesehen. Sie wusste zwar, dass Menschen sich oftmals mit niedrigeren Artgenossen umgeben, um selbst besser dazustehen, aber dass sie es in der Öffentlichkeit so offen preisgeben, hat sie nicht gedacht. Dies ist aber nicht das Einzige außergewöhnliche an ihm. Zu ihrer Überraschung scheint er auch, soweit sie das aus der Ferne beurteilen kann, gepflegt zu sein. Sein braunes Haar ist zwar ein wenig verstrubbelt und sein Kleidungsstil lässt zu wünschen übrig, jedoch ist er nicht dreckig. Sie kann nicht verstehen, wieso so ein Mann allein sitzt, denn sogar als Zwei-Beiner kann man ihn als nicht unattraktiv bezeichnen. Geschockt über ihre eigenen Gedanken wendet sie sich von ihm ab und betrachtet die Kellnerin, welche mit einem vollen Tablett auf sie zukommt. Es ist ein Wunder, dass die Krüge heil an den Tischen ankommen und nicht auf den Boden fallen. „Bitteschön, dein Bier", genervt stellt sie den Krug vor ihr ab und verschwindet wieder. Skeptisch begutachtet sie den Inhalt des Bechers. Das Einzige, das sie erkennen kann, ist ein weißer Schaum, der langsam an Dichte abnimmt. Unschlüssig, ob sie dieses Gebräu zu sich nehmen soll, schaut sie zum Nachbartisch. Dort trinken die Männer den Inhalt mit einem Mal aus, ohne auch nur ein Mal Luft zu holen, zwar überzeugt es sie ich wirklich, aber da alle Männer noch am Leben sind, kann es nicht so schlimm sein. Sie setzt den Krug an ihren Mund, doch reichte es, sodass die Flüssigkeit ihre Lippen benetzt. Ekel durchströmt ihren Körper und in einem Augenblick der Unachtsamkeit fällt ihr der, nicht gerade leichte, Krug aus der Hand. Er landet scheppernd auf dem Tisch und der Inhalt breitet sich auf dem Tisch und dem Boden aus. Zu ihrem Glück ist der Geräuschpegel so hoch, dass es einfach überhört wird. Eines steht fest, es ist kein Wunder, das Menschen kaum noch Zähne haben, wenn sie so etwas zu sich nehmen. Gerade will sie aufstehen und die Schweinerei beseitigen, als ein Mann auf der Lache von Bier ausrutscht und auf einen anderen Mann fällt, welcher gerade zum Trinken ansetzten will. Vor Empörung stößt er den Tisch um und löst eine Kette von Ereignissen aus, die zu einer Barschlägerei führen. Völlig überrumpelt von der Situation sitzt sie nun einfach da, umringt von sich schlagenden Menschen. Dass man Menschen als streitsüchtig beschreibt, ist grundsätzlich nicht falsch, doch dass sie durch eine so banale Lappalie ausflippen, ist denkwürdig. Sie weiß, dass früher oder später der Verursacher gefunden wird und da es niemand geringer ist als sie selbst, sollte sie schleunigst verschwinden.

Schnell steht sie auf, umrundet den Tisch und versucht jeden Schlägen, Hieben und Tritten auszuweichen und schnellstmöglich den Ausgang zu erreichen. Durch die Masse wird sie aber eher Richtung Treppe, die in das nächste Stockwerk führt, gedrückt und findet sich dort auch wieder. Ihr wird keine Chance geboten sich ausgiebig umzuschauen, da auch hier ein reges durcheinander herrscht. Sie drückt sich an die Wand und sucht nach einem anderen Ausgang. Diese Entscheidung wird ihr schnell abgenommen, denn es legt sich eine Hand um ihren Mund und mit einem Ruck wird sie um die Ecke gezogen.
Ihr Schrei wäre in der lauten Masse komplett untergegangen und daher ist es auch komplett unnötig ihren Schrei mit der Hand dämpfen zu wollen. Doch groß kann sie sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, denn sie wird in einen kleinen Gang geschleift, die Hand immer noch auf dem Mund. Unter großem Protest lässt der Fremde sie endlich los und mit Erstaunen stellt sie fest, dass es sich um den attraktiven Zwei-Beiner handelt. „Was soll das?", ist die erste Frage, die über ihre Lippen kommt. „Erkläre ich euch gleich, erst mal müsst ihr in Sicherheit. Noch richtet sich die Wut der Leute auf jemand unbestimmten, aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass ihr die Wut der Meute nicht konzentriert abbekommen wollt. Folgt mir", erklärt der Zwei-Beiner. Sein Argument ist schlüssig und da ihr keine Alternative einfällt, läuft sie ihm hinterher. Er scheint sich hier auszukennen, denn er führt sie durch das Gebäude sehr souverän. Vor einem Fenster macht er halt und öffnet es. „Und jetzt? Wir werden wohl kaum ...", den Satz kann sie nicht beenden, da ihr Begleiter sie bereits aus dem Fenster gestoßen hat. Ihre Landung wird von einem Heuwagen gefedert und dadurch kommt sie heil unten an. „... springen", beendet sie den Satz sarkastisch. Der Zwei-Beiner lässt nicht lange auf sich warten und springt ihr nach. Fast elegant, landet er neben ihr und schaut erwartungsvoll zu den zwei Pferden, die den Heuwagen ziehen. Erst jetzt sieht sie den Kutscher des Vehikels. „Dieses Mal also mit Begleitung. Hast du es geschafft ein Schiff aufzutreiben?", fragt der Kutscher. Langsam setzt sich der Wagen in Bewegung. „Sie ist ein Kollateralschaden und um deine Frage zu beantworten, wenn ich eins hätte, würde ich nicht aus dem Fenster springen aus Angst vor meinen Gläubigern", antwortet ihre Bekanntschaft. Mit einem einfachen Naserümpfen des Fahrers ist dieses Gespräch beendet und sie kann sich zu Wort melden. „Und ihr seid?", fragt sie wirklich interessiert, denn das ungleiche Duo scheint ihr doch sehr chaotisch. Während der eine gepflegt und seriös herüberkommt, wirkt der andere sehr heruntergekommen und schluderig. „Edward Kenway und das ist mein treuer Geschäftspartner und Freund Piper Bublebub", stellt sich ihr Entführer und seinen Komplizen vor. „Beelzebub. Piper Beelzebub. Was ist daran so schwierig?", fragt der Fahrer empört. Ihr Begleiter, Edward Kenway, ignoriert seinen Protest gekonnt und widmet sich ihr wieder. „Und welche holde Maid habe ich vor einem Veilchen bewahrt?", fragt er übertrieben freundlich. „Jyndira Andvari", antwortet sie, ohne auf den Rest einzugehen, denn sie weiß noch nicht, in welche Kategorie sie ihn einsortieren kann. „Ein außergewöhnlicher Name, für eine außergewöhnliche Frau", schmeichelt Edward ihr und lächelt sie keck an. „Ich höre, ihr braucht ein Schiff? Habt ihr denn eine Crew?", stellt sie erneut eine Frage. „Unsere Probleme sind nicht die deinen, Darling", mischt sich Piper ein. „Nun, ich habe ein Schiff und bin sehr wohl bereit es herzugeben, für ein paar Gefälligkeiten versteht sich", erklärt sie.


In the sea is more than water (Fluch der Karibik FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt